Defensiver Notstand, Grundfall

2. April 2025

15 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

T geht im Stadtpark spazieren. Zu spät bemerkt er Fluffy, den Rottweiler des E, der sich losgerissen hat und mit gefletschten Zähnen auf T zustürmt. Er reißt T nieder und sie landen neben einem „Steinbeet“. T bekommt einen faustgroßen Stein zu fassen, womit er Fluffy erschlägt.

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Einordnung des Falls

Defensiver Notstand, Grundfall

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Hund des E ist eine für T fremde Sache (§ 303 StGB).

Genau, so ist das!

Taugliche Tatobjekte der Sachbeschädigung (§ 303 StGB) sind fremde Sachen. Darunter fallen alle körperlichen Gegenstände, beweglich oder unbeweglich. Auch Tiere unterliegen dem strafrechtlichen Sachbegriff und stellen taugliche Tatobjekte dar. § 90a S. 1 BGB ("Tiere sind keine Sachen.") steht dem nicht entgegen. Entscheidend ist, dass die Sache äußerlich abgrenzbar ist und Eigentum an ihr bestehen kann. Fremd ist eine Sache, wenn sie nicht im Alleineigentum des Täters steht oder herrenlos ist. Der Hund gehört dem E und stellt demnach eine für T fremde Sache im Sinne des § 303 StGB dar.
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2. T hat durch den Schlag mit dem Stein den Hund zerstört (§ 303 Abs. 1 StGB).

Ja, in der Tat!

Eine Handlungsmodalität der Sachbeschädigung (§ 303 Abs. 1 StGB) ist das zerstören. Eine Sache ist zerstört, wenn sie aufgrund der Einwirkung in ihrer Existenz vernichtet oder so wesentlich beschädigt ist, dass sie ihre bestimmungsgemäße Brauchbarkeit völlig verloren hat. Der Schlag mit dem Stein führte zum Tod des Hundes. Dieser wurde in seiner Existenz vernichtet, mithin zerstört (§ 303 Abs. 1 StGB).

3. Wenn T den Hund zerstört hat, um eine durch ihn drohende Gefahr von sich abzuwenden, ist sein Handeln gerechtfertigt, wenn die Zerstörung zur Abwendung der Gefahr erforderlich ist und der Schaden nicht außer Verhältnis zur Gefahr steht (§ 228 BGB).

Ja!

In objektiver Hinsicht verlangt § 228 BGB eine (1) Notstandslage und eine (2) Notstandshandlung. Außerdem muss der Täter in subjektiver Hinsicht mit (3) Verteidigungsabsicht (subjektives Rechtfertigungselement) handeln. § 228 BGB wird als defensiver Notstand bezeichnet, da der Täter hier in defensiver Weise eine Sache beschädigt oder zerstört, von der eine Gefahr droht. Dagegen wird § 904 BGB als aggressiver Notstand bezeichnet, da der Täter hier in aggressiver Weise auf eine Sache einwirkt, von der selbst gar keine Gefahr ausgeht.

4. Als T mit dem Stein geschlagen hat, befand er sich in einer Notstandslage (§ 228 BGB).

Genau, so ist das!

Eine Notstandslage (§ 228 BGB) liegt vor, wenn von einer Sache eine Gefahr für ein Rechtsgut droht. Eine Gefahr ist ein Zustand, der bei ungehindertem Fortgang den Eintritt eines Schadens für ein notstandsfähiges Rechtsgut ernstlich befürchten lässt, sofern nicht alsbald Abwehrmaßnahmen getroffen werden. Eine Gefahr droht bereits dann, wenn nach den tatsächlichen Umständen der Eintritt eines Schadens nahe liegt. Der Rottweiler hatte die Zähne gefletscht, war auf den T zugestürmt und hatte diesen zu Boden gerissen. Es war zu befürchten, dass der Hund nun auch zubeißen und jedenfalls die körperliche Unversehrtheit des T beschädigen würde.

5. Im Rahmen von § 228 BGB ist die Zerstörung oder Beschädigung einer Sache, welche erforderlich und verhältnismäßig ist, taugliche Notstandshandlung.

Ja, in der Tat!

Eine Notstandshandlung (§ 228 BGB) ist die Beschädigung oder Zerstörung der gefährlichen Sache, die erforderlich und nicht unverhältnismäßig ist. Erforderlich ist die Handlung, wenn sie geeignet ist und das relativ mildeste Mittel darstellt. Verhältnismäßig ist sie, wenn bei der Interessenabwägung der Schaden an der gefährlichen Sache nicht außer Verhältnis zu der drohenden Gefahr steht.

6. Das Erschlagen des Hundes mit dem Stein ist erforderlich (§ 228 BGB).

Ja!

Erforderlich ist die Notstandshandlung (§ 228 BGB), wenn sie geeignet ist und das relativ mildeste Mittel darstellt. Geeignet ist eine Handlung, wenn sie dazu förderlich ist, die Gefahr abzuwehren. Das mildeste Mittel setzt voraus, dass bei gleicher Eignung ein Mittel gewählt wurde, das per se milder ist als die anderen zur Verfügung stehenden Mittel. Die Zerstörung des Hundes mit dem Stein hat die Gefahr durch den Hund abgewehrt. Es wäre zwar grundsätzlich ein milderes Mittel gewesen, vor dem Hund wegzulaufen. Allerdings lag T am Boden. Ein anderes Mittel zur Abwehr der Gefahr war demnach nicht ersichtlich.

7. Das Erschlagen des Hundes mit dem Stein ist verhältnismäßig (§ 228 BGB).

Genau, so ist das!

Verhältnismäßig ist die Notstandshandlung, wenn bei einer Interessenabwägung der Schaden an der gefährlichen Sache nicht außer Verhältnis zu der drohenden Gefahr steht. Die Zerstörung des gefährlichen Hundes steht zu der körperlichen Unversehrtheit T’s nicht außer Verhältnis.

8. T handelte mit Verteidigungsabsicht (subjektives Rechtfertigungselement).

Ja, in der Tat!

Aus dem Wortlaut von § 228 S. 1 BGB („um“ … abzuwenden) ergibt sich, dass der Verteidiger einen Verteidigungswillen, d.h. eine zielgerichtete Verteidigungsabsicht haben muss. T wollte sich gegen den Hund Fluffy verteidigen.

9. T trifft eine Schadensersatzpflicht für den zerstörten Hund.

Nein!

Eine Schadensersatzpflicht trifft den Notstandstäter nur, wenn er die Gefahr verschuldet hat (§ 228 S. 2 BGB). Im Umkehrschluss besteht keine Schadensersatzpflicht, wenn der Täter die Gefahr nicht verschuldet hat. Der Hund hat sich losgerissen und reißt T nieder. T trifft keine Schuld. Die Rechtfertigungswirkung von § 228 S. 1 BGB bleibt von einer eventuell bestehenden Schadensersatzpflicht (§ 228 S. 2 BGB) nach h.M. unberührt.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

frausummer

frausummer

4.4.2022, 17:37:38

Was macht denn die Verhältnismäßigkeitsprüfung bei der

Notwehr

?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

6.4.2022, 13:27:02

Hallo Frausummer,

Notwehr

(§ 32 StGB bzw.

§ 227 StGB

) kann lediglich gegen einen menschlichen Angriff ausgeübt werden. Hier geht es indes um den defensiven Notstand gegen eine Sache. Im Gegensatz zur

Notwehr

tritt hier die Rechtfertigung nur dann ein, wenn die Notstandshandlung nicht außer Verhältnis zur abgewendeten Gefahr steht (Grother, in: MüKo-BGB, 9.A. 2021, § 228 RdNr. 10). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

DO

Dominik

6.2.2023, 19:32:21

Eine

Notwehr

lage besteht bei einem gegenwärtigen

rechtswidrig

en Angriff. Ein Angriff ist eine durch menschliches Verhalten

drohen

de Verletzung von Rechtsgütern. Wird ein Hund durch ‚aufhetzen’ von einem Menschen als Waffe eingesetzt, liegt somit ein Angriff und damit auch eine

Notwehr

lage vor. Geht ein Hund oder ein anderes Tier von selbst auf einen Menschen los, liegt somit kein Angriff vor. Tiere werden entsprechend den Regelungen zu Sachen und Tieren im BGB rechtlich wie Sachen behandelt -> daher liegt eine von einer Sache ausgehende Gefahr vor (bei störungsfreiem Fortgang des Verlaufs wäre mit einer Verletzung von Rechtsgütern (körperliche Unversehrtheit, Leben) durch die Sache (dem Hund) zu rechnen)-> Anwendung des

Defensivnotstand

s (228 BGB) möglich.

