Geschäftsführer wird aufgrund eines nichtigen Vertrags tätig


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Klassisches Klausurproblem

Unternehmer U beauftragt Wirtschaftsprüfer W, eine Schuldensanierung seines Unternehmens durchzuführen. W erreicht bei den Gläubigern Schuldennachlässe. Weder U noch W erkennen, dass der Vertrag wegen eines Verstoßes gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz nichtig war.

Einordnung des Falls

Geschäftsführer wird aufgrund eines nichtigen Vertrags tätig

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. W hat gegen U einen Anspruch auf Zahlung seiner Vergütung aus dem Beratungsvertrag.

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Nein!

Vertragliche Ansprüche scheiden aus, da der Vertrag zwischen U und W gem. § 134 Abs. 1 BGB i.V.m. § 3 RDG (Rechtsdienstleistungsgesetz, Schönfelder Ergänzungsband Nr. 99) nichtig ist.

2. W kann von U Ersatz seiner Aufwendungen verlangen, wenn er einen Anspruch auf Aufwendungsersatz nach §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB hat.

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Genau, so ist das!

Voraussetzung für einen Aufwendungsersatzanspruch nach §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB ist, dass A (1) ein fremdes Geschäft (2) mit Fremdgeschäftsführungswillen, (3) ohne Auftrag oder einer sonstigen Berechtigung geführt hat und die (4) Geschäftsführung berechtigt war.

3. Indem W das Unternehmen des U saniert hat, hat er "ein Geschäft besorgt" (§ 677 BGB).

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Ja, in der Tat!

Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA) begründet ein gesetzliches Schuldverhältnis. Sie liegt vor, wenn jemand (der Geschäftsführer) ein Geschäft für einen anderen (den Geschäftsherrn) besorgt, ohne von ihm beauftragt oder ihm gegenüber sonst dazu berechtigt zu sein. Geschäftsbesorgung ist wie im Auftragsrecht (§ 662 BGB) weit zu verstehen und umfasst jede fremdnützige tatsächliche oder rechtsgeschäftliche Tätigkeit, auch von kurzer Dauer.Die Schuldsanierung eines Unternehmens ist eine rechtsgeschäftliche Tätigkeit. W hat ein Geschäft besorgt.

4. Die Schuldensanierung durch W stellt nach Ansicht der h.L. ein "objektiv fremdes Geschäft" dar (§ 677 BGB).

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Nein!

Unter objektiv fremde Geschäfte fallen Tätigkeiten, die schon ihrem äußeren Erscheinungsbild nach in einen anderen Rechts- und Interessenkreis fallen.Die Regulierung der Schulden des U stellt nach Ansicht der h.L. für W kein fremdes, sondern ein eigenes Geschäft dar, da W dachte, hierzu vertraglich verpflichtet zu sein. Somit falle die Geschäftsführung ausschließlich in seinen Rechts- und Interessenkreis. Mangels Fremdgeschäftsführungswillen liegt auch kein "subjektiv fremdes Geschäft", sondern ein eigenes Geschäft vor. Daher sollen nach h.L. Fälle von Leistungen auf nichtige Verträge nicht über die GoA, sondern ausschließlich über das Bereicherungsrecht gelöst werden (Lorenz NJW 1996, 883 (886)).

5. Die Schuldensanierung durch W stellt nach BGH ein "auch-fremdes Geschäft" dar (§ 677 BGB).

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Genau, so ist das!

BGH: Der Erbringer einer (unerkannt) rechtsgrundlosen Leistung werde (zumindest) auch im fremden Rechts- und Interessenkreis tätig (vgl. Lorenz NJW 1996, 883 (885)).Die Tatsache, dass der Leistungserbringer sich zur Leistung verpflichtet hielt, führt entgegen der h.L. nicht zu einem Eigengeschäft des Geschäftsbesorgers W, sondern zu einem "auch-fremden Geschäft". Der Fremdgeschäftsführungswille wird nach BGH beim "auch-fremden Geschäft" vermutet.

6. W kann von U nach BGH Ersatz seiner Aufwendungen nach §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB verlangen.

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Nein, das trifft nicht zu!

