Zivilrecht

Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA)

Die echte GoA

Leistender ist sich nicht bewusst, auf eine fremde Schuld zu bezahlen

Leistender ist sich nicht bewusst, auf eine fremde Schuld zu bezahlen

21. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A glaubt, sein Hund habe O gebissen. A ersetzt O die Heilbehandlungskosten. Tatsächlich hat aber der Hund des B den O gebissen. A möchte bei B Regress nehmen.

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Einordnung des Falls

Leistender ist sich nicht bewusst, auf eine fremde Schuld zu bezahlen

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A kann von B Ersatz seiner Aufwendungen verlangen, wenn er einen Anspruch auf Aufwendungsersatz hat (§§ 677, 683 S. 1, 670 BGB).

Ja, in der Tat!

Voraussetzung für einen Aufwendungsersatzanspruch nach §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB ist, dass A (1) ein fremdes Geschäft (2) mit Fremdgeschäftsführungswillen, (3) ohne Auftrag oder einer sonstigen Berechtigung geführt hat und die (4) Geschäftsführung berechtigt war.
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2. Die Voraussetzungen der Geschäftsführung ohne Auftrag liegen vor. (§ 677 BGB).

Nein!

Die Übernahme der Heilbehandlungskosten stellt eine Geschäftsbesorgung dar. A müsste die Geschäftsbesorgung für einen anderen getätigt haben (§ 677 BGB). BGH: Wer als Dritter gemäß § 267 Abs. 1 BGB die Schuld eines anderen tilgt, wird in der Regel den Willen haben, damit das Geschäft des anderen zu besorgen (§ 677 BGB). Dies setzte aber voraus, dass der Dritte sich bewusst ist, auf die Schuld eines anderen zu leisten. A glaubte, dass sein Hund den O gebissen habe und dass er deshalb zur Bezahlung der Heilbehandlung aufgrund Gesetzes (§ 833 BGB) verpflichtet ist. Er habe folglich nur sein eigenes Geschäft besorgt. Demgemäß fehle es am Fremdgeschäftsführungswillen.

3. A kann von B Ersatz der Heilbehandlungskosten verlangen, wenn ihm ein Anspruch nach § 812 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. BGB zusteht.

Genau, so ist das!

B hat sich die Kosten für die Heilbehandlungskosten erspart, für die er nach § 833 BGB hätte aufkommen müssen. Er hat somit einen vermögenswerten Vorteil erlangt.

4. B hat "in sonstiger Weise" einen vermögenswerten Vorteil erlangt (§ 812 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. BGB ).

Ja, in der Tat!

Grundsätzlich ist die Leistungsbeziehung zwischen A und O vorrangig. BGH: Der Leistende (hier: A) könne die Tilgungsbestimmung seiner Leistung aber nachträglich ändern. A dürfe folglich gem. § 267 BGB nachträglich bestimmen, dass die Leistung zur Tilgung fremder Schuld erfolgt sei. Dann hat der Schuldner (hier: B) Befreiung von seiner Verbindlichkeit erlangt. Ohne diese nachträgliche Tilgungsbestimmung hätte A auf eine Nichtschuld geleistet und könnte das Geleistete nur gem. § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB (Leistungskondiktion) vom O zurückfordern. Dem Leistenden solle aber auch ein Anspruch gegen den B aus § 812 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. BGB zukommen. Die h.L. lehnt ein nachträgliches Bestimmungsrecht ab, da dies den irrtümlich Leistenden nachträglich bevorzuge.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Fahrradfischlein

Fahrradfischlein

21.9.2020, 11:26:28

Ist es nicht völlig egal ob er den Anspruch jetzt aus Leistungs- oder

Nichtleistungskondiktion

hat?

SVE

Sven

1.10.2020, 09:06:14

Nein, da die Leistungskondiktion sich gegen O richtet und nicht gegen B.

SEMO

SeMosah

7.12.2021, 10:37:36

Warum ist das, was A getan hat, keine Leistung (mehr)? Ist eine Leistung nicht eine freiwillige Vermögenseinbuße? Das ist doch, was A gemacht hat, egal ob ggü. B oder O.

