Bewerbungsgespräch (Gesundheitszustand)

22. November 2024

4,8(14.922 mal geöffnet in Jurafuchs)

[...Wird geladen]

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Unternehmer U sucht Akkordarbeiter für die Bedienung der Maschinen in seiner Fabrik. Weil dies schwere körperliche Arbeit ist, müssen alle Bewerber einen Fragebogen zu ihrer Gesundheit ausfüllen. Die Schwerbehinderte A gibt wahrheitswidrig an, dass sie völlig gesund sei und wird daraufhin angestellt.

Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

...Wird geladen

Einordnung des Falls

Bewerbungsgespräch (Gesundheitszustand)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A hat U arglistig getäuscht (§ 123 Abs. 1 BGB).

Genau, so ist das!

Tatsachen sind alle Umstände der Gegenwart oder Vergangenheit, die dem Beweis zugänglich sind. Die Gesundheit ist ein solcher Umstand der Gegenwart. A täuschte auch vorsätzlich über diese Tatsachen hinweg und handelte mithin arglistig.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. U kann wegen arglistiger Täuschung anfechten (§ 123 Abs. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

Grundsätzlich trifft den Arbeitnehmer im Bewerbungsgespräch eine Wahrheitspflicht. Ein Recht zur Lüge bei der Frage des Arbeitgebers nach einer Körperbehinderung durch einen Stellenbewerber besteht nur dann, wenn die verschwiegene Behinderung erfahrungsgemäß die Eignung des Arbeitnehmers für die vorgesehene Tätigkeit nicht beeinträchtigt. U fragt nach der Gesundheit, weil die Akkordarbeit in seinem Maschinenbetrieb schwer und im Akkord ist. Dies erfordert eine gute Gesundheit, um weitere Gesundheitsschäden durch Überlastung zu vermeiden. Eine Schwerbehinderung beeinträchtigt hierbei die Eignung des Arbeitnehmers zur Ausführung der Akkordarbeit. A durfte also nicht lügen.

3. Der Arbeitsvertrag ist bei Anfechtung durch U von Anfang an (ex-tunc) nichtig.

Nein!

Grundsätzlich wirkt die Anfechtung ex-tunc (§ 142 Abs. 1 BGB). Eine Rückabwicklung der Leistungen erfolgt dann nach § 812 ff. BGB. Bei Arbeitsverhältnissen bestehen jedoch viele wechselseitige Ansprüche, die schwer rückabzuwickeln sind, und es droht der nachträgliche Verlust wichtiger Arbeitnehmerschutzrechte, z.B. Entgeltfortzahlung und Urlaubsentgelt. Um diese Unbilligkeit zu vermeiden, werden bereits in Vollzug gesetzte Arbeitsverhältnisse grundsätzlich für die Vergangenheit als voll wirksam behandelt. Die Anfechtung entfaltet dann lediglich Wirkung für die Zukunft. Mithin ist der Arbeitsvertrag erst ab dem Zeitpunkt der Anfechtung als nichtig anzusehen (ex-nunc).
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

KI

kimboslice

19.1.2022, 22:56:18

Hi :) Wäre es nicht richtig, dass das Geschäft trotzdem ex-tunc nichtig ist, und lediglich ex-nunc behandelt wird? Oder verwechsle ich hier etwas? Danke im Voraus!

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

20.1.2022, 12:54:17

Hallo kimboslice, vielen Dank für Deine Nachfrage. Terminologisch bringt eine solche Unterscheidung nach mE keinen Mehrwert. Entgegen des Wortlautes des § 142 Abs. 1 BGB hat die Rechtsprechung und arbeitsrechtliche Literatur die Auffassung entwickelt, die Norm sei grundsätzlich auf "in Vollzug gesetzte" Arbeitsverhältnisse nicht anwendbar (vgl. BAG NZA 1999, 584). Insofern wird der Vertrag lediglich für die Zukunft beseitigt und damit ex nunc. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

QUIG

QuiGonTim

10.3.2022, 16:42:53

Beruht diese Behandlung bereits in Vollzug gesetzter Arbeitsverhältnisse allein auf der Rechtsfortbildung von Rechtsprechung und L

ehre

oder gibt es auch Normen, die dies untermauern?

