Allgemeiner Teil: 64 Fälle & Rechtsprechungen mit Lösung

Auf Jurafuchs Wissen findet Ihr 64 Fälle & Rechtsprechungen mit Lösung zum Thema Allgemeiner Teil für die Klausuren- und Examensvorbereitung im Jurastudium und Referendariat.
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Examensrelevante Rechtsprechung > Rechtsprechung Strafrecht

Garantenstellung aus Ingerenz und entschuldigender Notstand (BGH, Urt. v. 02.08.2023 – 5 StR 80/23)

A zwingt B durch Androhung von Gewalt, sich auf den bereits von A misshandelten C zu knien, damit A diesen fotografieren kann. Dann lässt er B gehen, während er C weiter misshandelt. Schließlich lässt A den C allein in der Wohnung. Als B zurückkehrt, sieht er den schwerverletzten, reglosen C, bleibt aber untätig. C wird nur durch den Notruf eines Dritten gerettet.

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Examensrelevante Rechtsprechung > Rechtsprechung Strafrecht

Rücktrittshorizont bei mehraktigem Tatgeschehen

Im Kern dieser Entscheidung stehen die nahezu lehrbuchhaften Ausführungen des BGH im Hinblick auf den Rücktrittshorizont beim mehraktigen Geschehen. Zudem kann in dieser Entscheidung noch einmal der Blick für die maßgebliche Rücktrittshandlung des Täters geschärft werden.

Jurafuchs Illustration: Der betrunkene T hat ein Messer in der Hand und schreit dem toten, auf dem Boden liegenden O "Das zahl ich dir heim" zu.

Examensrelevante Rechtsprechung > Rechtsprechung Strafrecht

Der Amputationsfall: Beachtlichkeit des dolus subsequens? - Jurafuchs

Das Konzidenzprinzip besagt, dass der Vorsatz zum Zeitpunkt der Tat vorhanden sein muss. Daher ist es irrelevant, ob der Vorsatz vor (dolus antecedens) oder nach der Tat (dolus subsequens) besteht. Es genügt jedoch, wenn Vorsatz zum Zeitpunkt des Eintritts in das Versuchsstadium vorliegt. Im vorliegenden, an den Jauchegrubenfall erinnernden, „Amputationsfall“ hatte der Täter jedoch zum Zeitpunkt der zuerst folgenden Körperverletzung keinen Tötungsvorsatz. Dieser folgte erst später und ist damit ein unbeachtlicher dolus subsequens.

Jurafuchs Illustration: T informiert V von der sterbenden O.

Examensrelevante Rechtsprechung > Rechtsprechung Strafrecht

Anforderungen an den Rücktritt von beendeten Versuch: Mitverursachen der Nichtvollendung - Jurafuchs

Diese Entscheidung des BGH beschäftigt sich mit den Anforderungen an einen Rücktritt vom beendeten Versuch. Dafür ist grds. das Ingangsetzen einer neuen Kausalkette nötig, welche für die Vollendung zumindest mitursächlich ist. Für dieses Ingangsetzen reicht auch aus, dass der Täter Dritte hinzuzieht. Andere Motive als die der Verhinderung der Tatvollendung stehen dem Rücktritt nicht entgegen. Ebenso schließt es einen strafbefreienden Rücktritt nicht aus, wenn der Täter mehr hätte tun können, um die Vollendung mit größerer Sicherheit zu verhindern.

Jurafuchs Illustration: T provoziert O, der zunehmend wütender wird.

Examensrelevante Rechtsprechung > Rechtsprechung Strafrecht

Leichtfertig hervorgerufene Notwehrprovokation - Jurafuchs

Wer einen Angriff durch ein sozialethisch zu missbilligendes Vorverhalten herausfordert, um den Gegner unter dem Deckmantel einer Notwehrlage zu verletzen, handelt rechtsmissbräuchlich. Geschieht dies vorsätzlich, ist die Berufung auf Notwehr nicht möglich. Auch wenn der Angriff nur leichtfertig provoziert wurde, wird das Notwehrrecht eingeschränkt. Dies gelte aber nicht zeitlich unbegrenzt. So müsse auf eine sichere erfolgversprechende Handlung unter Umständen verzichtet werden und das Risiko hingenommen werden, auf ein Abwehrmittel zurückzugreifen, was weniger erfolgversprechend scheint.

