§ 846

21. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Ehemann M und Ehefrau F machen mit von V gemieteten Fahrrädern eine Tour durch die Alpen. V hatte aber fahrlässig die Bremsen am Rad des M nicht richtig eingestellt. M fährt schnell einen Berg hinab und holt dabei sein Handy raus. Plötzlich sieht M einen Stein auf der Straße; er versucht noch mit einem Arm zu bremsen, die Bremse funktioniert aber nicht richtig. Ausweichen kann er einhändig nicht mehr. M stürzt und stirbt; F ist traurig und erleidet seelisches Leid.

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Einordnung des Falls

§ 846

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. F hat gegen V einen Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB.

Nein!

Zur Vermeidung der Uferlosigkeit von Schadenersatzansprüchen gilt im deutschen Privatrecht der Grundsatz, dass nur der Schaden des unmittelbar Beeinträchtigten ersatzfähig ist, nicht aber Schäden Dritter (Unmittelbarkeitsgrundsatz). Eine eigene unmittelbare Beeinträchtigung der F käme nur unter den Voraussetzungen des Schockschadens in Betracht, wenn also das Leid des S Krankheitswert hätte. Allgemeine Trauer genügt dafür jedoch nicht, sodass sie keinen Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB gegen V hat.
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2. F hat gegen V einen Anspruch aus § 844 Abs. 3 BGB.

Genau, so ist das!

§ 844 Abs. 3 BGB gewährt jedem Hinterbliebenen, der zum Getöteten im Zeitpunkt der Verletzung in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis stand, einen Anspruch auf Entschädigung für das von ihm erlittene seelische Leid. Die Voraussetzungen des § 844 Abs. 3 BGB liegen hier vor: (1) einen hypothetischen Deliktsanspruch des Getöteten – hier: § 823 Abs. 1 BGB des M gegen V –, (2) den dadurch kausal herbeigeführten Tod eines anderen, (3) ein besonderes persönliches Näheverhältnis im Zeitpunkt der Verletzung und (4) seelisches Leid.

3. Der F kann in ihrem eigenen Anspruch aus § 844 Abs. 3 BGB das fremde Mitverschulden des M zugerechnet werden.

Ja, in der Tat!

Hat in den Fällen der §§ 844, 845 bei der Entstehung des Schadens, den der Dritte erleidet, ein Verschulden des Verletzten mitgewirkt, so findet auf den Anspruch des Dritten die Vorschrift des § 254 Anwendung (§ 846 BGB). § 846 BGB erweitert damit § 254 BGB, indem er den gemäß §§ 844, 845 aktivlegitimierten Angehörigen das Mitverschulden des primär Verletzten anlastet. Hierdurch wird verhindert, dass der Schädiger den Hinterbliebenen in weitergehendem Umfang als dem Opfer selbst haftet. Das Mitverschulden des M iSv § 254 Abs. 1 BGB – einhändiges Fahren mit Handy – führt also über § 846 BGB zu einer Kürzung des Anspruchs der F aus § 844 Abs. 3 BGB.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

JO

JonasRehder

16.2.2023, 16:35:18

Ist seelisches Leid nicht grundsätzlich pathologisch fassbar und damit nach der Rechtsprechungsänderung des BGH vom 06.12.2022 hier grds erfasst? BGH , Urt. v. 6.12.2022 – VI ZR 168/21 (OLG Celle) (r+s 2023, 130, beck-online)

Dogu

Dogu

1.12.2023, 11:44:04

Das ist eine Sachverhaltsquetsche. Auch nach der aktuellen Rechtsprechung ist ein pathologischer Krankheitswert erforderlich. Von einer klinisch relevanten Depression steht hier nichts. Nicht jede Traurigkeit ist eine Gesundheitsstörung und nicht jede Art von seelischem Leid ist pathologisch fassbar. Im Gegenteil: Es gibt Menschen, denen sehr viel Negatives widerfährt und die trotzdem nicht erkranken.

AN

Antonia

8.11.2024, 00:57:13

Ist §844 III also für die Fälle relevant, wo kein medizinisch feststellbarer Krankheitswert bei dem nahen Angehörigen vorliegt, also ein Anspruch aus §823 I mangels Schockschadens nicht vorliegt? Welche Voraussetzungen werden an „seelisches Leid“ gesetzt? Kann jeder naher Angehöriger Hinterbliebenengeld fordern, auch wenn sie von dem Tod nicht wirklich seelisch mitgenommen sind?


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