Kein Widerrufsrecht bei Aufhebungsvertrag

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die erkrankte Angestellte A wird gegen 17 Uhr von ihrem Chef C in ihrer Wohnung aufgesucht. C legt ihr einen Aufhebungsvertrag vor, den A unter Einfluss von Schmerzmitteln und müde unterschreibt. Danach wird das Arbeitsverhältnis einvernehmlich ohne Abfindungszahlung beendet.

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Einordnung des Falls

Kein Widerrufsrecht bei Aufhebungsvertrag

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Handelt es sich bei dem Aufhebungsvertrag um einen Verbrauchervertrag (§ 310 Abs. 3 BGB)?

Ja, in der Tat!

Ein Verbrauchervertrag (§ 310 Abs. 3 BGB) ist ein Vertrag zwischen einem Unternehmer (§ 14 BGB) und einem Verbraucher (§ 13 BGB). Nach der ständigen Rspr. des BAG tätigen Arbeitnehmer mit ihrem jeweiligen Arbeitgeber, einem Unternehmer iSv § 14 BGB, Rechtsgeschäfte als Verbraucher gemäß § 13 BGB. Dies gilt nicht nur für den Abschluss des Arbeitsvertrages, sondern auch dessen Aufhebung im Rahmen eines Aufhebungsvertrages.
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2. Somit sind die Regelungen der §§ 312a-h BGB und insbesondere das Widerrufsrecht grundsätzlich auf Aufhebungsverträge anwendbar (§ 312 Abs. 1 BGB).

Nein!

Nach § 312 Abs. 1 BGB sind die §§ 312ff. BGB nur anzuwenden auf Verbraucherverträge, bei denen sich der Verbraucher zu der Zahlung eines Preises verpflichtet. Ein Verbrauchervertrag liegt hier vor (s.o.). BAG: Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge unterfielen aber nicht den §§ 312ff. BGB. Es wäre ein Wertungswiderspruch, wenn Aufhebungsverträge mit Abfindungsanspruch als Verträge über „entgeltliche Leistungen“ des Arbeitgebers subsumiert würden, Aufhebungsverträge ohne Abfindungsanspruch jedoch nicht. §§ 312ff. BGB erfassten arbeitsvertragliche Aufhebungsverträge deshalb in der Gänze nicht. Dies ergebe eine Auslegung des § 312 Abs. 1 BGB im Hinblick auf seinen systematischen Zusammenhang und den gesetzgeberischen Willen (RdNr. 13ff).Bis 31.12.2021 verlangte der Wortlaut des § 312 Abs. 1 BGB a.F. statt der „Zahlung eines Preises“, eine „entgeltliche Leistung des Unternehmers“. Auch weiterhin soll aber eine entgeltliche Leistung des Unternehmers notwendig sein.

3. Ist A berechtigt, den Aufhebungsvertrag zu widerrufen (§ 355 i.V.m. §§ 312 g Abs. 1, 312 b BGB?

Nein, das ist nicht der Fall!

Das Widerrufsrecht nach § 312g Abs. 1 BGB setzt zunächst voraus, dass die Vorschriften der §§ 312a-h anwendbar sind (§ 312 BGB).Da der Anwendungsbereich des Widerrufsrecht nach § 312g BGB nicht eröffnet ist, kann A den Aufhebungsvertrag nicht widerrufen. Zum Schutz der Arbeitnehmerinnen hat das BAG aber in der vorliegenden Konstellation einen Verstoß gegen das „Gebot des fairen Verhandelns“ angenommen, der im Ergebnis doch zur Unwirksamkeit des Vertrages führte. Mehr dazu findest Du: hier!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Jana-Kristin

Jana-Kristin

23.11.2022, 18:15:48

Könnt ihr bitte die Verlinkung zur Rechtsprechung des BAG zum "Gebot fairen Verhandelns" noch vornehmen? :)