Jurafuchs Illustration: T informiert einen Supermarkt von platzierten vergifteten Babygläsern

Examensrelevante Rechtsprechung > Rechtsprechung Strafrecht

Strafrechtsklassiker: Lebensmittelerpresser-Fall - Jurafuchs

Der Lebensmittelerpresser-Fall ist ein Strafrecht-Klassiker. Der Täter vergiftete fünf Gläser Babynahrung und stellte sie auf Ladenregale. Um Geld zu erpressen, schickte er später anonyme E-Mails, die vor den vergifteten Gläsern warnten, ohne die genauen Standorte zu nennen. Die Gläser wurden gefunden und entfernt, bevor Schaden entstand. Hier ist problematisch, ob der Täter bereits unmittelbar zur Tat angesetzt hatte. Es handelt sich hier um einen Fall der mittelbaren Täterschaft, da der Täter vorhatte, die Eltern der Kinder als dolose Werkzeuge dazwischenzuschalten. Maßgeblich für die Beurteilung ist die herrschende Entlassungsformel.

Jurafuchs Illustration: A verletzt B mit einem Messer. Hinter A stehen C und D. A hat sich beschützten vor seine Freundin gestellt.

Examensrelevante Rechtsprechung > Rechtsprechung Strafrecht

Doppelter Erlaubnistatbestandsirrtum - Jurafuchs

Diese Konstellation des doppelten Erlaubnistatbestandsirrtums (ETBI) ist besonders klausurrelevant. Während bei einem Opfer ein einfacher ETBI vorlag, da die Notwehrhandlung nicht erforderlich war, lag gegenüber einem Opfer weder eine Notwehrlage vor, noch war die Notwehrhandlung erforderlich. Im Fall des einfachen ETBI schließt sich der BGH der eingeschränkten Schuldtheorie an, welche gem. § 16 Abs. 1 StGB analog einen Vorsatzausschluss annimmt. Währenddessen ist der Doppelirrtum wie ein Verbotsirrtum (§ 17 StGB) behandelt. Denn hier hätte sich der Täter nicht einmal im Falle des Vorliegens der irrig angenommenen Notwehrlage rechtskonform verhalten.

Jurafuchs Illustration: T lässt von dem auf dem Boden liegenden, blutenden und röchelnden D ab.

Examensrelevante Rechtsprechung > Rechtsprechung Strafrecht

Abgrenzung unbeendeter / beendeter Versuch - Jurafuchs

Der BGH hat in diesem Urteil bekräftigt, dass für die Abgrenzung zwischen dem unbeendeten und den beendeten Versuch der tätereigene, subjektive Rücktrittshorizont maßgeblich sei. Danach liege ein beendeter Versuch auch dann vor, wenn der Täter bei einem Tötungsdelikt den Todeseintritt bereits für möglich hält oder sich keine Vorstellungen über die Folgen seines Tuns macht.

Jurafuchs Illustration: A steht zufrieden vor einer Wohnung, in der wie geplant Schüsse fallen.

Examensrelevante Rechtsprechung > Rechtsprechung Strafrecht

Mittäterschaft ohne Mitwirkung am Kerngeschehen? - Jurafuchs

Die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme ist höchst relevant. Besonders umstritten ist dies in Fällen, in denen der Beschuldigter nicht bei der Tat selbst seinen Tatbeitrag geleistet hat. In diesem Beschluss hat der BGH aber bekräftigt, dass weder eine Mitwirkung am Kerngeschehen noch eine Anwesenheit am Tatort zwingend sei, um Mittäter zu sein. Maßgeblich sei ein objektiv wesentlicher Beitrag, der sich als Teil der Tätigkeit aller darstellen soll. Hierbei sei eine Einflussnahme auf Art, Umfang und Durchführung des Tatgeschehens wichtig.

Jurafuchs Illustration: A denkt daran, wie B den D erschießt.

Examensrelevante Rechtsprechung > Rechtsprechung Strafrecht

Unwissen schützt vor Strafe nicht – oder doch? Zurechnung beim Mittäterexzess - Jurafuchs

Jedem Mittäter kann nur das Handeln des Mittäters zugerechnet werden, welches auch von seinem Vorsatz und vom gemeinsamen Tatplan umfasst ist. Liegt eine wesentliche Abweichung vom Tatplan vor (Mittäterexzess), ist dies nicht zurechenbar. Diese grundlegenden Regeln zur Zurechnung von Tatbeiträgern bei der Mittäterschaft hat der BGH in dieser Entscheidung erneut bestätigt.

Jurafuchs Illustration: T bedroht zwei Kinder mit einem Messer.

