Zivilrecht
Schadensrecht
Haftungsbeschränkungen
Verschuldensmodifikation? (auftragsähnliches Gefälligkeitsverhältnis)
Verschuldensmodifikation? (auftragsähnliches Gefälligkeitsverhältnis)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A verspricht dem Nachbarn B während B's Urlaub dessen Garten zu bewässern. Nachdem A den Garten bewässert, verschließt er den Schlauch an dessen Spitze, versäumt es aber leicht fahrlässig, die Wasserzufuhr zu dem Schlauch abzustellen. Der Schlauch platzt und verursacht einen erheblichen Wasserschaden im Haus. Der Wasserschaden ist von der Gebäudeversicherung des B gedeckt. A ist für Schäden bei Nachbarschaftshilfe und Gefälligkeitshandlungen privat haftpflichtversichert.
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Einordnung des Falls
Verschuldensmodifikation? (auftragsähnliches Gefälligkeitsverhältnis)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. B hat gegen A einen Anspruch auf Schadensersatz (§§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB).
Nein, das ist nicht der Fall!
Jurastudium und Referendariat.
2. A hat eine kausale und zurechenbare Rechtsgutsverletzung begangen (§ 823 Abs. 1 BGB).
Ja, in der Tat!
3. A hat den Wasserschaden am Haus fahrlässig verschuldet (§ 823 Abs. 1 BGB).
Ja!
4. Bei Gefälligkeitsverträgen ist der Haftungsmaßstab in der Regel beschränkt auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit (§§ 521, 599, 690 BGB). Diese Haftungsbeschränkung ist im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB analog auf Gefälligkeitsverhältnisse anzuwenden.
Nein, das ist nicht der Fall!
5. A und B haben einen stillschweigenden Haftungsausschluss für leichte Fahrlässigkeit vereinbart.
Nein, das trifft nicht zu!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
jurRef
9.8.2020, 10:00:05
Eine solche Auslegung führt doch zu einem unbilligen Ergebnis oder? Da B eine Versicherung hinsichtlich seines Hauses hat, wäre der Wille der Beteiligten bei "Abschluss des
gefälligkeitsverhältnisses" doch so auszulegen, dass bei Schäden durch leichte Fahrlässigkeit am Haus, eine Haftung durch A nicht stattfindet und somit kein Anspruch nach §823 besteht. Hierdurch kommt man auch dem gerecht, dass A die Bewässerung unentgeltlich erledigt
Lukas_Mengestu
25.6.2021, 16:35:46
Hallo jurKing, über die Frage, ob es sich hierbei um ein billiges Ergebnis handelt, lässt sich sicherlich trefflich streiten. Um die Auffassung des BGH besser nachzuvollziehen, hilft es aber vllt sich das Regel-Ausnahme Verhältnis zu vergegenwärtigen. Der BGH lehnt eine Gesamtanalogie im Hinblick auf ein beschränktes Verschulden ab. Daraus folgt im Grundsatz, dass der unentgeltlich Tätige für jegliches Verschulden haftet. Als Ausnahme konstruiert der BGH sodann für den Fall der persönlichen Inanspruchnahme des Schädigers den stillschweigenden Haftungsausschluss im Wege der ergänzenden
Vertragsauslegung. Bereits hierbei handelt es sich um eine bloße Billigkeitserwägung. Deswegen wird diese Ausnahme auf Fälle beschränkt, in denen der Schädiger nicht versichert ist. In dem Moment, wo ein Versicherungsschutz auf der Seite des Schädigera besteht, entfällt das Bedürfnis ihn zu schützen, da er nicht für den Schaden haften muss. Und zwar unabhängig davon, ob der Geschädigte seinerseits einen versicherungsschutz hat. Aber wie gesagt, andere Auffassungen sind hier natürlich vertretbar, insbesondere bezüglich der Frage, ob man die Haftung nicht grundsätzlich auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
MVSEVM
11.12.2022, 18:00:20
Danke für die gut nachvollziehbare Erklärung. Aber weshalb wird in diesem Fall dann auf die Gebäudeversicherung des B abgestellt?
Nebenbesitzer einer Fräsmaschine
9.8.2020, 22:14:19
Ist das Anführen von § 276 BGB im Rahmen des § 823 BGB nicht eine "Todsünde"?
Jana-Kristin
12.8.2020, 11:09:21
Du verwechselst das wahrscheinlich damit, dass 278 nicht im Rahmen des 831 geprüft werden darf.