Nora Mommsen

Nora Mommsen

28.11.2022, 15:08:46

Hallo Jana-Kristin, das Urteil ist nun unten entsprechend verlinkt :) Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

ASA

asanzseg

13.4.2023, 10:54:41

Liebes JuaFuchs Team, der BAG hat sich in dieser Entscheidung mit den üblichen Auslegungsmethoden mehrere Seiten über die Anwendbarkeit bzw das für und wider der Anwendbarkeit des §312g auf Aufhebungsverträge beschäftigt. Ihr habt in der Subsumtion lediglich festgestellt, dass der Awendungsbereich nicht erföffnet ist. Die Argumente des BGH sind viel zu wichtig, um sie hier nicht einzufügen. Erst durch das Lesen des Urteils wird der Sinn und Zweck des kompletten Regelungswerks des Widerrufsrechts klar, was hier im Mittelpunkt stehen sollte. Auch an alle Examenskandidaten da draußen: Die Entscheidung beschäftigt sich im Rahmen des „Gebot des fairen Handelns“ mit nichts anderem als mit einem Insitut ähnlich wie das

culpa in contrahendo

und ist sowohl in der Herleitung aber vor allem in der Rechtsfolge die der BGH hier gewählt hat äußerst wichtig!! Der BGH hat nach Bejahung eines Gebot des fairen Handelns im konkreten fall im Rahmen der Rechtsfolge auf §§280, 249, 253 also die „normalen“ Schadensersatzlehre. Dann hat er argumentiert, dass der ArbG hier zu einem „SE in natura nach §249 I BGB“ verpflichtet ist, und den ArbeitN so zu stellen hat als wäre die Pflichtverletzung nicht geschehen. Hier führt also der Verstoß zu einer Unwirksamkeit des Aufhebungsvertrages mit der Folge des Weiterlaufens des Arbeitsvertrages zu unveränderten Konditionen. Die Entscheidung ist ausnahmsweise wirklich sinnvoll und lesenswert! liebe grüße

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

13.4.2023, 14:36:36

Hallo asanzseg, vielen Dank für Deinen Hinweis. In der Tat ist diese Entscheidung ein schönes Anschauungsbeispiel für die juristische Auslegungsmethodik, weswegen es sich anbietet diese sich auch noch einmal im Original zu lesen. Komprimiert hatten wir die wichtigsten Argumente (Telos und Systematik) hier bereits in Hinweis 2 aufgenommen, deswegen haben wir sie in der letzten Folie nicht noch einmal wiederholt und lediglich festgestellt, dass der Anwendungsbereich nicht eröffnet ist. Um den Fall hier nicht noch ausufern zu lassen, haben wir hier zudem auf weitere Ausführungen zum Gebot des fairen Verhandelns verzichtet. Diese findest Du in unserer aktuellen Rechtsprechung: https://applink.jurafuchs.de/ho92HLoQXyb Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Maitre68

Maitre68

1.8.2024, 17:41:38

Auch nach Lektüre des BAG-Urteils bin ich ratlos. Wie kann man denn überhaupt auf die Idee kommen, den Wortlaut „Verpflichtung des VERBRAUCHERS zur Zahlung eines Preises“ (§ 312 I) dahingehend auszulegen, dass das auch gelten könnten, wenn der UNTERNEHMER ein Entgelt leistet ist doch sehr weit hergeholt. Oder verstehe ich hier etwas völlig falsch? Inwiefern zahlt der Vebraucher denn einen Preis, wenn er eine Abfindung erhält? LG Maitre

Maitre68

Maitre68

1.8.2024, 17:43:36

Nevermind. Ich habe soeben gesehen, dass der Wortlaut erst zum 1.1.2022 geändert wurde. Davor war der Wortlaut tatsächlich deutlich unklarer (Wobei ich auch dort ziemlich eindeutig finde, dass damit ein Austausch von Leistungen gemeint ist). LG Maitre


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