VIC

Victor

7.12.2021, 17:53:18

Leistung ist die bewusste, zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens. Im Hinblick auf B lag dies gerade nicht vor.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

8.12.2021, 09:50:46

Hallo fLAWless, wie Victor schon richtig ausgeführt hat, liegt bei einer Zahlung auf eine vermeintlich eigene Schuld zunächst einmal eine Leistung des A an O vor, also eine bewusste und zweckgerichtete Mehrung von dessen Vermögen. A kann insofern zunächst nur nach § 812 Abs. 1 S. 1 1.Alt. BGB von O kondizieren. Denn wenn A nicht den Willen hatte auch die Schuld des B zu leisten (§ 267 Abs. 1 BGB), dann tritt keine Erfüllung ein (§ 362 BGB) und B hat auch nichts erlangt. So weit so unstreitig. Alles Übrige ist dagegen etwas umstrittener. Dies betrifft in erster Linie die Frage, ob A seine

Tilgungsbestimmung

nachträglich dahingehend ändern kann, dass sie als Zahlung des O gilt. Während ein großer Teil der Literatur sich dagegen ausspricht, hat der BGH sich eindeutig dafür ausgesprochen (BGH NJW 1986, 2700 – gute Übersicht auch über die Vertreter der Literatur). In dem zugrunde Fall ging es um die Zahlung einer Unfallversicherung (A) an ein verunglücktes Kind (O). Später stellte sich heraus, dass kein Versicherungsfall vorlag. Die Versicherung forderte das Geld nun allerdings nicht von dem Kind (O), sondern von dessen unterhaltspflichtigen Vater (B). Dieser war privatversichert, weswegen nicht direkt die Krankenversicherung einsprang. Dies ließ der BGH mit dem Argument zu, dass es unbillig wäre, es der Versicherung zum Nachteil gereichen zu lassen, dass sie zunächst ohne weitere Prüfung die Behandlung des Kindes finanzierte. Offen gelassen, hat der BGH aber, auf welche Anspruchsgrundlage kann A denn nun seinen Anspruch stützen kann (Leistung oder Nichtleistung). Der BGH hat in der Entscheidung pauschal auf § 812 Abs. 1 S. 1 BGB abgestellt, ohne zu klären, welche Variante einschlägig ist. In der Literatur wird vertreten, dass die Zahlung auf eine fremde Schuld (§ 267 BGB) einer der seltenen Anwendungsfälle der

Rückgriffskondiktion

sei (Looschelders, Schuldrecht BT, § 55 RdNr. 44; Medicus, Bürgerliches Recht, § 35 RdNr. 948). Eine solche liege vor, wenn jemand auf Kosten eines anderen von einer Verbindlichkeit befreit wird (MüKoBGB/Schwab, 8. Aufl. 2020, BGB § 812 Rn. 389). Argumentiert wird dabei, dass allein die Tatsache, dass der Dritte bewusst eine fremde Verbindlichkeit begleiche, die Leistung an den Gläubiger noch nicht zugleich zu einer Leistung an den Schuldner mache. Vielmehr erscheine die Vermögensmehrung auf Seiten des Schuldners durch Schuldbefreiung nur als ein (wenn auch gewollter) Reflex der Leistung an den Gläubiger (MüKoBGB/Schwab, 8. Aufl. 2020, BGB § 812 Rn. 391). Wenn also keine Leistung an O vorliegt, dann kann das Geld allenfalls im Rahmen der

Nichtleistungskondiktion

nach § 812 Abs. 1 S. 1, Alt. 2 BGB zurückgefordert werden. Diese ist allerdings nur einschlägig, wenn A die Zahlung mangels

Fremdgeschäftsführungswille

n nicht ohnehin schon über die (un-) berechtigte GoA zurückfordern kann. Denn gegenüber der GoA sei die

Rückgriffskondiktion

subsidiär. Beste Grüße Lukas – für das Jurafuchs-Team

MAX

Max

2.2.2024, 11:59:42

Liebes Jurafuchsteam, in einer anderen Aufgabe wurde darauf verwiesen, dass eine nachträgliche Tilgungsänderung nur in Ausnahmefällen zulässig sei und die BGH Rechtsprechung keinen Nachteil für den Dritten hatte und somit eine Ausnahme darstelle. Dabei wurde meine ich auch auf diesen Fall verwiesen. Kann man dies grundsätzlich so sagen oder ist es doch eher Rechtsprechungslinie, dass eine

nachträgliche Änderung der Tilgungsbestimmung

möglich ist? LG und vielen Dank im Voraus! Max

MAX

Max

2.2.2024, 12:00:21

und ich meine natürlich "konfligierende"

