Haftungsmaßstab bei Erste-Hilfe-Maßnahmen im Sportunterricht


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Schüler K bricht im Sportunterricht zusammen und wird bewusstlos. Lehrer L wählt den Notruf, führt aber keine Wiederbelebungsmaßnahmen durch. K erleidet bleibende gesundheitliche Schäden und verlangt Schadensersatz von Bundesland B. K behauptet, er habe mehrere Minuten vor Eintreffen der Rettungskräfte einen Atemstillstand erlitten, sodass Wiederbelebungsmaßnahmen nötig gewesen wären.

Einordnung des Falls

Haftungsmaßstab bei Erste-Hilfe-Maßnahmen im Sportunterricht

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K hat gegen das Land B einen Anspruch, wenn L schuldhaft eine Amtspflicht verletzt hat (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG).

Ja!

§ 839 BGB und Art. 34 GG bilden eine einheitliche Rechtsgrundlage für den Amtshaftungsanspruch des K gegen das Land B. Die Voraussetzungen sind: (1) Handeln in Ausübung eines öffentlichen Amtes, (2) Verletzung einer Amtspflicht, (3) Drittbezogenheit der Amtspflicht, (4) Kausalität, (5) Verschulden, (6) Schaden. L übt als Lehrer für B ein öffentliches Amt aus. Die Verletzung der Amtspflicht könnte hier darin liegen, dass L nicht die gebotene Erste Hilfe geleistet hat.

2. Wenn K behauptet, dass Wiederbelebungsmaßnahmen nötig gewesen seien, muss er diese Tatsache im Prozess beweisen.

Genau, so ist das!

Wer im Zivilprozess eine für ihn günstige Tatsache behauptet - hier also K -, muss diese grundsätzlich beweisen. In bestimmten Fällen gibt es aber eine Beweislastumkehr, z.B. im Arzthaftungsrecht oder bei grober Verletzung von Berufs- oder Organisationspflichten, die spezifisch dem Schutz von Leben und Gesundheit dienen. BGH: Dies sei hier nicht der Fall. Selbst grob fahrlässige Versäumnisse in Notsituationen seien nicht vergleichbar mit ärztlichen Pflichtverstößen. Erste Hilfe zu leisten (und damit für Leben oder Gesundheit der Schüler einzustehen) sei für Lehrer keine Haupt-, sondern nur eine Nebenpflicht (RdNr. 19ff.).

3. Für die Hilfeleistung des L kommt im Rahmen der Haftung nach § 823 BGB die Haftungsprivilegierung des § 680 BGB zur Anwendung (Haftung nur für grobe Fahrlässigkeit).

Nein, das trifft nicht zu!

Im Rahmen des § 839 BGB gilt der Sorgfaltsmaßstab des § 276 BGB. Es ist anerkannt, dass bei Hilfeleistungen auch im Rahmen der Haftung nach § 823 BGB die Haftungsprivilegierung des § 680 BGB zur Anwendung kommt. BGH: Dies gelte aber nicht beim Amtshaftungsanspruch nach § 839 BGB. Denn § 680 BGB solle den schützen, der sich zu spontaner Hilfe entschließt. Zur Führung des Lehreramtes gehörten jedoch als Nebenpflicht auch die im Notfall gebotenen Erste-Hilfe-Maßnahmen. Eine Haftungsbeschränkung auf grobe Fahrlässigkeit stehe dazu im Widerspruch und sei – auch wegen der Verpflichtung der Schüler zum Sportunterricht – nicht angemessen (RdNr. 30). Wenn das Gericht K's Behauptung als erwiesen ansieht, dass Wiederbelebungsmaßnahmen nötig gewesen wären, haftet B auch, wenn L nicht grob fahrlässig, sondern nur leicht fahrlässig gehandelt hat.

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Jana-Kristin

Jana-Kristin

14.4.2021, 11:24:17

Interessant ist hierzu, dass der BGH die Anwendbarkeit des Haftungsmaßstabs aus 680 BGB (analog) sogar für professionelle Nothelfer (wie die Feuerwehr) ablehnt, vgl. BGH, Urt. v. 14.6.2018 - III ZR 54/17 = BGHZ 219, 77.

HAR

Harvejurco

7.6.2021, 08:48:16

Du meinst erst recht und nicht sogar

JO

Johannes

28.4.2024, 18:15:27

Mir ist nicht ganz klar, weshalb 680 nur beim Amtshaftungsanspruch nicht analog anwendbar sein sollte. Es gibt doch auch andere Tätigkeiten zu denen auch das erste-Hilfe-leisten gehört, etwa die eines Bademeisters.


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