Nebenbesitzer einer Fräsmaschine
12.8.2020, 13:44:25
Nö, gerade nochmal gecheckt. Man benutzt zwar den gleichen Maßstab, aber § 276 darf nicht genannt werden, da er zu den vertraglichen Beziehungen gehört.
smend20
14.8.2020, 14:31:01
Gegen eine Nennung des 276 BGB ist m.E. nichts einzuwenden, solange darauf hingewiesen wird, dass dieser entsprechend anzuwenden ist (weitergehend sogar BeckOGK/Spindler, Stand: 01.05.2020, 823 BGB Rn.93 "Das Verschulden richtet sich nach 276")
Eigentum verpflichtet 🏔️
14.8.2020, 19:25:21
Hallo Nebenbesitzer, danke für deine Anmerkung. Wo hast du denn nachgelesen, dass § 276 BGB zu den vertraglichen Beziehungen gehört? Die Vorschrift steht im Abschnitt 1 - Inhalt der Schuldverhältnisse im 2. Buch des BGB. Die Vorschriften die nur Verträge betreffen finden sich im Schuldrecht AT in den Abschnitten 2 (AGB) und 3 (Schuldverhältnisse aus Verträgen, 311ff BGB). Nach Müko-Wagner, 7. Aufl., 823, Rn. 39 findet zumindest § 276 II BGB direkte Anwendung auf § 823 I BGB. Was § 276 I BGB anbelangt ist die Sache komplizierter, da dort von "Vertretenmüssen" die Rede ist. BeckOGK/Spindler, 823 Rn. 93 wendet dennoch ausdrücklich 276 I BGB an (danke smend20), Müko-Wagner Rn. 28 legt dies zumindest nahe. Deswegen die Frage, wo hast du gelesen, dass 276 nicht für 823 gilt?
smend20
14.8.2020, 19:34:07
Ich vermute Nebenbesitzer eine Fräsmaschiene bezieht sich darauf, dass 276 das Vertretenmüssen des Schuldners (!) regelt. Im Falle der Haftung aus 823 I besteht im Zeitpunkt der haftungsbegründenden Rechtsgutsverletzung regelmäßig noch kein Schuldverhältnis, mithin (s.o.) ist 276 I m.E. nicht unmittelbar, sondern nur entsprechend anwendbar.
Tobias Rexler
23.1.2022, 11:56:56
Ich habe gelernt, dass man zwischen 3 unentgeltlichen Leistungen unterscheidet: Dem Auftrag, dem reinen
Gefälligkeitsverhältnisund dem
Gefälligkeitsverhältnismit Rechtsbindungswillen (§ 311 II BGB analog). Letzteres vermisse ich an dieser Stelle.
Lukas_Mengestu
24.1.2022, 11:30:56
Hallo Tobias, in der Tat nimmt ein Teil des Schrifttums (zB Canaris, JZ 2001, 499, 502) an, dass es neben Gefälligkeit und Vertrag noch das
Gefälligkeitsverhältnisgibt, das zwar keine Leistungspflichten, wohl aber Schutzpflichten begründet. Die dogmatische Herleitung divergiert hier (vertragliche Einigung; besonderes Vertrauen; § 311 abs. 2 Nr. 3 BGB, hierzu vertieft: Bachmann, in: MüKo-BGB, 8.A 2019, § 241 RdNr. 178 ff.). Ein anderer Teil des Schrifttums (z.B. Sutchet, in BeckOK-BGB, 60.Ed. 1.11.2021, § 241 RdNr. 23) lehnt eine solche Sonderverbindung dagegen ab. Auch die Rechtsprechung hat eine vertragsähnlich ausgestaltete Haftung bei einem
Gefälligkeitsverhältnisbislang immer abgelehnt (vgl. BGH NJW 2010, 3087) und allein auf das Deliktsrecht abgestellt.
omnimodo facturus
11.10.2022, 17:07:53
Wieso kommt es darauf an, dass die Versicherung des B einstandspflichtig ist? Muss es nicht eher um die des A gehen?
MVSEVM
11.12.2022, 18:12:52
Müsste es. Im Urteil geht es, soweit ich es nach kurzem Überfliegen beurteilen kann, bei der Frage nach der Haftungsbeschränkung allein um den Umstand einer bestehenden Haftpflichtversicherung.
Niklas3461
15.10.2023, 08:16:18
Ja es macht doch keinen Sinn das A haftet, weil B eine Versicherung hat.....
