Defensiver Notstand, § 228 BGB – 3
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
T fährt für eine „kleine“ Lernsession zu E. Als T aufbrechen möchte, schnappt sich Goldie, Labradordame des E, einen Schuh von T. Sie beginnt, zu knurren und zu kauen. T schleudert ihr seine Habersacktasche auf die Schnauze. Goldie erleidet einen kleinen Kratzer und gibt den Schuh frei.
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Einordnung des Falls
Defensiver Notstand, § 228 BGB – 3
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Wenn T den Hund beschädigt hat, um eine durch ihn drohende Gefahr von sich abzuwenden, ist sein Handeln gerechtfertigt, wenn die Zerstörung zur Abwendung der Gefahr erforderlich ist und der Schaden nicht außer Verhältnis zur Gefahr steht (§ 228 BGB).
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. Als T mit der Habersacktasche geschlagen hat, befand er sich in einer Notstandslage (§ 228 BGB).
Genau, so ist das!
3. Die Interessenabwägung fällt zugunsten des T aus (§ 228 BGB).
Ja, in der Tat!
4. T handelte mit Verteidigungsabsicht (subjektives Rechtfertigungselement).
Ja!
5. T trifft eine Schadensersatzpflicht für den zu versorgenden Kratzer der Hündin.
Nein, das ist nicht der Fall!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Klima-Kleber
1.2.2023, 21:29:08
Halte ich - insbesondere im Hinblick auf die knappe Begründung - für so nicht vertretbar!
Paul
2.2.2023, 08:44:26
Ich nehme mal an, du spielst insbesondere auf die Interessenabwägung zu Gunsten des T an. m.E. ist es gerade andersherum. Eine von der Lösung abweichende Ansicht ist aus meiner Sicht auch vertretbar, doch fehlt es hierzu an Angaben im Sachverhalt. Vorstellbar wäre z.B., dass der Schuh vlt durch die ersten Bissspuren bereits unbrauchbar geworden ist und somit bereits erheblich an Wert verloren hat oder dass das idelle Interesse der E sehr viel größer ist. Doch wie gesagt basiert das auf weiteren Überlegungen, welche sich so ohne weiteres nicht aus dem Sachverhalt ergeben. Folglich halte ich die Lösung für diesen Sachverhalt für sehr gut vertretbar. Ein andere Ansicht wird mit dem vorhandenen Informationen aus meiner Sicht schwierig.
Dominik
6.2.2023, 20:57:56
Naaaaja, ich bin nicht der grünste Tierfreund, muss aber Klima-Kleber zustimmen… Es spielt ja nicht nur das Eigentumsrecht und der materielle Schaden als verletztes Individualrechtsgut eine Rolle, sondern auch das durch unsere Verfassung in Art. 20a normierte Staatsziel des Umwelt- und Tierschutzes, sowie die spezielleren gesetzlichen Regelungen zur Strafbarkeit von Tierquälerei. Somit ist auch unsere Rechtsordnung als Allgemeinrechtsgut durch diese Handlung angegriffen - und das in unverhältnismäßiger Art und Weise. Schließlich hätte auch eine durchsetzbare Schadensersatzpflicht gegen den Hundehalter bestanden und eine so drastische - geradezu tierquälerische - Verletzung des Hundes wäre nicht nötig gewesen.
Lukas_Mengestu
31.7.2023, 18:42:09
Hallo ihr drei, vielen Dank für eure Anmerkungen. Wir haben uns den Fall noch einmal angesehen und stimmen euch zu. Im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit hatten hier die besseren Argumente gegen die Annahme des
Defensivnotstandes gesprochen. Wir haben den Fall entsprechend modifiziert. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
QuiGonTim
20.4.2023, 09:24:40
Liebes Jurafuchs-Team, in anderen Kommentaren zu diesem Fall klang schon die Frage nach dem Tierschutz als relevantes Interesse im Rahmen der Abwägung. Klärt uns doch bitte mal auf. Kann das Universalrechtsgut des Tierschutzes im Rahmen der Interessenabwägung eine Rolle spielen?
Nora Mommsen
20.4.2023, 12:52:58
Hallo QuiGonTim, danke für die Anregung diese Frage nochmal vertieft zu behandeln. Das Tierwohl als solches kann gefährdetes Rechtsgut sein, das eine entsprechende Handlung rechtfertigt. Man denke an den Hund, der bei sommerliche Hitze im Auto verbleiben muss und durch ein eingeschlagenes Fenster von der Feuerwehr befreit wird. Dies ist im Rahmen von
§ 32 StGBausgeschlossen, der ja einen Angriff auf ein Individualrechtgut erfordert. Darüber hinaus ist es weniger der Tierschutz im engeren Sinne als die zivilrechtliche Betrachtung des Tieres als Sache gem. § 90 Abs. 1 BGB die eine Rolle spielt. Zwar darf die Verteidigung bis hin zur Tötung des angreifenden Tieres reichen. Sollte aber das zu rettende Gut hier schon unwiderbringlich zerstört oder zumindest erheblich beschädigt sein, kann dies keine extreme Beschädigung des Tieres rechtfertigen. Der Schaden darf also nicht außer Verhältnis zur Gefahr stehen, wobei diese Voraussetzung eine Interessenabwägung verlangt, deren Maßstab im Vergleich zu § 34 zu Gunsten der
Rechtsgüterdes Gefährdeten verschoben ist. Ausreichend ist sonach, dass das verteidigte
Schutzgutnicht außer Verhältnis zum beeinträchtigten steht.Darüberhinaus gilt es zu beachten, dass in die Abwägung auch einfließt, ob Sachgüter oder eben die Unversehrheit einer Person gefährdet wird. Der Tierschutz ist somit bedingt abwägungsfähig. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Diaa
27.7.2023, 21:48:02
Lukas_Mengestu
31.7.2023, 18:54:36
Hallo Diaa, auch bei den anderen Rechtfertigungsgründen ist streitig, welche Folgen das Fehlen des subjektiven Rechtfertigungselementes hat (Vollendungsstrafbarkeit oder "bloß" Versuch?). Bei den zivilrechtlichen Notständen wird teilweise sogar gänzlich auf die Notwendigkeit eines subjektiven Rettungswillens verzichtet, sodass in diesem Fall allein die objektive Rechtslage für die Frage der Rechtswidrigkeit ausschlaggebend wäre (vgl. Übersicht bei BeckOGK/Rövekamp, 1.9.2022, BGB § 228 Rn. 27 ff.) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Diaa
31.7.2023, 20:38:14
Dankeschön