BGH: Da die vorliegende Aufwendung in einer vom Gesetz verbotenen Tätigkeit besteht, habe W sie nicht für erforderlich halten dürfen (§ 677 BGB). Ein Aufwendungsersatzanspruch aus §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB bestehe nicht. Auch die h.L. lehnt den Aufwendungsersatzanspruch (§§ 677, 683 S. 1, 670 BGB) ab: Da W mit Eigengeschäftsführungswillen handelte, habe er maßgeblich die (vermeintlichen) Pflichten aus seinem Vertrag erfüllen wollen.

7. Bereicherungsrechtliche Ansprüche nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB sind bei tatbestandlichem Vorliegen der berechtigten GoA grundsätzlich ausgeschlossen.

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Ja!

Die berechtigte GoA stellt einen Rechtsgrund im Sinne der §§ 812 ff. BGB dar. Der BGH prüft trotz tatbestandlichen Vorliegens der GoA (dogmatisch inkonsistent) dennoch Bereicherungsrecht.U hat die geleisteten Dienste des W durch Leistung erlangt. Da der Vertrag zwischen U und W nichtig ist, leistete W auch ohne Rechtsgrund. U schuldet W Wertersatz für die geleisteten Dienste aus §§ 812 Abs.1 S. 1 Alt. 1, 818 Abs. 2 BGB.h.L.: Bei der Abwicklung nichtiger Verträge sei die GoA nicht anwendbar, da das Bereicherungsrecht hierfür spezieller sei. Durch die Anwendung der GoA bestünde die Gefahr, dass die differenzierten Regelungen der §§ 814, 817 S. 2 und § 818 Abs. 3 BGB umgangen werden. Die GoA habe zudem eine andere Zielrichtung: Sie solle Geschäftsherrn und -führer schützen, nicht nichtige Verträge rückabwickeln.

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ri

ri

16.7.2021, 16:08:04

Dieser Fall steht im Widerspruch zu dem Schönheitsreparatur-Fall, bei dem der BGH Eigengeschäftsführungswillen angenommen hatte.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

19.7.2021, 16:44:10

Hallo ri, ohne Zweifel ist die Rechtsprechung des BGH nicht immer zu 100% konsistent und die hL hat bei der Frage des Umgangs mit der Abwicklung "nichtiger Verträge" sicherlich die dogmatisch sauberere Lösung anzubieten. Die Rechtsprechung des BGH im Schönheitsreparatur-Fall (BGH NJW 2009, 2590) und der vorliegende Fall schließen sich dennoch nicht zwingend aus. Ausgangspunkt der beiden Fälle ist der Umstand, dass bei sog. "auch-fremden" Geschäften ein Fremdgeschäftsführungswillen nicht einfach vermutet wird, sondern der entsprechende Wille hinreichend deutlich nach außen in Erscheinung treten muss. Im Hinblick auf die Schönheitsreparatur hat der BGH insoweit den Fremdgeschäftsführungswillen mit der Begründung verneint, dass durch die Übernahme der Schönheitsreparatur der Mieter Mietzinsen spart und durch die Übernahme somit in erster Linie seine Vermögensinteressen gewahrt werden. Insoweit habe der Mieter sei also nach außen nicht unmittelbar erkennbar, dass er hier die Interessen des Vermieters fördern wollte, weswegen ausschließlich Eigengeschäftsführungswillen angenommen werden konnte. Die vorliegende Konstellation weicht hiervon ab, da sich W hier nichts erspart, indem er die Leistung anbietet. Indes kann man natürlich auch argumentieren, dass es ihm nicht darum ging, dass U die von ihm erbrachte Leistung erhält, sondern einzig darum, dass er die korrespondierende Gegenleistung sich verdient. Das ist allerdings nicht zwingend. Insgesamt ist insoweit zu begrüßen, dass der BGH in seiner jüngeren Rechtsprechung zunehmend die Anwendungsbereiche der GoA bei nichtigen Verträgen einschränkt (vgl. auch Thole, Die Geschäftsführung ohne Auftrag auf dem Rückzug - Das Ende des "auch fremden" Geschäfts?, NJW 2010, 1243). Damit sinkt dann auch das Risiko etwaiger Widersprüche. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

ri

ri

19.7.2021, 21:08:46

Vielen Dank für die ausführliche Antwort 🦋👍

Larzed

Larzed

11.10.2022, 11:51:22

Gelten diese Grundsätze dann auch bei Werkvertrag, die gegen das SchwArbG verstoßen? Wenn ja, müsste ich in der Klausur dann trotzdem noch auf § 812 eingehen, wegen der Vollständigkeit?

