Zivilrecht

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Haftungsmaßstab bei Erste-Hilfe-Maßnahmen im Sportunterricht

Haftungsmaßstab bei Erste-Hilfe-Maßnahmen im Sportunterricht

31. Mai 2025

6 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Schüler K bricht im Sportunterricht zusammen und wird bewusstlos. Lehrer L wählt den Notruf, führt aber keine Wiederbelebungsmaßnahmen durch. K erleidet bleibende gesundheitliche Schäden und verlangt Schadensersatz von Bundesland B. K behauptet, er habe mehrere Minuten vor Eintreffen der Rettungskräfte einen Atemstillstand erlitten, sodass Wiederbelebungsmaßnahmen nötig gewesen wären.

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Einordnung des Falls

Haftungsmaßstab bei Erste-Hilfe-Maßnahmen im Sportunterricht

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K hat gegen das Land B einen Anspruch, wenn L schuldhaft eine Amtspflicht verletzt hat (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG).

Ja!

§ 839 BGB und Art. 34 GG bilden eine einheitliche Rechtsgrundlage für den Amtshaftungsanspruch des K gegen das Land B. Die Voraussetzungen sind: (1) Handeln in Ausübung eines öffentlichen Amtes, (2) Verletzung einer Amtspflicht, (3) Drittbezogenheit der Amtspflicht, (4) Kausalität, (5) Verschulden, (6) Schaden. L übt als Lehrer für B ein öffentliches Amt aus. Die Verletzung der Amtspflicht könnte hier darin liegen, dass L nicht die gebotene Erste Hilfe geleistet hat.
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2. Wenn K behauptet, dass Wiederbelebungsmaßnahmen nötig gewesen seien, muss er diese Tatsache im Prozess beweisen.

Genau, so ist das!

Wer im Zivilprozess eine für ihn günstige Tatsache behauptet - hier also K -, muss diese grundsätzlich beweisen. In bestimmten Fällen gibt es aber eine Beweislastumkehr, z.B. im Arzthaftungsrecht oder bei grober Verletzung von Berufs- oder Organisationspflichten, die spezifisch dem Schutz von Leben und Gesundheit dienen. BGH: Dies sei hier nicht der Fall. Selbst grob fahrlässige Versäumnisse in Notsituationen seien nicht vergleichbar mit ärztlichen Pflichtverstößen. Erste Hilfe zu leisten (und damit für Leben oder Gesundheit der Schüler einzustehen) sei für Lehrer keine Haupt-, sondern nur eine Nebenpflicht (RdNr. 19ff.).

3. Für die Hilfeleistung des L kommt im Rahmen der Haftung nach § 823 BGB die Haftungsprivilegierung des § 680 BGB zur Anwendung (Haftung nur für grobe Fahrlässigkeit).

Nein, das trifft nicht zu!

Im Rahmen des § 839 BGB gilt der Sorgfaltsmaßstab des § 276 BGB. Es ist anerkannt, dass bei Hilfeleistungen auch im Rahmen der Haftung nach § 823 BGB die Haftungsprivilegierung des § 680 BGB zur Anwendung kommt. BGH: Dies gelte aber nicht beim Amtshaftungsanspruch nach § 839 BGB. Denn § 680 BGB solle den schützen, der sich zu spontaner Hilfe entschließt. Zur Führung des Lehreramtes gehörten jedoch als Nebenpflicht auch die im Notfall gebotenen Erste-Hilfe-Maßnahmen. Eine Haftungsbeschränkung auf grobe Fahrlässigkeit stehe dazu im Widerspruch und sei – auch wegen der Verpflichtung der Schüler zum Sportunterricht – nicht angemessen (RdNr. 30). Wenn das Gericht K's Behauptung als erwiesen ansieht, dass Wiederbelebungsmaßnahmen nötig gewesen wären, haftet B auch, wenn L nicht grob fahrlässig, sondern nur leicht fahrlässig gehandelt hat.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Jana-Kristin

Jana-Kristin

14.4.2021, 11:24:17

Interessant ist hierzu, dass der BGH die Anwendbarkeit des Haftungsmaßstabs aus 680 BGB (analog) sogar für professionelle Nothelfer (wie die Feuerwehr) ablehnt, vgl. BGH, Urt. v. 14.6.2018 - III ZR 54/17 = BGHZ 219, 77.

HAR

Harvejurco

7.6.2021, 08:48:16

Du meinst erst recht und nicht sogar

JO

Johannes

28.4.2024, 18:15:27

Mir ist nicht ganz klar, weshalb 680 nur beim Amtshaftungsanspruch nicht analog anwendbar sein sollte. Es gibt doch auch andere Tätigkeiten zu denen auch das erste-Hilfe-leisten gehört, etwa die eines Bademeisters.

Rechtsanwalt B. Trüger

Rechtsanwalt B. Trüger

14.10.2024, 16:26:16

Weil hier die Wiederbelebungsmaßnahme eine Nebenpflicht des Lehrers darstellt und es daher nicht sachgerecht ist den Maßstab des § 680 anzuwenden. Dieser soll ja eben für solche Fälle da sein in welchen ein

Dritter

spontan eingreift, weil er dann schutzwürdig ist. Hier ist insbesondere zu berücksichtigen, dass es sich um einen Sportlehrer handelt. Sportlehrer müssen regelmäßig Erste-Hilfe-Kurse besuchen. Dementsprechend ist es vor allem in diesem Fall nicht sachgerecht eine geschulte Person mit einer spontan handelnden dritten Person gleichzustellen und den Haftungsmaßstab zu begrenzen

LAL

lal

5.12.2024, 11:56:33

Hi, ich habe mit dem Amtshaftungsanspruch immer wieder Probleme und er kommt leider häufiger dran, als man denkt (bei mir zuletzt im 2. Examen August 2024, sehe ihn auch in einigen Aktenvorträgen). Das wäre daher sehr hilfreich!

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

6.12.2024, 15:32:00

Hallo lal , vielen Dank für Deinen Vorschlag! Wir haben ihn notiert und werden in einer der nächsten Redaktionssitzungen prüfen, inwiefern wir hierzu unsere Lerninhalte entsprechend anpassen bzw. noch weitere Aufgaben mit aufnehmen können. Beste Grüße, Linne_Karlotta_, für das Jurafuchs-Team


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