Schulbeispiel "Halver Hahn"

9. Mai 2023

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs Illustration zum Fall zum Schulbeispiel "Halver Hahn": Ein Gast bestellt in Köln einen „Halven Hahn“, und freut sich auf ein halbes Hähnchen. Er bekommt ein Käsebrötchen.

A bestellt in Köln einen „Halven Hahn“, und freut sich auf ein halbes Hähnchen. Er bekommt ein Käsebrötchen. Wirt W erklärt ihm, man verstehe in Köln unter einem „Halven Hahn“ ein Käsebrötchen.

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Einordnung des Falls

Schulbeispiel "Halver Hahn"

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ist bei der Auslegung der Bestellung des A der „wirkliche Wille“ (§ 133 BGB) des A maßgeblich?

Nein, das trifft nicht zu!

Bei der Auslegung von Willenserklärungen ist zu unterscheiden: (1) Bei nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen (z.B. Testament, Auslobung) ist der „wirkliche Wille“ (§ 133 BGB) des Erklärenden maßgeblich. (2) Bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen ist entgegen dem Wortlaut des § 133 BGB grundsätzlich nicht der „wirkliche Wille“ des Erklärenden maßgeblich. Ansonsten liefen die Anfechtungsregeln der §§ 119ff. BGB leer. Empfangsbedürftige Willenserklärungen sind so auszulegen, wie sie der Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen musste (Lehre vom objektivierten Empfängerhorizont, abgeleitet aus §§ 133, 157 BGB). Die Essensbestellung ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung. Maßgeblich ist der objektivierte Empfängerhorizont.
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2. Ist die Bestellung des A nach objektiviertem Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB) so zu verstehen, dass A ein Käsebrötchen bestellt hat?

Ja!

Bei der Auslegung nach dem objektivierten Empfängerhorizont ist weder das subjektive Verständnis des Erklärenden maßgeblich, noch das subjektive Verständnis des Erklärungsempfängers. Entscheidend ist die Sicht eines objektiven Verkehrsteilnehmers in der Situation des Erklärungsempfängers. Ein objektiver Verkehrsteilnehmer in der Situation des W hätte die Bestellung eines „Halven Hahns“ in Köln als Bestellung eines Käsebrötchens verstanden.

3. Kann A seine Willenserklärung anfechten (§ 119 Abs. 1 Alt. 1, § 142 Abs. 1 BGB).

Genau, so ist das!

Grundsätzlich sind Verträge bindend (pacta sunt servanda). In bestimmten Fällen macht das Gesetz eine Ausnahme und erlaubt die Anfechtung (§ 142 Abs. 1 BGB). Bei einem Inhaltsirrtum (§ 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB) besteht eine Diskrepanz zwischen dem Erklärten und dem Gewollten. Die Auslegung des wahren Willens des A ergibt, dass A ein halbes Hähnchen kaufen wollte. Bestellt hat er jedoch ein Käsebrötchen. Das Erklärte und das Gewollte fallen unbewusst auseinander. Darin liegt ein Inhaltsirrtum, der eine Anfechtung ermöglicht. Unter Umständen bestehen Schadensersatzansprüche des W gegenüber A gemäß § 122 BGB.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

RAP

Raphaeljura

26.4.2023, 01:00:12

Hallo. Welcher Sinn hat dann der Paragraph 133? Er bezieht sich ja nur auf nicht empfangsbedürftige WE. Dann würde es systematisch doch Sinn ergeben, denn in Zusammenhang mit diesen WE zu stellen.

