Tatsächliche Vermutung - Anscheinsbeweis I

24. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die Mandantin M stürzte auf dem glatten Gehweg. Unstreitig ist, dass der Gehweg vor dem Haus des Nachbarn N an dem Morgen nicht gestreut war. Offen ist, ob M nicht auch gestürzt wäre, wenn gestreut worden wäre.

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Einordnung des Falls

Tatsächliche Vermutung - Anscheinsbeweis I

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Damit eine Schadensersatzklage der M gegen den Nachbarn N Erfolg hat, muss die M grundsätzlich alle anspruchsbegründenden Tatsachen beweisen.

Ja, in der Tat!

Hinsichtlich der Beweislastverteilung gilt folgender Grundsatz: Jede Partei trägt für die ihr günstigen Tatsachen die Beweislast. Der Anspruchsteller trägt danach die Beweislast für alle anspruchsbegründenden Tatsachen, der Gegner die Beweislast für die rechtshindernden und -vernichtenden Einwendungen und die rechtshemmenden Einreden. M muss somit grundsätzlich alle für sie günstigen, anspruchsbegründenden Tatsachen beweisen. Dazu zählt insbesondere auch die haftungsbegründende Kausalität zwischen der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht (Nicht-Streuen des Gehwegs) und dem Sturz und dem damit einhergehenden Bruch (Rechtsgutsverletzung). Insoweit ist M also im Grundsatz beweisbelastet.
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2. Kann die beweisbelastete Partei den Beweis nicht führen, so hat die gerichtliche Durchsetzung des Anspruchs im Grundsatz keine Erfolgsaussichten.

Ja!

Gelingt es der beweisbelasteten Partei nicht, den für sie günstigen Sachverhalt darzulegen, so entscheidet das Gericht entsprechend der Beweislastverteilung grundsätzlich zu ihren Ungunsten (sog. non liquet). Es ist nicht erforderlich, dass die gegnerische Partei ihrerseits das Gegenteil beweisen kann.

3. Auch wenn M zum Beweis der Kausalität jegliche Beweismittel fehlen, so könnte zu ihren Gunsten zumindest der Beweis des ersten Anscheins eingreifen.

Genau, so ist das!

Durch dem gewohnheitsrechtlich anerkannten Beweis des ersten Anscheins (prima facie) kann bei typischen Geschehensabläufen (insbesondere hinsichtlich der Kausalität oder Verschulden) von bestimmten Tatsachen auf das Vorliegen anderer Tatsachen oder Umstände geschlossen werden, wenn zwischen diesen aller Erfahrung nach eine so enge Verbindung besteht, die es rechtfertigt, ihr Vorliegen ohne weiteren Nachweis zu unterstellen. Typisch ist ein Geschehensablauf, der nach Lebenserfahrung durch das Regelmäßige, Übliche, Gewöhnliche und Häufige seines Ablaufs sein Gepräge erhält. Wenn die tatsächliche Vermutung des Anscheinsbeweises eingreift, wird das Vorliegen der Tatsache (hier: Kausalität zwischen Nicht-Streuen und Sturz) ohne weiteren Nachweis durch M zunächst unterstellt. Anders als bei einer Beweislastumkehr, genügt es für den Gegner beim Anscheinsbeweis allerdings, dass er den Anschein erschüttert, also Umstände vorträgt, die eine ernsthafte Möglichkeit eines vom typischen Geschehensablauf abweichenden Kausalverlaufs begründet. Er muss nicht den Gegenbeweis antreten.

4. Ist es nach der allgemeinen Lebenserfahrung eine typische Folge, dass Menschen auf einem glatten, nicht gestreuten Gehweg stürzen (Anscheinsbeweis)?

Ja, in der Tat!

Erforderlich für das Eingreifen des Anscheinsbeweises ist, dass der Geschehensablauf nach der allgemeinen Lebenserfahrung derartig gestaltet ist, dass die eingetretene Folge, nicht nur ausnahmsweise eintritt, sondern in der Regel eintreten wird. Die Lebenserfahrung darf keinen anderen Schluss als auf gerade diese Folge zulassen. Es entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass Menschen bei Glätte eher stürzen. Für die Typizität beim Anscheinsbeweis spricht zudem, dass die Streupflicht gerade deswegen eingeführt wurde, damit Passanten nicht auf glatten Gehwegen stürzen. Somit greift hier der Anscheinsbeweis ein und streitet zugunsten der M. Merke: Bei Verkehrssicherungspflichten konkretisierenden Normen schließen die Gerichte in der Regel auf eine Typizität der zu verhindernden Folge.Anerkannte Anscheinsbeweise findest Du im Grüneberg (vor § 249 RdNr. 130).
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