Strafrecht

Examensrelevante Rechtsprechung SR

Allgemeiner Teil

Rücktritt nach außertatbestandlicher Zielerreichung

Rücktritt nach außertatbestandlicher Zielerreichung

31. Mai 2025

32 Kommentare

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Um O töten zu können, will T Os Begleitung B „beseitigen“. T nähert sich unbemerkt von hinten und schneidet B - ihren möglichen Tod billigend - mit einem Messer in den Hals. B zuckt zurück und erleidet nur eine Schnittwunde. Da O zu fliehen versucht, greift T nun sie an und lässt von B ab.

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Einordnung des Falls

Rücktritt nach außertatbestandlicher Zielerreichung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T könnte sich wegen versuchten Mordes an B strafbar gemacht haben, indem er ihr mit dem Messer in den Hals schnitt (§ 211, 22, 23 Abs. 1, 12 Abs. 1 StGB).

Ja, in der Tat!

Eine Strafbarkeit wegen Versuchs setzt voraus, dass der Täter mit (1) Tatentschluss zur Tatbestandsverwirklichung (2) unmittelbar ansetzt, (3) rechtswidrig und schuldhaft handelt und (4) nicht strafbefreiend zurückgetreten ist. Mörder ist, wer rechtswidrig und schuldhaft einen anderen Menschen tötet und dabei mindestens ein Mordmerkmal erfüllt (§ 211 Abs. 2 StGB). Zu Beginn der Prüfung des Versuchs ist kurz festzustellen, dass T nicht wegen vollendeten Mordes strafbar ist und das unvollendete Delikt im Versuch strafbar ist. Der Versuch des Mordes als Verbrechen (§ 12 Abs. 1 StGB) ist gem. § 23 Abs. 1 StGB strafbar.
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2. T hatte Tatentschluss bezüglich eines Heimtückemordes , als er der B in den Hals schnitt.

Ja!

Tatentschluss umfasst den Vorsatz bezüglich aller objektiven Tatbestandsmerkmale sowie eventuell vorliegenden deliktsspezifischen subjektiven Tatbestandsmerkmale. Für den Tatentschluss reicht daher auch der „bedingte Vorsatz“ (dolus eventualis), sofern dieser für das vollendete Delikt genügt. Heimtückisch handelt, wer die auf Arglosigkeit beruhende Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Arglos ist, wer sich zu Beginn des Angriffs keines Angriffs auf sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit versieht. Wehrlos ist, wer infolgedessen in seiner Verteidigung eingeschränkt ist. T schnitt B mit bedingtem Tötungsvorsatz in den Hals. T näherte sich unbemerkt von hinten, B hatte nicht mit einem Angriff auf ihr Leben gerechnet. Infolgedessen war sie wehrlos, was T erkannte und bewusst ausnutzen wollte.

3. Steht es der Annahme einer Ermöglichungsabsicht entgegen, dass T lediglich mit bedingtem Tötungsvorsatz handelte?

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Täter handelt mit Ermöglichungsabsicht, wenn es ihm zielgerichtet darauf ankommt, durch die Tötung eine andere Tat zu fördern. Die Verwirklichung des Mordmerkmals hängt nicht davon ab, dass der Täter die Tötung als unerlässliches Mittel zur Ermöglichung der Bezugstat erachtet. Es genügt, wenn der Täter sich für die zum Tode führende Handlung entscheidet, weil er glaubt durch diese - und nicht etwa aufgrund des Tötungserfolgs - eine andere Straftat schneller oder leichter begehen zu können. Ein bedingter Tötungsvorsatz steht daher der Annahme des Mordmerkmals „Töten zur Ermöglichung einer anderen Straftat“ nicht entgegen. Die beabsichtigte Tötung der B diente dem Zweck, die Tötung der O zu ermöglichen. T handelte also auch mit Ermöglichungsabsicht.

4. Spätestens als T das Messer an Bs Hals führte, setzte er unmittelbar zur Tat an.

Ja, in der Tat!

Unmittelbares Ansetzen liegt vor, wenn der Täter subjektiv die Schwelle zum ,,Jetzt-geht’s-los’’ überschreitet und objektiv Handlungen vornimmt, die bei ungestörtem Fortgang ohne wesentliche Zwischenakte zur Tatbestandserfüllung führen oder mit ihr in unmittelbarem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen. Durch das Ansetzen des Messers an Bs Hals hat T die subjektive Schwelle zur Tötung überschritten. Es bedurfte nunmehr lediglich eines Schnittes und damit keiner wesentlichen Schritte mehr, um B zu töten. T handelte auch rechtswidrig und schuldhaft.

5. Indem T von B abließ, könnte er strafbefreiend zurückgetreten sein.

Ja!

