Zivilrecht

Werkrecht

Gewährleistung für Sach- und Rechtsmängel

Rücktritt (§§ 634 Nr. 3, 323, 326 Abs. 5 BGB) - Unbehebbarer Mangel (Qualitative Unmöglichkeit)

Rücktritt (§§ 634 Nr. 3, 323, 326 Abs. 5 BGB) - Unbehebbarer Mangel (Qualitative Unmöglichkeit)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

B beauftragt U für sie einen Blazer enger zu nähen. Bei der Abnahme stellt B fest, dass er zu eng geworden ist. U erklärt, ein Weiten des Blazers sei nicht möglich, weil der dafür notwendige Stoff nicht mehr hergestellt wird. B nimmt den Blazer unter Vorbehalt ihrer Mängelrechte ab. Am Folgetag erklärt sie U den Rücktritt.

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Einordnung des Falls

Rücktritt (§§ 634 Nr. 3, 323, 326 Abs. 5 BGB) - Unbehebbarer Mangel (Qualitative Unmöglichkeit)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Blazer war bei Gefahrübergang mangelhaft (§ 633 Abs. 2 BGB).

Genau, so ist das!

Ist das Werk bei Gefahrübergang mangelhaft, so hat der Besteller grundsätzlich einen Nacherfüllungsanspruch, § 633 Abs. 2 BGB, § 635 Abs. 1 BGB. Das Werk ist mangelhaft, wenn es nicht die vereinbarte Beschaffenheit bei Gefahrübergang aufweist (§ 633 Abs. 2 BGB). Der Gefahrübergang beim Werkvertrag richtet sich grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Abnahme (§ 644 Abs. 1 BGB). U hat den Blazer des B zu eng genäht. Damit ist der Blazer bei Gefahrübergang mangelhaft. Da sich B ihre Mängelrechte vorbehalten hat, kann sie diese geltend machen, obwohl sie bei Abnahme schon Kenntnis des Mangels hatte (§ 640 Abs. 3 BGB).
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2. Eine Nacherfüllung ist nach § 275 Abs. 1 BGB unmöglich.

Ja, in der Tat!

Bei der Unmöglichkeit kann der Schuldner die Leistung rein faktisch nicht erbringen. Der Nacherfüllungsanspruch entfällt. Das Weiten des Blazers ist wegen des fehlenden Stoffes nicht mehr möglich.

3. B muss U eine Frist zur Nacherfüllung setzen, um zurücktreten zu können (§ 634 Nr. 3 BGB, § 326 Abs. 5 BGB).

Nein!

Für einen Rücktritt ist grundsätzlich eine Fristsetzung erforderlich. Durch die Frist wird Unternehmer zur Leistung aufgefordert. Der Besteller kann nach Ablauf der Frist Schadensersatzansprüche geltend machen oder zurücktreten. Sofern ein Nacherfüllungsanspruch wegen Unmöglichkeit ausgeschlossen ist, entfällt auch der Zweck der Fristsetzung, sodass sie bei Unmöglichkeit der Nacherfüllung entbehrlich ist. Die Nacherfüllung ist unmöglich, sodass eine Fristsetzung durch B entbehrlich war.

4. B kann wirksam zurücktreten (§ 634 Nr. 3 BGB, 636 BGB, 326 Abs. 5 BGB).

Genau, so ist das!

Für einen Rücktritt wird ein Rücktrittsgrund und eine Rücktrittserklärung (§ 349 BGB) benötigt. Nach § 634 Nr. 3 BGB, 326 Abs. 5 BGB ergibt sich der Rücktrittsgrund aus der Unmöglichkeit der Nacherfüllung. Der Besteller kann ohne Fristsetzung zurücktreten. Die Nacherfüllung ist unmöglich. Ferner hat B gegenüber U den Rücktritt erklärt.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

PH

Philippe

12.4.2022, 22:24:02

Wie kommt man hier überhaupt in das werkvertragliche Gewährleistungsrecht; eine Abnahme liegt doch nicht vor? B hat den Mangel festgestellt, U darauf hingewiesen und dann den Rücktritt erklärt. Eine Billigung des Werkes fand nicht statt. Müsste m. E. dann nach allg. Leistungsstörungsrecht zu lösen sein. Oder man verlagert das Gewährleistungsstadium auf das erstmalige Anbieten des Werks als Erfüllung vor wie es eine

Mindermeinung

meines Wissens auch vertritt.

KI

kimboslice

15.4.2022, 12:32:31

An die Frage schließ ich mich an :)

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

20.4.2022, 10:20:33

Danke euch beiden! Wir haben im Sachverhalt nun klargestellt, dass die Abnahme hier unter Vorbehalt der Mängelgewährleistungsrechte erfolgt. Hätte diese nicht stattgefunden, so wären wir - wie Phillippe zurecht einwirft - im Bereich des allgemeinen Leistungsstörungsrechts. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

EVA

evanici

2.9.2023, 16:19:51

Wird der Vorbehalt dann auch als geschäftsähnliche Handlung eingeordnet?

CR7

CR7

12.10.2023, 18:29:22

Nein, der Vorbehalt ist eine echte empfangsbedürftige WE mit dem Inhalt, dass der Werkunternehmer noch die Beweislast für das Nichtvorliegen eines Mangels trägt. Dass es eine empf. WE ist lässt sich daran erkennen, dass an den Vorbehalt eine privatrechtliche Folge geknüpft ist, vom Werkunternehmer vorrangig die Nacherfüllung verlangen zu *können*, während bei der Abnahme die Mängelgewährleistungsrechte aus § 634 BGB kraft Gesetzes eröffnet sind.


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