Strafrecht

Strafrecht Allgemeiner Teil

Objektive Zurechnung

Fall zur fortwirkendes Kausalität (BGH NStZ 2001, 29): examensrelevante Rechtsprechung | Jurafuchs

Fall zur fortwirkendes Kausalität (BGH NStZ 2001, 29): examensrelevante Rechtsprechung | Jurafuchs

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs Illustration zum Fall zur fortwirkendes Kausalität (BGH NStZ 2001, 29): Der Täter fügt dem Opfer Messerstiche zu. Ein zweiter Täter verpasst dem Opfer Schläge. Das Opfer stirbt.
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Klassisches Klausurproblem

A fügt der O Messerstiche zu, um sie zu töten. Zur Beseitigung von Os Leiche ruft sie ihren Freund B herbei. Dieser verpasst der noch lebenden O Schläge. O stirbt. Es ist nicht aufzuklären, ob die Schnitte oder die Schläge den Tod verursacht haben.

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Einordnung des Falls

Dritter knüpft an Handeln des Ersttäters an (BGH NStZ 2001, 29 zur fortwirkenden Kausalität)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 1 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ist A der Tod der O objektiv zuzurechnen?

Ja, in der Tat!

Objektiv zurechenbar ist ein Erfolg, wenn durch das Verhalten des Täters (1) eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen worden ist, die (2) sich im tatbestandsmäßigen Erfolg realisiert. Beim eigenverantwortlichen Dazwischentreten eines Dritten ist nach Verantwortungsbereichen abzugrenzen. Knüpft er an das Verhalten des Ersttäters dergestalt an, dass er eine neue, selbstständig auf den Erfolg hinwirkende Gefahr schafft, die sich dann allein im Erfolg realisiert, ist der Erfolg ausschließlich ihm zuzurechnen.Die Schläge des B haben keine neue, selbstständige Todesgefahr für O begründet. Das Verhalten des B war in der von A geschaffenen Ausgangsgefahr begründet.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Nebenbesitzer einer Fräsmaschine

Nebenbesitzer einer Fräsmaschine

5.8.2020, 18:27:21

Und B wäre dann sukzessiver Mittäter? Oder wie wäre er dann zu bestrafen?

LH

L. H.

3.2.2021, 18:22:08

Meine Ansicht: Da A der Tod der O sowohl kausal als auch objektiv zurechenbar ist und sie mangels entgegenstehender Angaben im Sachverhalt auch sonst tatbestandsmäßig, rechtswidrig sowie schuldhaft gehandelt hat, ist sie Täterin im Sinne des Paragraphen 25 Abs. 1 Var. 1 StGB. Da nicht sicher festgestellt werden kann, ob die Handlung des B ebenfalls kausal für den Tod der O war, scheidet für ihn eine Strafbarkeit wegen eines vollendeten Delikts aus und es kommt lediglich die Strafbarkeit wegen eines versuchten Tötungsdelikts in Betracht.

LH

L. H.

3.2.2021, 18:25:12

Dass bei B der Taterfolg verneint wird, nennt sich "in dubio pro reo".

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

6.5.2021, 11:01:22

Hallo zusammen, genau wie von L.H. ausgeführt, ist auch der BGH vorgegangen :). Einer Zurechnung über die Mittäterschaft (§ 25 Abs. 2 StGB) bedurfte es auch bei B nicht, da sein eigener Tatbeitrag - jedenfalls in seiner Vorstellung - bereits geeignet sein sollte, den Tod herbeizuführen. Da es sich indes nicht aufklären ließ, was letztlich die Ursache war, blieb es für ihn gemäß dem Grundsatz "im Zweifel für den Angeklagten" (in dubio pro reo) bei einer Versuchsstrafbarkeit. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

EVA

evamariaa

6.7.2022, 16:42:00

Wo liegt der Unterschied zu dem Fall, in dem sowohl A als auch B auf das Opfer einstechen und nicht mehr aufgeklärt werden kann, welche Verletzung zum Tod geführt hat, sodass beide in dubio pro reo nicht wegen vollendeter Tötung (sondern nur wegen Versuchs) bestraft werden können?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

20.7.2022, 15:29:11

Hallo evamariaa, der Unterschied liegt darin, dass sowohl die Kausalität der Stiche nicht fraglich ist. Denn ohne die Stiche der A hätte B dem O keine Schläge verpasst. Zudem hat sich auch kein neues Risiko im Erfolg realisiert. Denn es ist nicht außerhalb aller Lebenswahrscheinlichkeit, dass der Helfer, den man zur Beseitigung der Leiche anheuert nochmal nachhilft bzw. nachhelfen muss, da die erste Handlung nicht zum Tode geführt hat. B wollte insofern nur die Tat der A zu Ende bringen. Somit hat sich das von A gesetzte Risiko realisiert. Bei dem von dir angesprochenen anderen Fall war nur klar, einer der

Messerstich

e bzw. ein Teil hat zum Tode geführt. Es ließ sich aber nicht aufklären, ob die tödlichen Stiche anteilig von beiden oder die nur von einem von beiden Tätern verursacht wurden. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

REUS04

Reus04

16.9.2023, 14:48:40

Wenn es nicht aufklärbar ist ob A´s oder B´s Handlung zum Tod führte, warum greift dann in dubio pro reo nur für B aber nicht für A?

LELEE

Leo Lee

17.9.2023, 12:22:36

Hallo Reus04, das liegt daran, dass in vorliegend feststeht, dass A diese ganze Lage herbeigeführt hat. Und es ist „sicher“, dass wenn A diese Lage nicht herbeigeführt hätte, O nicht gestorben wäre (egal, ob B jetzt geschlagen hat oder nicht). In dubio pro reo greift also deshalb nicht, weil hier bereits feststeht, dass A ultimativ „verantwortlich“ ist für den Tod selbst. Bzgl. B greift in dubio sehr wohl, weil er diese ganze Lage nicht herbeigeführt hat + nicht geklärt werden kann, ob er ultimativ verantwortlich ist (wie die A). Wenn der Fall so gelagert wäre, dass A und B zusammen den O erstechen und nicht geklärt werden kann, wessen Stich genau zum Tod geführt hat, wäre in der Tat bzgl. beider Personen in dubio gegeben :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

JUL

JuliaFah

4.4.2024, 13:14:54

Bei anknüpfender Kausalität sind ja sowohl die Erst- als auch die Zweithandlung - mangels Abbruch eines Kausalverlaufs - kausal. In dem Fall hier ist dem Ersttäter, aufgrund des Fehlens einer von der Ersthandlung unabhängigen Handlung, der Tod auch objektiv zurechenbar. In welchem Fall könnten wir anknüpfende Kausalität annehmen und die objektive Zurechnung wegen eigenverantwortlichem Dazwischentreten Dritter ablehnen? Oder gehen die beiden Konstellationen immer nur zusammen? Ansonsten wäre es doch widersprüchlich oder?


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