Examensrelevante Rechtsprechung > Rechtsprechung Strafrecht

Abgrenzung: Dreieckserpressung oder Diebstahl in mittelbarer Täterschaft - Jurafuchs

Diese Entscheidung verdeutlicht die Abgrenzung zwischen einer versuchten Dreieckserpressung, einem versuchten Diebstahl in mittelbarer Täterschaft. Maßgeblich ist hierbei, dass eine Dreieckserpressung ein Näheverhältnis zwischen dem Genötigten und dem Geschädigten voraussetzt. Wie dieses konkret ausgestaltet sein soll – rechtliches (Befugnistheorie) oder tatsächliches Näheverhältnis (Lagertheorie) - ist umstritten. Ungeachtet dieser Frage scheide eine Dreieckserpressung jedoch im vorliegenden Fall aus, da der Genötigte den Vermögensinteressen des geschädigten anvisierten Diebstahlopfers gleichgültig gegenüberstehe.

Jurafuchs Illustration: T läuft mit einem Messer auf A zu. F eilt mit einem Golfschläger auf T zu, um T abzuhalten.

Examensrelevante Rechtsprechung > Rechtsprechung Strafrecht

Anforderungen an die Notwehrprovokation - Jurafuchs

Diese Entscheidung behandelt die Einschränkung des Notwehrrechts innerhalb der Gebotenheit. Dieses ist eingeschränkt, wenn der Angriff leichtfertig provoziert wurde. Der notwehrberechtigende Angriff müsse bei vernünftiger Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalls als eine adäquate und voraussehbare Folge der Provokation des Angegriffenen erscheinen. Die Provokation selbst müsse sozialethisch zu missbilligen sein und in einem engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang zum Angriff stehen.

Jurafuchs Illustration: A hat das Opfer O lebensgefährlich verletzt. B steht über dem Opfer mit einem Messer in der Hand, tut aber selbst nichts.

Examensrelevante Rechtsprechung > Rechtsprechung Strafrecht

Sukzessive Mittäterschaft ohne eigenen Tatbeitrag? - Jurafuchs

Der BGH präzisiert in diesem Beschluss die Anforderungen an die sukzessive Mittäterschaft. Demnach sei eine Zurechnung bereits verwirklichter Tatumstände nur dann möglich, wenn der Hinzutretende selbst einen Beitrag für die Tatbestandsverwirklichung leistet. Ist dies allerdings nicht möglich, wenn der Vortäter bereits alles für die Herbeiführung des tatbestandsmäßigen Erfolgs getan hat und der Hinzutretende deshalb keinen Einfluss auf die Tatbestandsverwirklichung mehr ausüben kann.

Jurafuchs Illustration: Ein Feuerwehrmann wird von einer Explosion eines Rohrs weggeschleudert.

Examensrelevante Rechtsprechung > Rechtsprechung Strafrecht

Objektive Zurechnung bei Berufsrettern - Jurafuchs

Problematisch bei dem hier vorliegenden Retter-Fall ist die objektive Zurechnung im Rahmen der fahrlässigen Tötung und Körperverletzung. Konkret geht es um die Frage, ob sich eine fahrlässig herbeigeführte Gefahr im eingetretenen Erfolg objektiv zurechenbar niederschlägt, oder ob es sich um eine bewusste Selbstgefährdung der Berufsretter handelt, welche die objektive Zurechnung ausschließe. Eine objektive Zurechenbarkeit sei hier nach BGH gegeben, wenn der Täter durch seine deliktische Handlung die naheliegende Möglichkeit einer bewussten Selbstgefährdung dadurch schaffe, dass er ohne Mitwirkung und ohne Einverständnis des Opfers eine erhebliche Gefahr für ein Rechtsgut des Opfers oder ihm nahestehender Personen begründe und damit für dieses ein einsichtiges Motiv für gefährliche Rettungsmaßnahmen schaffe.

Jurafuchs Illustration: M wartet darauf, dass T den am Boden liegenden M schlägt, um M selbst mit einem Stein zu töten.

Examensrelevante Rechtsprechung > Rechtsprechung Strafrecht

Neues bei der objektiven Zurechnung beim Dazwischentreten Dritter - Jurafuchs

Der BGH bleibt in dieser Entscheidung seiner bisherigen Linie treu und verneint im vorliegenden Fall die Zurechnung des Taterfolgs bei einem Dazwischentreten Dritter. Während das Verhalten des Vortäters zwar äquivalent kausal für den Todeserfolg des Opfers ist, ist fraglich, ob das Dazwischentreten Dritter die objektive Zurechnung durchbricht. Hierbei scheide eine Zurechnung aus, wenn die Zweithandlung für den Ersttäter nicht vorhersehbar sei. Mit einem völlig atypischen Verlauf, der außerhalb der Lebenserfahrung liegt, müsse der Ersttäter nicht rechnen.

