Zivilrecht

Schuldrecht Allgemeiner Teil

Unmöglichkeit (§ 275 BGB) (Leistungsstörungsrecht)

Persönliche Unzumutbarkeit: Überschaubares Leistungshindernis (§ 275 Abs. 3 BGB)

Persönliche Unzumutbarkeit: Überschaubares Leistungshindernis (§ 275 Abs. 3 BGB)

24. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Schauspieler S arbeitet in der Berliner Schaubühne (B). Am Tag der Premiere erleidet S' 15-jährige Tochter T einen Unfall, bei dem sie sich das Bein bricht. Als guter Vater will sich S um seine Tochter kümmern. Für S steht kein Ersatz bereit, die Premiere müsste ausfallen.

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Einordnung des Falls

Persönliche Unzumutbarkeit: Überschaubares Leistungshindernis (§ 275 Abs. 3 BGB)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. S ist grundsätzlich verpflichtet, in der Schaubühne aufzutreten (§ 611a Abs. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

Durch den Arbeitsvertrag wird der Arbeitnehmer im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet (§ 611a Abs. 1 BGB).S ist bei B angestellt und deshalb verpflichtet seine Arbeitsleistung zu erbringen.
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2. Aufgrund des Unfalls seiner Tochter ist es R unmöglich aufzutreten (§ 275 Abs. 1 BGB).

Nein!

Unmöglichkeit liegt vor, wenn der Leistungspflicht ein dauerhaftes und unüberwindbares Hindernis entgegensteht. Dem Sachverhalt lässt sich nicht entnehmen, dass S psychisch nicht in der Lage wäre aufzutreten. Er kann seine Leistung erbringen, er will es nur verständlicherweise nicht. Dies begründet aber keine Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 1 BGB.

3. S könnte den Auftritt verweigern, sofern ihm dieser persönlich unzumutbar ist (§ 275 Abs. 3 BGB).

Genau, so ist das!

Bei persönlich zu erbringenden Leistungen besteht ein Leistungsverweigerungsrecht, wenn bei der Abwägung des Leistungshindernisses des Schuldners mit dem Leistungsinteresse des Gläubigers, dem Schuldner die Erbringung der Leistung nicht zumutbar ist (§ 275 Abs. 3 BGB).Auch bei dem Leistungsverweigerungsrecht handelt es sich um eine Sonderregelung, die nur in sehr engen Grenzen zur Anwendung kommt.

4. S muss seine Leistung „persönlich erbringen".

Ja, in der Tat!

Eine persönlichen Leistungspflicht besteht, wenn diese unvertretbar ist, also nicht durch eine andere Person erfüllt werden kann. Eine persönliche Leistungspflicht kann sich aus der Parteivereinbarung, dem Gesetz (§§ 613, 664, 691, 713 BGB ) oder der Natur des Schuldverhältnisses ergeben. Bei der Pflicht zur Arbeitsleistung handelt es sich nach der gesetzlichen Vermutung um eine höchstpersönliche Pflicht (vgl. § 613 BGB).

5. Der Unfall seiner Tochter stellt ein Leistungshindernis dar (§ 275 Abs. 3 BGB).

Ja!

Entgegen des weiten Wortlautes (Hindernis) beschränkt sich das Leistungsverweigerungsrecht aus Abs. 3 auf immaterielle oder ideelle Leistungshindernisse. Andernfalls käme es zu Überschneidungen mit dem deutlich enger gefassten Abs. 2 und einer Ungleichbehandlung von persönlichen und delegierbaren Pflichten (Systematik). Als Vater möchte S der T beistehen. Hierbei handelt es sich um ein emotionales und insoweit immaterielles Leistungshindernis.

6. Da T sich ein Bein gebrochen hat, ist S der Auftritt unzumutbar.

Nein, das ist nicht der Fall!

Unzumutbar ist die Leistung, wenn bei Abwägung der Belastung, welche die Leistung für den Schuldner mit sich bringt, und dem Interesse des Gläubigers an der Leistung, das Interesse des Schuldners überwiegt. Aufseiten des Gläubigers ist dabei der Wert der Leistung, also seine Einbuße für den Fall des Ausbleibens, zu berücksichtigen. Bei der Abwägung ist ferner bedeutsam, inwieweit der Gläubiger gerade auf die höchstpersönliche Leistungserbringung angewiesen ist (zB Zweitbesetzung).Ts Verletzungen sind überschaubar. Dagegen erlitte B massive Einbußen durch das Absagen der Premiere (Rückerstattung der Tickets, Ruf). Bei Abwägung beider Interessen ist der Auftritt für S zumutbar.

7. S kann den Auftritt verweigern (§ 275 Abs. 3 BGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Bei persönlich zu erbringenden Leistungen besteht ein Leistungsverweigerungsrecht, wenn bei der Abwägung des Leistungshindernisses des Schuldners mit dem Leistungsinteresse des Gläubigers, dem Schuldner die Erbringung der Leistung nicht zumutbar ist (§ 275 Abs. 3 BGB).Bei der Abwägung des Leistungshindernisses des S (Beistand für die verletzte T) und dem Leistungsinteresse des B (erhebliche Einnahmeverluste bzw. Beschädigung des Rufes), ist der Auftritt für S zumutbar.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

QUIG

QuiGonTim

20.7.2022, 21:28:07

Liebes Jurafuchsteam, könntet ihr diesem Unterkapitel noch eine Wiederholungsaufgabe zu den Vorschriften des BGB, die Auslegungsregeln bezüglich der persönlichen

Leistungspflicht

beinhalten, hinzufügen? Es ist sicherlich alles andere als schädlich, diese zu kennen.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

9.8.2022, 12:38:54

Hallo QuiGonTim, wir nehmen es mit auf unsere To-Do Liste. Danke für die Anregung! Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Sambajamba10

Sambajamba10

11.6.2023, 12:37:34

Hier kann man gern noch integrieren, dass der Begriff "unzumutbar" einen unbestimmten Rechtsbegriff darstellt, über den man die Wertungen der Grundrechte (vorliegend Art. 6 II - elterliches Erziehungsrecht) bei der Auslegung berücksichtigen kann.

UT

unvorsätzlicher Totschläger

21.10.2024, 17:15:59

Der Verweis auf 713 ist seit der Mopeg Änderung nicht mehr aktuell :)


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