IS

IsiRider

24.2.2023, 10:30:41

Wie sind denn die Anforderungen an das Verschulden?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

25.2.2023, 09:40:44

Hallo IsiRider, danke für deine Frage. Die Verschuldensfähigkeit des Handelnden bestimmt sich analog §§ 827, 828. Anknüpfungspunkt des Verschuldensvorwurfs ist allein die Herbeiführung der Gefahr, wobei § 276 den Maßstab bildet und

zugunsten

des Handelnden ein etwaiges Mitverschulden des durch die Notstandshandlung Geschädigten nach § 254 Berücksichtigung findet. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Gruttmann

Gruttmann

27.12.2023, 17:22:32

Man würde hier doch, wenn der Hund durch den B

esi

tzer gehetzt worden ist, eine

Notwehr

prüfen, ich glaube schon. Ich frage mich jedoch, wie es wäre, wenn man den Hund von seinem Nachbarn auf jemand anderen hetzt. Ein Angriff wäre es, würde man aber nicht bei dem Prüfungspunkt bei

Notwehr

§32 StGB „Verteidigungshandlung gegen den Angreifer“ rausfliegen? Weil man seine

Notwehr

nicht gegenüber den Angreifer richtet, sondern gegenüber dem Hund des Nachbarn. Was meint ihr?

TI

Timurso

29.12.2023, 11:11:43

Würde ich auch so sehen ja. Hund des Nachbarn ist keine Sache des Angreifers, weshalb

Notwehr

ausscheidet. Natürlich ist jedoch auch in diesem Fall der Notstand möglich. In diesem Fall imo Aggressivnotstand, da die Gefahr nicht vom Hund, sondern vom Angreifer ausgeht.

Shark

Shark

26.11.2024, 13:40:35

@[Timurso](197555) Naja, die Gefahr geht ja trotzdem vom Hund aus. Wer daran "Schuld" ist, dass die Gefahr besteht ist mMn egal. Selbst wenn das Opfer "Schuld" an der Gefahr ist, kann § 228 einschlägig sein, das folgt ja schon aus Satz 2. Ist auch nicht unfair gegenüber dem Hundehalter, wenn man einen gefährlichen Hund hält, muss man darauf achten, dass der niemanden verletzt. Einen entsprechend erzogenen Hund, der keiner gefährlichen Rasse angehört, kann auch kein Dritter "hetzen", vor allem nicht so dabei die Wahrscheinlichkeit einer Güterschädigung besteht.

TI

Timurso

26.11.2024, 13:50:23

@[Shark](264930) gut argumentiert, schließe ich mich an.

Moltisanti

Moltisanti

2.3.2024, 23:15:47

Beispielsweise wird der (spätere vermeintliche) Verteidiger A gegen seinen Willen von B ( nicht Eigentümer der später beschädigten Tür) in einen Raum gestossen und die Tür wird von B zugehalten, sodass A es nicht mehr schafft rauszukommen. Nach 1 min versucht der A, irrig in der Annahme die Tür werde weiterhin von außen zugehalten, erneut den Raum zu verlassen, aber diesmal wendet er Gewalt gegen die Tür an, sodass diese zwar aufgeht, aber dabei auch erheblich beschädigt wird. Wie wäre dieser Fall im Rahmen des § 228 BGB zu beurteilen? Eine Notstandslage liegt zwar nicht mehr vor, aber A nahm eine solvhe an.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

4.3.2024, 15:54:48

Hallo Uncle Ruckus, bei der von Dir beschriebenen Konstellation handelt es sich um einen sog. "Putativnotstand", also eine Lage, bei der der Täter sich irrigerweise tatsächliche Umstände vorstellt, bei deren Vorliegen sein Handeln durch Notstand gerechtfertigt wäre. Dabei handelt es sich um einen Fall des sog.

Erlaubnistatbestandsirrtum

s (vgl. MüKoStGB/Erb, 4. Aufl. 2020, StGB § 34 Rn. 292), dessen rechtliche Behandlung im Detail umstritten ist. Nach hM scheidet eine Strafbarkeit wegen der

Vorsatz

tat aus und es kommt allein eine Bestrafung wegen einer Fahrlässigkeitstat in Betracht. Da die

fahrlässige Sachbeschädigung

nicht strafbewehrt ist, bliebe der Verteidiger also straffrei. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Moltisanti

Moltisanti

5.3.2024, 00:36:10

Dange!

Moltisanti

Moltisanti

5.3.2024, 00:39:51

Danke für die Antwort ! Wobei meine Frage eher auf den § 228 BGB abzielte und ich die Bewertung innerhalb des Zivilrechts im Sinn hatte und ich mich gefragt habe ob diese Norm auch Irrtümer erfasste

PAUL1

paul1ne

14.10.2024, 19:10:38

RIP Fluffy🥲

RICA

ricardal

21.10.2024, 19:26:43

Der arme Fluffy :((((


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