Im Anschluss an die Prüfung einer Versuchsstrafbarkeit ist stets an den persönlichen Strafaufhebungsgrund des Rücktritts (§ 24 StGB) zu denken! Der Rücktritt (§ 24 StGB) hat drei Voraussetzungen: (1) Der Versuch darf nicht fehlgeschlagen sein und (2) der Täter muss die erforderliche Rücktrittshandlung (§ 24 StGB) (3) freiwillig erfüllen. Durch den Versuch kann der Täter strafbefreiend den Unwert der begangenen Tat rückgängig machen: Ihm soll eine Goldene Brücke zurück in die Legalität gebaut werden, wenn er beschließt, die Tatausführung aufzugeben oder die Vollendung zu verhindern. Dies bildet einen Anreiz für den Täter und dient dem Opferschutz.

6. T konnte nicht mehr zurücktreten, da sein Versuch in dem Moment fehlgeschlagen ist, als B sich losgerissen hat.

Nein, das ist nicht der Fall!

Ein Versuch ist fehlgeschlagen, wenn der Erfolgseintritt nach der letzten Ausführungshandlung im unmittelbaren Handlungsfortgang und mit naheliegenden Mitteln objektiv nicht mehr möglich ist und der Täter dies erkennt oder wenn der Täter den Erfolg subjektiv nicht mehr für möglich hält. Hinsichtlich der letzten Ausführungshandlung ist nach herrschender Meinung auf das Gesamtgeschehen abzustellen. Das LG nahm einen fehlgeschlagenen Versuch mit der Begründung an, dass T die B nicht erneut angreifen konnte, ohne sein eigentliches Ziel - die O - fliehen zu lassen. Demgegenüber wies der BGH darauf hin, dass T bewusst gewesen sei, dass er aus rein tatsächlicher Sicht weiter auf die in der Nähe befindliche B hätte einwirken können. Dass O dann hätte fliehen können, sei für die Frage des Fehlschlags irrelevant (RdNr. 14ff.). Nach der teilweise vertretenen Einzelaktstheorie stellt bereits der erste Schnitt einen eigenen Versuch dar. Da dieser fehlgeschlagen ist, könnte T nach dieser Theorie nicht mehr zurücktreten

7. Für einen erfolgreichen Rücktritt hätte T den Erfolgseintritt aktiv abwenden müssen (§ 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 StGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Die erforderliche Rücktrittshandlung des Alleintäters hängt davon ab, in welchem Versuchsstadium er sich befindet. Bei einem unbeendeten Versuch muss der Täter lediglich die weitere Tatausführung aufgeben (§ 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 StGB). Ein unbeendeter Versuch liegt vor, wenn der Täter davon ausgeht, noch nicht alles getan zu haben, was nach seiner Vorstellung zur Vollendung der Tat notwendig ist. Beendet ist der Versuch hingegen, wenn der Täter glaubt, alles Notwendige und Mögliche zur Herbeiführen des tatbestandlichen Erfolges getan zu haben. Aus Sicht des T hat er nach dem Schnitt noch nicht alles getan, um den Tod der B herbeizuführen. Der Versuch war mithin unbeendet, sodass die bloße Aufgabe der weiteren Tatausführung als Rücktrittshandlung ausreicht.

8. Dass T sein beabsichtigtes Ziel, B zu beseitigen, um O töten zu können, erreicht hat, schließt die Freiwilligkeit des Rücktritts aus.

Nein!

In Fällen, in denen der Täter außertatbestandliche Ziele verfolgt, ist umstritten, ob der Rücktritt freiwillig ist, wenn er diese Ziele erreicht hat. Ein Teil der Literatur vertritt, dass die außertatbestandliche Zielerreichung ein freiwilliges Aufgeben der Tat verhindert; denn derjenige, der sein Ziel bereits erreicht hat, könne nichts mehr aufgeben, da eine Weiterhandlung ohnehin sinnlos wäre. Die Rspr. hingegen bejaht insbesondere aus Erwägungen des Opferschutzes auch bei außertatbestandlicher Zielerreichung die Freiwilligkeit. BGH: Dass T sein “außertatbestandliches Ziel”, die B als Hindernis vor der Tötung der O zu beseitigen, erreicht hat, stehe der Annahme der Freiwilligkeit nicht entgegen. T habe autonom entschieden, dem ursprünglichen und eigentlichen Tatziel Vorrang zu geben, und handelte mithin freiwillig (RdNr. 17f.). T ist strafbefreiend zurückgetreten.

9. Obwohl T nach Ansicht des BGHs wirksam zurücktreten konnte, bleibt er nicht straflos.

Genau, so ist das!

T konnte zwar vom Mordversuch wirksam zurücktreten. Indem T der B aber mit einem Messer in den Hals schnitt, hat er sie körperlich misshandelt und an der Gesundheit geschädigt. Er hat sie lebensgefährdend behandelt und das Messer ist ein gefährliches Werkzeug i.S.d. § 224 Abs. 1 Nr. 2, sodass T diesbezüglich wegen gefährlicher Körperverletzung strafbar ist (§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2, Nr. 5 StGB).
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Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
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