Jurafuchs Illustration: T veranstaltet mit F ein Autorennen. T kollidiert mit O, da O an einem Stoppschild nicht hält und T aufgrund der hohen Geschwindigkeit nicht rechtzeitig abbremsen kann.

Examensrelevante Rechtsprechung > Rechtsprechung Strafrecht

Vorsatz oder Fahrlässigkeit bei Autorennen: Täter vertraut auf kollisionsvermeidendes Verhalten der anderen - Jurafuchs

Vorliegend beschäftigt sich der BGH mit der Abgrenzung von Vorsatz zur bewussten Fahrlässigkeit bei Autorennen. Hiernach soll bei riskantem Verhalten im Straßenverkehr bei der Beurteilung, ob Vorsatz vorliegt, auch die Vorstellungen des Angeklagten über das Verhalten der anderen Verkehrsteilnehmer miteinbezogen werden. Gehe der Angeklagte davon aus, dass andere Verkehrsteilnehmer die Gefahr erkennen und sich dementsprechend kollisionsvermeidend verhalten, könne das voluntative Element des Vorsatzes fehlen. Der Täter wisse zwar von der Gefahr der Tatbestandsverwirklichung (kognitives Element), vertraue aber auf dessen ausbleiben (voluntatives Element).

Jurafuchs Illustration: R rast in ihrem Auto auf Polizisten P zu, die gerade auf dem Seitenstreifen eine Radarkontrolle durchführt.

Examensrelevante Rechtsprechung > Rechtsprechung Strafrecht

Täter rast unvermeidbar auf Polizeibeamte zu und handelt trotzdem nicht vorsätzlich? - Jurafuchs

Der BGH beschäftigt sich in diesem Beschluss mit dem maßgeblichen Zeitpunkt der Fassung des Vorsatzes. Hiernach müsse der Vorsatz vorliegen, wenn der Täter noch einen für die Tatbestandsverwirklichung kausalen Tatbeitrag leisten kann. Dies sei nicht der Fall, wenn der Täter die Tatbestandsverwirklichung nicht mehr vermeiden kann. Im vorliegenden Fall bedeutet dies, dass der Täter, der in einem Auto auf Polizeibeamte zurast und diese erst zu einem Zeitpunkt wahrnimmt, in dem er den Erfolgseintritt ohnehin nicht mehr abwenden kann, nicht vorsätzlich handelt.

Ilustration zur sukzessiven Mittäterschaft auf der Die Person A zu sehen ist, die der Person C eine Flasche ins Gesicht geworfen hat und Person A, die Person D von hinten würgt, als diese Person C zur Hilfe eilen möchte.

Examensrelevante Rechtsprechung > Rechtsprechung Strafrecht

►Sukzessive Mittäterschaft ➔Fallbeispiel mit Lösung

In diesem Beschluss des BGH werden die Voraussetzungen für eine sukzessive Mittäterschaft und die Anrechnung der Tatbeiträge klargestellt. Da ein Tatbeteiligter nichts von den Plänen bezüglich der qualifizierenden Tatausführung beim Raub des anderen Täters wusste, ist die Zurechnung der Erfüllung von Qualifikationsmerkmalen problematisch. Eine solche sei im Rahmen der sukzessiven Mittäterschaft möglich, wenn der Hinzutretende zwar erst nach Tatvollendung, aber noch vor Tatbeendigung, unter Ausnutzung des Qualifikationsumstands auf die Sicherung des Taterfolgs gerichtete Handlungen vornimmt.

Eine Frau sitzt unwissend in einem Auto, dass die aus Deutschland bringen soll. Neben ihr sitzen ihre Familienmitglieder, die sie dazu überlistet haben.

Examensrelevante Rechtsprechung > Rechtsprechung Strafrecht

BGH entscheidet: Kein Tatbestandsausschließendes Einverständnis zur Freiheitsberaubung bei Täuschung oder List. – Jurafuchs

Der BGH stellte in dieser Entscheidung seine Rechtsprechung noch einmal klar, dass im Falle der Freiheitsberaubung kein tatbestandsausschließendes Einverständnis vorliege, wenn dieses durch List oder Täuschung erlangt wurde. Der Entscheidung lag der Fall einer Frau zugrunde, die unter Vorspiegelung falscher Tatsachen von ihrer Familie nach Tschetschenien verbracht wurde. Da bereits die potenzielle Bewegungsfreiheit geschützt sei, läge bei Täuschung oder List im Fall der Freiheitsberaubung – anders als z. B. beim Hausfriedensbruch – kein wirksames Einverständnis vor.