Nora Mommsen
27.10.2023, 14:05:29
Hallo in die Runde, danke für eure Nachfrage! Tatsächlich handelte es sich um einen Tippfehler, den wir beseitigt haben. Ihr habt richtig als entscheidendes Kriterium erkannt, dass die Versicherung des A einstandpflichtig ist. Denn Haftungsausschlüsse, ob ausdrücklich oder konkludent, sollen nicht die Versicherer entlasten. Daher kann hier keiner angenommen werden, denn das wäre unterm Strich das Resultat einer solchen Vereinbarung. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
QuiGonTim
26.10.2023, 22:40:14
Wie kommt der BGH auf den Weg der ergänzenden
Vertragsauslegung, wenn doch gar kein für einen Vertrag erforderlicher Rechtsbindungswille vorliegt?
Leo Lee
28.10.2023, 15:59:45
Hallo QuiGonTim, in der Tat ist die Lösung des BGH nicht ganz dogmatisch konsequent. Deshalb geht etwa Wagner in: MüKo-BGB 8. Auflage, Vor § 823 Rn. 89 davon aus, dass dieser Weg nicht „gangbar“ sei. Deshalb ist der BGH hier auch sehr vorsichtig und besagt, dass eine solche Beschränkung AUSNAHMSWEISE bei Vorliegen besondere Umstände (allen voran bei Vorliegen einer Haftpflichtversicherung) greifen kann. Dies sei deshalb gerechtfertigt, da diese
ergänzende Vertragsauslegungnicht den Schädiger, sondern den Haftpflichtversicherer entlastet. Zusammenfassend kann man also sagen, dass diese Lösung eher eine „Einzelfalllösung“ ist :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
QuiGonTim
29.10.2023, 21:48:36
Danke für die Antwort. :) Da steckt anscheinend ein kleiner Fehler drin. Du meintest wohl, dass das Nicht-Vorliegen einer Haftpflichtversicherung der die Haftungsbeschränkung begründende, besondere Umstand ist, richtig?
rlaw
18.1.2024, 22:17:58
Evtl. eine dumme Frage, aber wenn der Nachbar hier tätig wird ohne dass ein entsprechendes Auftragsverhältnis vorliegt, wäre dann nicht zunächst eine GoA zu prüfen? Schließlich handelt der Nachbar mit FGW im Rechtskreis des Anderen ohne Auftrag im Willen von diesem = echte berechtigte GoA? Und wenn man diesen Gedanken zu Ende denkt: Käme dann nicht ein Schadensersatz aus 280, 241 mit der echten berechtigten GoA als Schuldverhältnis in Betracht? Dann hätte der BGH sich auch nicht so “verrenken” müssen sondern viel direkter eine Analogie prüfen & ablehnen können. Wahrscheinlich ist mein Gedanke aber falsch weil schon keine echte berechtigte GoA vorliegt?
Leo Lee
20.1.2024, 09:03:39
Hallo rlaw, das ist überhaupt keine dumme Frage, sondern eine sehr gute und vor allem wichtige!! In der Tat könnte man zunächst der Meinung sein, dass hier in Ermangelung eines Auftrags (Gefälligkeit) ein GoA in Betracht kommen könnte. Dies ist zwar ein sehr guter und – grundsätzlich – richtiger Gedanke; beachte allerdings, dass AUCH bei der GoA seitens des Geschäftsführers (also hier des As) ein Rechtsbindungswille vorliegen muss. Der Grund dahinter ist: Wenn der Geschäftsführer sich schon auf vertraglicher Eben nicht rechtsgeschäftlich binden möchte und deshalb NUR eine Gefälligkeit erbringt, gibt es bereits keine Fremdgeschäftsführungswillen (zentrales Element der GoA!!). Dann soll er auch nicht durch die „Hintertür“ der GoA doch – wie du völlig zu Recht anmerkst z.B. durch §§ 280, 241 BGB – ultimativ haften. Merke deshalb: Ohne einen RBW des „Geschäftsführers“ gibt es weder einen Vertrag noch einen GoA. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre von MüKo-BGB 9. Auflage, F. Schäfer § 677 Rn. 138 sehr empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
Wolli
1.2.2024, 14:56:07
Statt im Prüfungspunkt Fremdgeschäftsführungswille auszusteigen ließe sich auch schon vorher bei "ohne Auftrag oder sonstige Berechtigung" der Anspruch aus GoA ablehnen. Das reine
Gefälligkeitsverhältnismuss nämlich mit den voranstehenen Erwägungen von Leo Lee ein solches, sonstiges Berechtigungsverhältnis sein. Andernfalls würde man quasi vertragliche Haftung zulassen, obwohl gerade kein Rechtsbindungswille bestand!!
ajboby90
19.3.2024, 13:16:13
Die Problematik firmiert auch unter dem Namen "Gefälligkeit ohne Auftrag", welche von der GoA aus oben genannten Gründen abzulehnen ist.