Zivilrecht

Schuldrecht Allgemeiner Teil

Dreipersonenverhältnisse

Einbeziehungsinteresse – Gutachterfälle

Einbeziehungsinteresse – Gutachterfälle

19. April 2025

28 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

V beauftragt Gutachterin D damit, den Wert seines Grundstücks festzustellen. Das Ergebnis will V Kaufinteressenten vorlegen. D übersieht fahrlässig Schäden im Dachboden und bescheinigt einen zu hohen Grundstückswert. K kauft auf dieser Grundlage von V das Grundstück zu einem überhöhten Preis ab.

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Einordnung des Falls

Einbeziehungsinteresse – Gutachterfälle

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K hat einen vertraglichen Schadensersatzanspruch gegen D nach § 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB.

Nein, das trifft nicht zu!

Der Anspruch aus §280 Abs. 1 BGB setzt voraus: (1) ein bestehendes Schuldverhältnis, (2) eine (Schutz-) Pflichtverletzung des Schuldners, (3) die dieser zu vertreten hat und (4) durch die dem Gläubiger ein Schaden entstanden ist. Lediglich V und D haben hier einen Werkvertrag über die Erstellung eines Gutachtens abgeschlossen. Zwischen F und N bestand dagegen kein eigenes Schuldverhältnis.
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2. K könnte gegen D ein Schadensersatzanspruch nach §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB i.V.m. den Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung Dritter (VSD) zustehen.

Ja!

Zunächst muss ein Vertrag zwischen Gläubiger und Schuldner bestehen. Die Einbeziehung nach dem VSD setzt sodann (1) Leistungsnähe des Dritten, (2) Einbeziehungsinteresse des Gläubigers, (3) Erkennbarkeit für den Schuldner und (4) Schutzbedürftigkeit des Dritten voraus. LeGES: Leistungsnähe, Gläubigernähe, Erkennbarkeit, Schutzbedürftigkeit. Für Lateinliebhaber: Leges ist der Plural von "lex" und bedeutet übersetzt „Gesetze“.

3. K kam mit Ds Leistungpflicht, dem erstellten Gutachten, bestimmungsgemäß in Berührung. Leistungsnähe liegt vor.

Genau, so ist das!

Leistungsnähe bedeutet, dass der Dritte bestimmungsgemäß mit der Leistung in Berührung kommt und den Gefahren einer Pflichtverletzung ebenso ausgesetzt ist wie der Gläubiger. Zu fragen ist, ob der Dritte mit der Verletzung der Nebenpflicht, die Rechtsgüter des anderen zu schützen (§ 241 Abs. 2 BGB), typischerweise ebenso in Berührung kommt wie der Gläubiger selbst. Das Gutachten sollte dazu dienen, Kaufinteressenten vorgelegt werden. Daraus ergibt sich, dass diese - und damit auch K - bestimmungsgemäß mit der Leistung in Berührung kommen sollen..

4. V hatte nach der Rechtsprechung des BGH ein Interesse daran, dass D in die Schutzpflichten aus dem Gutachtervertrag einbezogen wird.

Ja, in der Tat!

Einbeziehungsinteresse bedeutet: Der Gläubiger ist entweder für das "Wohl und Wehe" des Dritten verantwortlich oder hat ein sonstiges besonderes Interesse an dessen Einbeziehung, das bei Vertragsauslegung eine Ausdehnung des Vertrags rechtfertigt. Ein besonderes Interesse liegt in der Regel vor, wenn die geschuldete Leistung im Interesse des Dritten erbracht wird. Dient die Leistung dem Dritten als Entscheidungsgrundlage für Vermögensdispositionen, so bejaht die Rechtsprechung ein Einbeziehungsinteresse sogar dann, wenn die Interessen des Gläubigers und des Dritten gegenläufig sind.Obwohl die Interessen von V und K bezüglich des Inhalts des Gutachtens gegenläufig sind (V will hohen Bewertungspreis, K einen geringen), ist ein Einbeziehungsinteresse nach der Rechtsprechung zu bejahen. Denn das Gutachten sollte gerade dazu dienen K vorgelegt zu werden.

5. Für ein Einbeziehungsinteresse spricht in Gutachterfällen, dass dem Verkäufer daran gelegen ist, dass das Gutachten einen hohen Beweiswert hat.

Ja!

BGH: Wer bei einer Person mit besonderer Sachkunde ein Gutachten bestelle, um davon gegenüber einem Dritten Gebrauch zu machen, sei in der Regel daran interessiert, daß die Ausarbeitung die entsprechende Beweiskraft besitzt. Dies sei jedoch nur dann gewährleistet, wenn der Verfasser sie objektiv nach bestem Wissen und Gewissen erstelle und auch dem Dritten gegenüber dafür einstehe.Hieran hält die Rechtsprechung auch nach der Schuldrechtsmodernisierung 2002 und der damit verbundenen Einführung des § 311 Abs. 3 S. 2 BGB fest.

6. Gegen ein Einbeziehungsinteresse spricht, dass die Interessen des Verkäufers (hoher Verkaufswert) und des Käufers (niedriger Kaufpreis) regelmäßig gegenläufig sind.

Genau, so ist das!

Weite Teile der Literatur lehnen eine Einbeziehung des Dritten in den Gutachterfällen ab. Die Interessen des Verkäufers und Käufers mit Blick auf das Gutachten seien gegenläufig. Bejahe man selbst hier ein Einbeziehungsinteresse, so würde dieses Kriterium gänzlich ausgehöhlt. Zudem stünde für diese Fälle seit der Schuldrechtsreform 2002 eine gesetzliche Kodifikation in Form der Sachwalterhaftung zur Verfügung (§ 311 Abs. 3 S. 2 BGB). Die Verfasser der Reform hätten explizit darauf hingewiesen, dass in den Gutachterfällen nun eben diese Sachwalterhaftung in Betracht käme (Begr. RegE. BT-Drs. 14/6040 S. 163).Die Falllösung unter Rückgriff auf Sachwalterhaftung findest du: hier!

7. Wenn V der K die Mängel bewusst verschwiegen hätte, wäre auch nach der Rechtsprechung des BGH eine Einbeziehung ausgeschlossen.

Nein, das trifft nicht zu!

BGH: Der Annahme eines Vertrags mit Schutzwirkung für Dritte stünde es nicht entgegen, wenn der Verkäufer versuche, durch arglistiges Verhalten, das Gutachten zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Zwar könne dies ein Indiz dafür sein, daß der Verkäufer kein Interesse an einem objektiv richtigen, auch den Interessen eines Kaufinteressenten entsprechenden Wertgutachten habe. Dieser verborgen gebliebene innere Wille sei jedoch unerheblich. Maßgeblich sei vielmehr der objektive Erklärungswert der Mitteilung an den Gutachter, dass Zweck der Begutachtung die Vorlage an Dritte sei.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

DGR

DGR

22.7.2022, 16:03:23

Geht es nicht um das Einbeziehungsinteresse in Bezug auf K, wenn ich richtig gelesen habe stand dort vorhin Einbeziehungsinteresse des D

DGR

DGR

22.7.2022, 16:10:47

Oh es geht um ein Anspruch gegen D jetzt macht es Sinn. Kommentar kann gerne gelöscht werden

LRS

LRS

21.11.2022, 22:57:40

Darauf bin ich auch gerade gestoßen. Entsprechen sich die Formulierungen für das Gläubigerinteresse? 1) Interesse, dass Schuldner D in die

Schutzpflichten

aus dem Gutachtervertrag einbezogen wird 2) Interesse, dass Dritter K in den Schutz aus dem Gutachtervertrag einbezogen wird ? Vielen Dank schonmal! Tolles Kapitel :)

LEO

Leonie

3.5.2024, 12:50:19

Ich würde hier auch behaupten, dass es sich um das Einbeziehungsinteresse bzgl. des K handeln muss. K ist der Dritte und nicht D. D ist ja schon im Gutachtervertrag als Vertragspartei vorhanden, sie muss damit nicht einbezogen werden. Das Gläubigerinteresse des V bezieht sich auch in der Subsumtion im Text auf den Dritten K. Eine Änderung im Fragetext wäre deswegen super :)

Marius2609

Marius2609

1.4.2025, 10:42:19

Darüber bin ich auch gerade gestoßen: „V hatte nach der Rechtsprechung des BGH ein Interesse daran, dass D in die

Schutzpflichten

aus dem Gutachtervertrag einbezogen wird.“ Zwischen V und D bestehen ja aufgrund des Gutachtervertrages eh schon

Schutzpflichten

.

REA🇺🇦

RealOmnimodo 🇺🇦

20.11.2022, 15:28:23

Toll, wie ihr versucht verschiedene Rechtsgebiete miteinander zu verbinden! Das weiß man erst zu schätzen, wenn man den ganzen Stoff einmal gehört hat. 😊

Nora Mommsen

Nora Mommsen

21.11.2022, 10:25:10

Hallo RealOmnimodo, danke für das tolle Lob! Das spornt uns an, weiter Aufgaben für euch zu produzieren. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Burumar🐸

Burumar🐸

15.4.2023, 13:45:29

einmal steht F und N

REUS04

Reus04

6.9.2023, 17:38:30

Was ist mit einem Anspruch gg. D aus §

311 III BGB

? Sie nimmt ja besonderes Vertrauen in Anspruch.

CR7

CR7

11.10.2023, 19:22:07

M.E müsste der Anspruch durchgehen, so dass dann die Schutzwürdigkeit zu verneinen ist.

Susan

Susan

18.11.2023, 17:58:52

Toller Fall! Ich habe hier bloß ein technisches Problem: Bei der Frage mit den gegenläufigen Interessen wird in der Vertiefung auf eine weitere Fallösung verwiesen (Falllösung unter Rückgriff auf

Sachwalterhaftung

). Der Link funktioniert bei mir leider nicht (zumindest in der Webversion) - ich lande nur bei der Jurafuchs-Startseite.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

22.11.2023, 14:35:14

Liebe Susan, vielen Dank für das Lob und auch den Hinweis! Damit wir dem noch gezielter nachgehen können, wäre es klasse, wenn Du uns noch nähere Informationen zu dem von Dir verwendeten Browser an unseren technischen Support schicken könntest (support@jurafuchs.de). Die entsprechenden Informationen findest Du, wenn Du unter dem Reiter "Du" 3x schnell auf Profil klickst! Dann werden wir versuchen, das Problem schnellstmöglich zu beheben. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

QUIG

QuiGonTim

13.3.2024, 20:15:53

Ist es in diesem Fall von Bedeutung, dass die Erstellung des sachgerechten Gutachtens gegenüber V eine

Leistungspflicht

, jedoch gegenüber K allenfalls eine Schutzpflicht ist?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

15.3.2024, 12:16:09

Hallo QuiGonTim, danke für deine Frage! Beim VSD wird K in den Schutzbereich des Vertrages zwischen V und D einbezogen, das heißt es kann zu unterschiedlichen Ausprägungen kommen, die

Schadensersatz

ansprüche bestehen aber, als wäre sie originär Teil des Vertrags - es stehen ihr die vollen

Schadensersatz

ansprüche wegen unterschiedlicher

Pflichtverletzung

en vor. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

HAN

hanna2024

15.8.2024, 06:59:52

Verschweigt der V die Mängel am Haus arglistig, würde der Anspruch aus VSD gegen D doch aber sowieso an der fehlenden Schutzbedürftigkeit scheitern oder? Dann bestünden ja auch Ansprüche gegen den V selbst.

HAN

hanna2024

15.8.2024, 07:05:35

Hat sich nach den dazugehörigen Aufgaben erledigt:D

Wendelin Neubert

Wendelin Neubert

16.8.2024, 16:07:29

Danke @[hanna2024](63083), freut mich, dass sich Deine Frage nach den nachfolgenden Aufgaben geklärt hat :) Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team

G0d0fMischief

G0d0fMischief

31.10.2024, 10:26:46

Bejaht man eine Schutzbedürftigkeit des Dritten dann würde ein Anspruch aus § 311 III 2 BGB aber nicht mehr bejaht werden oder? Diese würden im vorliegenden Fall ja beide gleichermaßen den

Schadensersatz

anspruch des Dritten abdecken. Wäre es vorliegend daher nicht sogar falsch eine Schutzbedürftigkeit des Dritten zu bejahen, da diesem im vorliegenden Fall ein

Schadensersatz

anspruch aus §§ 280 I, 311 III 2, 241 BGB zusteht?

AS

as.mzkw

9.11.2024, 13:03:31

Sehr gute Frage, die ich mir auch gestellt hatte! Falls die wer beantworten könnte, wäre das super.

KIT

KiTo

12.2.2025, 14:25:58

Ob man diese Problematik (= Haftung von Experten gegenüber Dritten) im Rahmen des § 311 III 2 BGB oder über den VSD löst, ist umstritten. Der BGH zieht den VSD heran, um im Rahmen dieser Prüfung den Vertrag zwischen Auftraggeber und Gutachter (o. anderer Experte) auslegen und so die Interessen der Beteiligten besser würdigen zu können. Dadurch kann im Einzelfall eine wohl sachgerechtere Lösung herbeigeführt werden, insbesondere hinsichtlich möglicher Haftungsbegrenzungen des beauftragten Sachverständigen. (vgl. Emmerich in MüKo 2022, § 311 Rn. 217.) Wenn sich beispielsweise bei Auslegung des Vertrags zwischen Gutachter und Verkäufer ergeben hätte, dass der Gutachter gegenüber Dritten für diesen Fall nicht haften soll, dann wäre wohl auch die

Gläubigernähe

i.R.d. VSD abzulehnen, da die Leistung des Schuldners (Sachverständiger) dem Dritten gerade nicht zu Gute kommen soll und der Vertragszweck damit auch nicht nahelegt, dass sich die

Schutzpflichten

auf den Dritten erstrecken. Ein vertraglicher Durchgriff des Dritten gegen den Sachverständigen wäre folglich nicht möglich und es bliebe lediglich bei deliktischer Haftung. Anzumerken ist jedenfalls, dass die Lösung über § 311 III 2 BGB auch vertreten wird und sich die genannten Erwägungen m.E. wohl auch dort in die Prüfung einbauen ließen. Die Schutzbedürftigkeit würde dann auch m.E. in diesem Fall entfallen. Da man die Schutzbedürftigkeit üblicherweise zum Schluss der VSD-Prüfung vornimmt, würde man sich damit aber wohl kaum wichtige Punkte abschneiden :).

AME

Amelie7

13.1.2025, 17:41:24

Wieso wird hier auf die Person die direkt schädigend tätig wird als

Anspruchsgegner

abgestellt und in dem Fall vorher auf die Person, die, würde ein Vertrag vorliegen, nur der Vertragspartner ist und nicht tätig wurde?


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