SA

Saufen_Fetzt

8.2.2023, 17:20:00

Ja

IN

InDubioProsecco

8.6.2023, 13:24:01

Warum ist es dogmatisch inkonsequent, wenn der BGH die Anwendbarkeit von Bereicherungsrecht ablehnt? Für das "Erlangte" fehlt doch gerade der Rechtsgrund, weil der Anspruch aus § 683 Satz 1 BGB mangels Erforderlichkeit ausscheidet? Oder bildet schon der "Grundtatbestand" aus § 677 BGB für den Geschäftsherrn einen Rechtsgrund für alles aus der Geschäftsführung erlangte?

SW

swoobii

28.7.2023, 13:35:20

Die Erforderlichkeit der Aufwendungen wird erst in der Rechtsfolge geprüft. Ein Rechtsgrund liegt somit unabhängig davon dennoch vor

tomvali

tomvali

30.7.2023, 21:26:04

Stellt nur die berechtigte GoA einen Rechtsgrund iSv 812 I dar ?

Edward Hopper

Edward Hopper

30.7.2023, 21:34:34

Ja. Die unberechtigte Goa ist kein Rechtsgrund.

DA

David.

6.8.2023, 11:22:17

Jedoch stellt auch die genehmigte unberechtigte GoA (684 S. 2) einen Rechtsgrund iSv 812 dar, wobei diese ja rückwirkend auch zu einer berechtigten GoA wird.

EV

evanici

6.9.2023, 19:25:44

Ich tue mir etwas schwer mit der Abgrenzung der Prüfungspunkte des fremden Geschäfts ggü. dem Fremdgeschäftsführungswillen, sobald es an die Unterteilung objektiv/subjektiv/auch-fremd geht. Also würde ich im Zweifel nicht schon beim fremden Geschäft ansprechen, dass es objektiv fremd bzw. auch-fremd ist? Ich komme doch eigentlich gar nicht daran vorbei die drei Kategorien auf die beiden Punkte aufzusplitten, oder?

LL

Leo Lee

8.9.2023, 14:24:48

Hallo evanici, das fremde Geschäft ist ein objektives Merkmal, d.h., hier wird geschaut, ob das Geschäft (unabhängig davon, was der Wille des Geschäftsführers war) nach außen hin entweder objektiv/subjektiv oder auch-fremd war (nach den jeweiligen Definitionen). Nachdem wir dies festgestellt haben, gehen wir weiter zum Willen des Geschäftsführers. Hier gucken wir also dann, ob der Geschäftsführer das objektive/subjektiv/auch-fremde Geschäft auch FÜR den Geschäftsherren (mit FGW) vorgenommen hat. Diese drei Kategorien dienen beim FGW im Grunde nur, um die Beweislage zu erleichtern (indem bei objektiv und auch-fremd ein FGW vermutet; bei subjektiv hingegen nicht). D.h. du würdest bei der Fremdheit nur diese drei Punkte „objektiv“ subsumieren und beim FGW mit der „Geschäftsart“, die du festgestellt hast, sagen, ob ein FGW vermutet wird oder nicht bzw. vorliegt oder nicht :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

DI

Diaa

11.9.2023, 19:03:23

Die Antwort sollte doch "Nein" sein..denn bereicherungsrechtliche Ansprüche werden ja nicht ausgeschlossen..!

SI

Sina

1.11.2023, 16:19:23

In der Frage geht es ja aber um berechtigte GoA. Es ist also alles richtig.

PA

Paul21

26.11.2023, 17:01:29

Unter einer Frage schreibt ihr, dass die h. L. eine berechtigte GoA daran scheitern lässt, dass gar kein fremdes Geschäft (§ 677 BGB) vorläge. Kurz danach, als es darum geht, dass der BGH ein auch-fremdes Geschäft annimmt und dabei den Fremdgeschäftsführungswillen (§ 687 I BGB) vermutet, schreibt ihr, dass die h. L. einen Eigengeschäftsführungswillen annimmt, also den Fremdgeschäftsführungswillen ablehnt. Was ist es nun? Lehnt die h. L. das Vorliegen eines fremden Geschäfts oder eines Fremdgeschäftsführungswillens ab?


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