VIC

Victor

10.3.2022, 17:10:51

Nein ersteres ist der Fall. Es gibt keine Normen die dieses Institut untermauern. Nur der Umkehrschluss aus den Folgen von § 812, dem Gedanken des besonderen AN-Schutz und irgendwo immer Treu und Glauben

FABY

Faby

3.4.2022, 19:45:00

Kann man sagen, dass § 142 I BGB dann teleologisch reduziert wird?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

4.4.2022, 13:16:00

Hallo Faby, in der Tat läuft die die

Lehre vom fehlerhaften Arbeitsverhältnis

auf eine teleologische Reduktion des

§ 142 BGB

hinaus (vgl. Preis, in: ErfK, 22.A. 2022, § 611a RdNr. 145). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Jakob G.

Jakob G.

5.8.2024, 15:12:53

Moin liebes Team! das hier stets als Sachverhaltsteil begriffene Bild enthält einen Fragebogen mit Ankreuzfeld für "Behinderung"; im schriftlichen Teil wird von Schwerbehinderung geschrieben. So wie ich das rechte Bild deute, bezieht sich dies auf das Vorstellungsbild des Arbeitgebers / Betrachters, jedwede Behinderung allgemein würde zu einer Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit und einer Untauglichkeit für Akkordarbeit führen. Möglicherweise liege ich da auch falsch, aber eine Klarstellung wäre hilfreich. Diese Aussage mag für viele körperliche Behinderungen zutreffen, wie aber die Paralympics zeigen, gilt das nicht für jede körperliche Behinderung. Zudem gibt es auch rein geistig bedingte Behinderungen, bei denen die Fähigkeit zur Akkordarbeit ungebremst sein kann.

CL@

cl@ra

9.9.2024, 20:49:04

Greift hier nicht eine Rückausnahme von der Annahme der ex nunc Nichtigkeit, weil hier aufgrund arglistiger Täuschung angefochten wurde? Geht das BAG nicht davon aus, dass ex tunc abgewickelt wird, weil der Täuschende sich nicht auf den Bestand des Vertrages verlassen kann? Außerdem hab ich den Sachverhalt so verstanden, dass der Arbeitsvertrag noch nicht vollzogen wurde, sodass noch keine Arbeitsleistungen erbracht wurden. Bleibt es in diesem Fall nicht auch bei der ex tunc Regel?

Tobias Baumgarten

Tobias Baumgarten

18.9.2024, 18:50:26

Bei Dauerschuldverhältnissen wie dem Arbeitsvertrag geht es in der Regel nur ex-nunc, weil Leistungen bereits erbracht wurden und nicht mehr zurückgewährt werden können (z.B. Arbeitsleistung oder Wohnen beim Mietvertrag). Tatsächlich beschreibt der Sachverhalt allerdings nicht explizit, dass bereits eine Arbeitsleistung erbracht wurde.

B.H.

B.H.

25.9.2024, 11:36:53

Würde an dieser Stelle nicht auch eine Anfechtung wegen eines

Eigenschaftsirrtum

s gem. § 119 II Alt. 1 BGB greifen?

DAN

Daniel

7.11.2024, 19:02:09

Aus meiner Sicht ja, da die Behinderung der Person auch dauerhaft anhaftet. Jedoch wäre dies für den Anfechtenden wegen der Schadensersatzpflicht aus § 122 Abs. 1 BGB nachteilig und der arglistig Täuschende zumindest auch nicht schutzwürdig. Das ist aber durch den

§ 122 BGB

in der Form nicht berücksichtigt und müsste ausgelegt werden, wenn es nicht schon genau dafür den

§ 123 Abs. 1 BGB

geben würde :)


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen