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Ehemann M ist mit der von ihm schwangeren Frau F verheiratet. Rennradfahrer R fährt den M fahrlässig an, als M am Rhein spazieren geht. Dabei fällt M unglücklich mit dem Kopf gegen das Geländer und verstirbt sofort. F ist zutiefst traurig. 2 Monate nach Ms Tod kommt Kind K zur Welt.

Einordnung des Falls

Nasciturus

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. F hat gegen R einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld (§ 844 Abs. 3 S. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

§ 844 Abs. 3 S. 1 BGB setzt voraus (1) einen hypothetischen Deliktsanspruch, (2) den dadurch kausal herbeigeführten Tod eines anderen, (3) ein besonderes persönliches Näheverhältnis im Zeitpunkt der Verletzung und (4) seelisches Leid. R hat M fahrlässig und widerrechtlich an Körper und Leben geschädigt und so den Tod des M hervorgerufen. Zu diesem Zeitpunkt stand F in einem persönlichen Näheverhältnis zu M (§ 844 Abs. 3 S. 2 BGB). Das persönliche Näheverhältnis indiziert das seelische Leid.

2. K hat ebenfalls gegen R einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld (§ 844 Abs. 3 S. 1 BGB), weil auch zum Nasciturus im Zeitpunkt der Verletzung ein besonderes persönliches Näheverhältnis besteht.

Nein!

Dafür spricht der Sinn und Zweck der Norm, seelische Nachteile auszugleichen, die durch den Verlust einer geliebten Person eintreten. Dies trifft auch auf das zuvor ungeborene Kind zu, das wegen des Unfalls ohne Vater aufwachsen muss und dadurch seelisches Leid erfahren wird. Nach h.M. wird der Nasciturus jedoch nicht erfasst, denn: (1) Entscheidend für die Annahme eines Näheverhältnisses (§ 844 Abs. 3 S. 1 BGB) ist die Intensität der beiderseitig tatsächlich gelebten sozialen Beziehung, an der es vor der Geburt fehlt; (2) systematisch spricht § 844 Abs. 2 S. 2 BGB dem Nasciturus ausdrücklich eine Aktivlegitimation zu. In § 844 Abs. 3 S. 2 BGB fehlt es an einer entsprechenden Nennung, sodass im Umkehrschluss eine Erfassung des Nasciturus nicht gewollt ist.

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Melanie 🐝

Melanie 🐝

6.9.2021, 15:21:46

Reicht es denn, dass F "nur" "zutiefst traurig" über den Tod ihres Ehemannes war oder muss das seelische Leiden sich über die bloße Trauer hinweg stärker auswirken (z.B. Depressionen, krankhafter Schlafmangel, etc.)?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

30.11.2021, 12:39:16

Hallo Melanie, sehr schöne Frage. Der Gesetzeswortlaut selbst gibt hier in der Tat nicht allzu viel her. Anerkannt ist aber, dass das seelische Leid - anders als bei den Schockschäden im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB - noch keinen Krankheitswert haben muss. Sofern die von Dir aufgezählten Symptome auftreten, kann das seelische Leid definitiv bejaht werden. Im Übrigen wird überwiegend davon ausgegangen, dass bei einem besonderen persönlcihen Näheverhältnis stets seelisches Leid verursacht wird, sodass das Kriterium insoweit keinen eigenen Mehrwert bietet (vgl. Eichelberger, in: BeckOGK-BGB, 01.09.2021, § 844 RdNr. 226). Ein Teil der Literatur will dagegen nur spürbare Leiden erfsasen, mit der Folge, dass z.B. sehr junge oder schwer demente bzw. kognitiv/emotional eingeschränkte Hinterbliebene nicht zu entschädigen wären. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team


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