LELEE

Leo Lee

3.2.2024, 19:24:38

Hallo max w, vielen Dank für diese sehr gute Frage! In der Tat vertritt der BGH die Ansicht, die

nachträgliche Änderung der Tilgungsbestimmung

sein nur in Ausnahmefällen zulässig (nach den von dir genannten Grundsätzen). Allerdings gab es bislang eben nur diesen einen Fall (diese Aufgabe mit GoA und 812), in dem der BGH die nachträgliche Änderung ausnahmsweise erlaubte, um aus Treu und Glauben den Nachteil beim „falschen Täter“ eintreten zu lassen. Deshalb würde ich vorschlagen, diesen Ausnahmefall nur auf vergleichbare Konstellationen (der „falsche Täter“ übernimmt die Kosten und möchte diese gem. einer NLK von dem „wahren Täter“) zu beschränken, da diese Ausnahme gerade für diesen Fall geschaffen wurde, damit du auf der sicheren Seite bist. I.Ü. kann ich hierzu die Lektüre von MüKo-BGB 9. Auflage, Schwab § 812 Rn. 271 ff. sehr empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

MAX

Max

3.2.2024, 19:32:47

Vielen Dank!

SCH

Schwanzanwaltschaft

9.2.2024, 11:21:18

Scheidet durch die Änderung der

Tilgungsbestimmung

dann auch ein Kondiktionsanspruch gegen O aus ?

LELEE

Leo Lee

10.2.2024, 19:43:31

Hallo Schwanzanwaltschaft, vielen Dank für die sehr gute Frage! Vorweg: Auch wenn eine nachtrügliche

Tilgungsbestimmung

stattfindet, bleibt das Verhältnis A-O erstmal unberührt. Sprich, A hätte immer noch einen Anspruch gegen O aus LK, denn er hat nach wie vor geleistet, obwohl er nicht hätte leisten müssen (kein Rechtsgrund); dies ist auch unumstritten. Das Problem, was allerdings sich ergeben kann, ist folgendes: O ist jetzt insolvent, er hat das Geld schon ausgegeben. Deshalb kann A-O gem. LK nichts holen, weshalb er auf die Idee kommt, von B das Geld zu fordern. Weil jedoch B bei Leistung NUR an den O leisten wollte (und B überhaupt nicht im Sinne hatte), stellt sich nunmehr die Frage, ob er die

Tilgungsbestimmung

(urspr. wollte er den A entschädigen --> nunmehr will er so „tun“ nachträglich, als hätte FÜR die B gezahlt und dadurch den O entschädigt) auf die Schuld der B umstellen kann. D.h., A hätte immer noch gegen O einen Anspruch; weil jedoch in den Fällen, wo O insolvent ist, der A mit leeren Händen steht, muss nach dem BGH es möglich sein, dass der A nachträglich die

Tilgungsbestimmung

umstellen kann. Somit lautet die Antwort auf die Frage: A-O gem. 812 besteht noch; im Falle der INSOLVENZ ist dann die logische Folgefrage, ob der A in diesem Fall gem. 812 (dann NLK) gegen die B vorgehen kann! Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre der sehr guten Ausführungen/sehr guten Erklärung zu diesem Problemkreis bei MüKo-BGB 9. Auflage, Schwab § 812 Rn. 271 ff. sehr empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

Peter im Pech

Peter im Pech

1.5.2024, 16:53:46

Könnte man nicht annehmen, dass eine GoA vorliegt, weil eine

nachträgliche Tilgungsbestimmung

erfolgt ist? Es wird infolge nicht wegen einer vermeintlichen gesetzlichen Pflicht geleistet, sondern auf eine fremde Schuld nach § 267 I BGB. Dadurch könnte man doch ein rein fremdes Geschäft annehmen, da in dieser Konstellation ja auch kein Forderungsübergang stattfindet. Trotz dann zu bejahender GoA kann man zusätzlich die bereicherungsrechtlichen Ansprüche aus der Aufgabe übernehmen. Die GoA ist zwar ein Rechtsgrund aber anscheinend ist dem BGH das ja egal. Er prüft die trotzdem durch…


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