+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

M stellt seine Frau F wegen anzüglicher SMS an einen anderen Mann zur Rede. F antwortet, er solle verschwinden. Dabei äußert sie sinngemäß, alles wäre ok, wenn sie ihn nun umbringe. Als F aufstehen will, hält M sie mit dem Arm zurück, um ihr den Weg zu einem nahegelegenen Messer zu versperren. M greift wütend selbst danach und ersticht sie.

Einordnung des Falls

Ausnutzungsbewusstsein bei Heimtücke

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. M könnte sich wegen Mordes strafbar gemacht haben (§ 211 StGB).

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Ja, in der Tat!

Den Tatbestand des Mordes verwirklicht, wer (1) einen anderen Menschen tötet und dabei (2) mindestens ein Mordmerkmal erfüllt. M hat F mit dem Messerstich getötet. Ob er den Tatbestand des Mordes verwirklicht hat, hängt davon ab, ob er zusätzlich ein Mordmerkmal verwirklicht hat. Anders als beim Totschlag besteht beim Mord kein Spielraum im Hinblick auf die Bestrafung des Täters. Das Gesetz sieht ausschließlich die lebenslange Freiheitsstrafe vor. Aufgrund dieses Umstandes ist das Vorliegen von Mordmerkmalen - und damit die Abgrenzung zum Totschlag - besonders gründlich zu prüfen.

2. M könnte das Mordmerkmal der Heimtücke verwirklicht haben (§ 211 Abs. 2 Var. 5 StGB).

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Ja!

Heimtückisch handelt, wer in feindseliger Willensrichtung die Arg- und dadurch bedingte Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Arglos ist das Tatopfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs nicht mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten erheblichen Angriff rechnet. Wehrlos ist, wer infolge der Arglosigkeit zur Verteidigung außerstande oder in seinen Verteidigungsmöglichkeiten stark eingeschränkt ist. Das Mordmerkmal der Heimtücke ist aufgrund seiner hohen praktischen Bedeutung und der vielen verschiedenen möglichen Fallkonstellationen besonders beliebt. Hier solltest du dich gut auskennen.

3. Unterstellt, Fs Äußerung war ernst gemeint, muss man starke Zweifel an ihrer Arglosigkeit erheben.

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Genau, so ist das!

Arglos ist das Tatopfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs nicht mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten erheblichen Angriff rechnet. Irrelevant ist, ob das Opfer gerade einen Angriff gegen das Leben erwartet oder es die Gefährlichkeit des drohenden Angriffs in ihrer vollen Tragweite überblickt. Laut BGH könnte die Äußerung der F nahelegen, dass sie ihrerseits von einer drohenden schweren tätlichen Auseinanderausetzung ausging. Ihre Aufstehbewegung könnte dann darauf hindeuten, dass sie M selbst angreifen wollte. Dies sei aber vom Landgericht nicht genügend aufgeklärt worden (RdNr. 9).

4. Zumindest fehlt M aber der Vorsatz bezüglich Fs Arglosigkeit (sog. Ausnutzungsbewusstsein).

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Ja, in der Tat!

Subjektiv erfordert der Heimtückemord neben dem Tötungsvorsatz auch ein Ausnutzungsbewusstsein. Der Täter muss die Arglosigkeit des Opfers erkennen und bewusst ausnutzen. Ein Ausnutzungsbewusstsein kann aus dem objektiven Bild des Geschehens abgeleitet werden, wenn dessen gedankliche Erfassung durch den Täter auf der Hand liegt. BGH: M streckte seinen Arm aus, um F daran zu hindern, nach dem Messer zu greifen. Daraus sei aber zu schließen, dass er sie nicht für gänzlich arglos gehalten habe (RdNr. 11). Auch die Plötzlichkeit des Angriffes hat der BGH nicht ausreichen lassen, um von einem geplanten Ausnutzen der Arg-und Wehrlosigkeit auszugehen. Vielmehr sei dies mit Ms Annahme vereinbar, sich ohne einen wirkungsvollen ersten Angriff in eine Auseinandersetzung mit der dann abwehrbereiten F begeben zu müssen (RdNr. 12).

5. M handelte jedoch wütend und daher tötete er F aus niedrigen Beweggründen ( § 211 Abs. 2 Var. 4 StGB).

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Nein!

Niedrige Beweggründe sind ein Auffangmerkmal, das neben den tatbestandlich konkretisierten Mordmotiven entwickelt wurde, um sonstige, höchst strafwürdige Tötungsantriebe aufzufangen. Sie liegen vor, wenn das Motiv des Täters zur Tötung nach allgemeiner Anschauung verachtenswert ist und sittlich auf tiefster Stufe steht. Gefühlsregungen wie Wut, Zorn, Hass, Eifersucht und Rachsucht stellen nur niedrige Beweggründe dar, wenn sie nicht menschlich verständlich sind. Zwar war M wütend, jedoch geht der Unrechtsgehalt seines Handelns nicht über die reine Tötung eines Menschen hinaus. Auch subjektiv fehlt ihm die niedrige Gesinnung. Dieses Mordmerkmal ist aufgrund seiner Unbestimmtheit mit Vorsicht zu genießen. Der Unrechtsgehalt muss über die reine Tötung eines Menschen hinausgehen. Je nach Sachverhaltsangaben ist hier auch ein anderes Ergebnis vertretbar (Stichwort: übersteigertes Besitzdenken).

6. M hat sich aber wegen Totschlags strafbar gemacht (§ 212 Abs. 1 StGB).

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Genau, so ist das!

M hat F vorsätzlich mit dem Messerstich getötet. Mangels Ausnutzungsbewusstsein war dieser aber nicht heimtückisch. Er hat auch kein anderes Mordmerkmal erfüllt. M ist wegen Totschlags strafbar (§ 212 Abs. 1 StGB). M verwirklichte durch den Messerstich auch §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2, 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB. Jedoch tritt diese gefährliche Körperverletzung im Wege der Subsidiarität hinter dem Tötungsdelikt zurück.

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