SE.

se.si.sc

26.4.2023, 09:10:19

Den Sinn hat die Aufgabe doch gut beschrieben: § 133 BGB stellt klar, dass für (bestimmte) Willenserklärungen eben nicht das tatsächlich Erklärte, sondern das subjektiv Gewollte gilt. Zu deinem systematischen Vorschlag: Würde theoretisch Sinn ergeben, aber so ist das BGB eben nicht aufgebaut. Wenn du ins Inhaltsverzeichnis schaust, wirst du feststellen, dass es keinen Abschnitt über nicht-empfangsbedürftige Willenserklärungen gibt, sondern nur einen allgemeinen über Willenserklärungen (§§ 116-144), wobei § 133 dort nach Vorgaben über empfangsbedürftige Willenserklärungen steht (§§ 130-132). Einzelheiten zu besonderen Arten von nicht-empfangsbedürftigen Willenserklärungen (zB

Testament

) folgen dann eben später in den weiteren Büchern, das ist der klassische Aufbau "vom Allgemeinen zum Speziellen" bzw "AT vor BT".

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

26.4.2023, 13:55:49

**//

EB

Elias Von der Brelie

5.8.2023, 12:30:30

Hey. Kurze Frage: Der Wirt hat hier ja Schadensersatzanspruch. Wie wird dieser grob ermittelt? Per Definition ist es ja der Schaden welcher entstanden ist, dadurch dass der Wirt auf die Richtigkeit der Willenserklärung vertraut hat. Das wäre hier allerdings der Gesamte Bestellungspreis da das Käsebrötchen in einem normalen Laden ja schlecht weiterverkauft werden könnte. Bedeutet dies, dass eine Anfechtung hier (und in Ähnlichen Fällen) praktisch keinen Sinn hat? Man müsste schließlich immer noch den Vollen Preis Bezahlen ohne jedoch das Käsebrötchen zu bekommen.

DAV

David.

6.8.2023, 10:49:10

Der Vertrauensschaden ist durch ein

positives Interesse

begrenzt, das

positive Interesse

ist jedoch nicht iRd § 122 zu ersetzen. Vielmehr wird nur das

negative Interesse

berücksichtigt. Nach der Idee des Vertrauensschadens soll der Geschädigte so gestellt werden, wie er stünde, hätte es die Willenserklärung des A niemals gegeben. Dann hätte sich der Geschädigte die Produktionskosten des halven Hahns gespart. Diese Kosten sind dann auch nur zu ersetzen.

JO

JonasRehder

2.1.2024, 17:11:27

Ich würde hier insofern meinem Vorredner widersprechen, als dass zwar richtigerweise das

negative Interesse

durch das

positive Interesse

gedeckelt ist, aber dadurch nicht im Umkehrschluss gezogen werden kann, dass das

negative Interesse

nicht auch in der höhe des positiven Interesses bestehen kann. In diesem Fall oder, um es plastischer zu machen, wenn bspw. eine Kühlkette durchbrochen ist und das Essen nicht mehr weiter verkauft werden kann, kann der Schadensersatzanspruch schon gleichlaufend mit dem positivem Interesse bestehen. Insofern hat der Wirt dieses Käsebrötchen nunmal bereits produziert, wenn er es nun nicht weiterverkaufen kann, kann ihm insofern ein Schaden in dieser Höhe und nicht nur in der Höhe der Produktionskosten entstehen. Denn, wie in der Ausgangsfrage der Fall, hat er dieses Käsebrötchen und das daraus entstehende Entgelt in voller Gänze verloren und wenn in der Folge seine Käsebrötchen aus sind (natürlich ein wenig übertrieben), wäre er bei stringenter Anwendung des negativen Interesses der Vertrauensschaden sein entgangener Gewinn aus einem Geschäft über jenes Käsebrötchen mit einem Dritten. Anbei dazu folgende Fundstelle: Auch der entgangene Gewinn (§ 252) aus einem Geschäft mit einem Dritten, das der Anspruchsteller im Vertrauen auf die Gültigkeit des Ausgangsvertrags ausgeschlagen hat, stellt einen Vertrauensschaden iSd §§ 122, 179 II dar. (Willems, JuS 2015, 586, beck-online) Es kommt aber natürlich immer auf den Einzelfall an und die Informationen im Sachverhalt an

DAV

David.

2.1.2024, 17:33:00

Dies wäre tatsächlich kein Geschäft mit einem Dritten. Der entgangene Gewinn kann hier nicht ersetzt werden, schließlich handelt es sich hierbei um einen klassischen Vertrauensschaden und dieser kann nicht mit einem entgangenen Gewinn gleichgesetzt werden. Es ist zwar denkbar, dass im Vertrauen auf die Wirksamkeit eines Vertrages ein anderes Geschäft geschlossen wurde, dessen Gewinn dem Ersatzberechtigten nun entgeht, die Konstellation ist dann jedoch eine andere. Um mal ein Beispiel zu nennen: K bestellt bei V eine Graphik des Künstlers A, die in 150 Exemplaren existiert. Der Preis inklusive Anfertigung eines passenden Rahmens ist günstig und beträgt 1000 € statt der sonst Markt üblichen 1200 €. K verkauft die Graphik mit Rahmen noch vor Lieferung an den D für 1500 €. Ebenfalls vor Lieferung ficht V den Kaufvertrag wegen eines Irrtums nach § 119 Abs. 2 wirksam an. Der Irrtum darf sich allerdings nicht auf einen mangelbegründenden Umstand bezogen haben, da die Anfechtung nach § 119 Abs. 2 ansonsten ausgeschlossen ist. Die anderen Galeristen haben ihre Preise für dasselbe Bild mit Rahmen nunmehr auf 1500 € erhöht. Der Vertrauensschaden des K beträgt 300 €: Hätte er nicht auf die Wirksamkeit des Vertrages mit V vertraut, hätte er Bild und Rahmen zu diesem Zeitpunkt auf dem Markt anderweitig für 1200 € angeschafft und durch den Verkauf eine Gewinnmarge von 300 € erzielt.

JO

JonasRehder

4.1.2024, 11:08:50

Ich glaube, da kommunizieren wir aneinander vorbei: Der Ausgangsfall bzw. der behandelte Spin-Off behandeln ja den Fall, dass durch das Inverkehrbringen ein anderes Geschäft entgangen ist, da das Brötchen nunmehr nicht weiterverkauft werden kann. Dafür trägt selbstverständlich der Wirt die Darlegungs- und Beweislast. Wenn er nun aber beweisen kann, dass ihm die Käsebrötchen ausgegangen sind und er dementsprechend einen anderen Kunden nicht bedienen konnte, dann ist ihm tatsächlich ein anderes Geschäft entgegen, welches er hätte abschließen können. Demnach kann er in diesem Fall abseits etwaiger Schadensminderungspflichten Anspruch auf den entgangenen Gewinn aus diesem Alternativgeschäft. Insofern empfehle ich (dort allerdings bei einem Fahrradstellplatz ablehnend, da der Beweis eines tatsächlich entgangenen Geschäftes nicht geführt werden konnte) das Urteil des AG Frankfurt a. M. vom 04.08.2022 – 31 C 236/22 (96). Wie gesagt, alles immer abhängig vom Einzelfall und Sachverhalt und die Führung eines solchen Beweises wird gerade in diesem Fall regelmäßig schwierig sein.

DAV

David.

7.1.2024, 02:42:56

Es macht jedoch durchaus einen großen Unterschied, ob das Käsebrötchen lediglich nicht weiterverkauft werden kann (Konstellation von Elias), oder ob dem Gastwirt ein Geschäft mit Dritten entgangen ist, da ihm die Käsebrötchen ausgegangen sind, ein Dritter ein solches bei Verfügbarkeit jedoch gekauft hätte. Zweite Konstellation ist ja lediglich von dir reininterpretiert. Die Konstellation von Elias beschreibt den klassischen Vertrauensschaden, bei dem der entgangene Gewinn nicht ersetzt wird. Du beschreibst hingegen einen Spin-Off vom Spin-Off, zu dem es natürlich auch kommen könnte. Die klassischen halven Hahn Fälle sind allerdings so zu lösen, dass lediglich die Produktionskosten zu ersetzen sind, dass die Lösung bei entsprechendem Sachverhalt auch anders ausfallen kann, ist natürlich korrekt, ohne weitere Informationen wäre allerdings sein Spin-Off so zu lösen, wie ich die Lösung darstellte. Ich denke mal, dass seine Frage auch eher auf den klassischen halven Hahn Fall abzielte. Siehe dazu auch folgenden Aufsatz: https://archiv.ub.uni-heidelberg.de/volltextserver/27553/1/jura-2016-0105.pdf.

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

17.9.2024, 11:08:44

Hallo @[Elias Von der Brelie](209668), vielen Dank für die spannende Nachfrage und danke auch an @[David.](176382) und @[JonasRehder](141758) für die gute Diskussion. Ich werde mal versuchen, das Ganze aus meiner Sicht etwas aufzuklären: Der Schadensersatzanspruch aus § 122 I BGB ist gerichtet auf den Vertrauensschaden, der Höhe nach begrenzt durch das

Erfüllungsinteresse

. Wie schon völlig richtig gesagt wurde, hängt das Ergebnis in unserem Fall maßgeblich von den Umständen ab, über die wir nicht viel wissen: Kann/darf das Brötchen (lebensmittelrechtlich) noch weiterverkauft werden? Gibt es andere Kunden für Käsebrötchen oder wurde es speziell für A zubereitet? Gab es evtl sogar einen Kunden mit konkreter Kaufabsicht des Käsebrötchens, den W wegschicken musste, weil es das letzte Käsebrötchen war, das an A gehen sollte? etc Wie ich den Fall hier sehe, hat W aber lediglich einen Anspruch auf Ersatz der Produktionskosten für das Käsebrötchen, seinen Vertrauensschaden. Er hat dagegen keinen Anspruch auf Ersatz des Verkaufspreises, denn das wäre sein

Erfüllungsinteresse

an dem angefochtenen Vertrag, das er über § 122 I BGB gerade nicht verlangen kann. Dass der Vertrauensschaden der Höhe nach auf den Erfüllungsschaden begrenzt ist, heißt nicht, dass Anspruch auf den Erfüllungsschaden besteht. Umgekehrt ist aber natürlich denkbar, dass der Vertrauensschaden im Einzelfall einmal in (bzw bis zur) Höhe des Erfüllungsschadens besteht. Was mE ganz wichtig ist: Die bloße Tatsache, dass das Brötchen nicht weiterverkauft werden kann, dürfte es nicht rechtfertigen, W nach § 122 I BGB Schadensersatz iHd Verkaufspreises zuzusprechen. Das wäre nämlich nicht der Vertrauensschaden, sondern der Erfüllungsschaden, das Interesse des W an der Durchführung des angefochtenen Geschäfts. Insoweit ist also der "entgangene Gewinn" nicht zu ersetzen. Etwas anderes ist jedoch der entgangene Gewinn aus einem Geschäft, das W in der Zwischenzeit (im Zeitraum zwischen Bestellung des A und seiner Anfechtung) abgelehnt hat, indem er einen Kunden weggeschickt hat, der das Brötchen gekauft hätte. Das ist wiederum Vertrauensschaden und damit über § 122 I BGB ersatzfähig (dazu BeckOGK/Rehberg, Stand 1.6.24, § 122 Rn 10; Heidel/Hüßtege/Mansel/Noack/Feuerborn, BGB, Bd 1, 4. Aufl 2021, § 122 Rn 9). Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

Philip

Philip

31.10.2024, 15:15:59

Dazu hätte ich nochmal eine Nachfrage: Herr Schmitt schreibt, dass W einen Anspruch auf Ersatz der Produktionskosten hat, aber was fällt darunter? Natürlich die Materialkosten, aber auch anderweitige Kosten wie Stromkosten, Lohn (für den Wirt, der das Brötchen vorbereiten musste)?


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