Gestörte Gesamtschuld – Einführung

3. Juli 2025

9 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

T nimmt Anhalter A in ihrem Tesla mit. Sicherheitshalber vereinbart sie mit A wirksam einen Haftungsausschluss für Schäden infolge eines Verkehrsunfalls. Tatsächlich kommt es später zu einem Unfall mit Fs Smart, bei dem A verletzt wird. T und den F treffen gleich hohes Verschulden.

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Einordnung des Falls

Gestörte Gesamtschuld – Einführung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A kann von F Schadensersatz für die erlittenen Verletzungen nach § 7 Abs. 1 StVG verlangen.

Genau, so ist das!

Die Halterhaftung aus § 7 Abs. 1 StVG setzt voraus: (1) Rechtsgutverletzung; (2) Verursachung bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs; (3) Haltereigenschaft des Anspruchsgegners; (4) kein Ausschluss des Anspruchs (§ 7 Abs. 2 und 3, § 8, § 17 Abs. 3 StVG).As Körper und Gesundheit wurden bei dem Unfall der beiden Wagen verletzt. Die Verletzung ereignete sich bei Betrieb des Smarts und F ist auch dessen Halter. Ausschlussgründe sind nicht ersichtlich.Ebenso besteht ein Anspruch aus §§ 7, 18 StVG (Fahrerhaftung) bzw. § 823 Abs. 1 BGB).
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2. A kann ebenfalls von T Schadensersatz für die erlittenen Verletzungen nach § 7 Abs. 1 StVG verlangen.

Nein, das trifft nicht zu!

Die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 StVG liegen grundsätzlich auch gegenüber T vor. Allerdings haben T und A wirksam individualvertraglich einen Haftungsausschluss geschlossen für Verletzungen, die im Zusammenhang mit einem Unfall stehen. Damit scheidet ein Anspruch des A gegen T aus § 7 Abs. 1 StVG aus. Gleiches gilt für die Ansprüche aus §§ 7, 18 StVG, § 823 Abs. 1 BGB, §§ 823 Abs. 2 i.V.m. § 229 StGB.Beachte: In allgemeinen Geschäftsbedingungen würde der Haftungsausschluss für fahrlässige Körperverletzungen an § 309 Nr. 7a BGB scheitern.

3. Ohne den Haftungsausschluss hätte A auch von T Schadensersatz verlangen können. T und F wären dann Gesamtschuldner (§ 840 Abs. 1 BGB).

Ja!

Sind für den aus einer unerlaubten Handlung entstehenden Schaden mehrere nebeneinander verantwortlich, so haften sie nach § 840 Abs. 1 BGB als Gesamtschuldner. Die Höhe der Anteile richtet sich analog § 254 BGB nach dem Verursachungs- und Schuldbeitrag.Ohne den Haftungsausschluss hätte A gegen F und T Ansprüche aus unerlaubter Handlung. Damit wären sie Gesamtschuldner. Der leistende Schuldner könnte dann auch bei dem jeweils anderen Rückgriff nehmen (§ 426 Abs. 1 S. 1 BGB bzw. § 426 Abs. 2 BGB).

4. In Fällen wie dem vorliegenden spricht man von einer gestörten Gesamtschuld.

Genau, so ist das!

§ 840 Abs. 1 BGB setzt voraus, dass mehrere Schädiger nebeneinander haften. Besteht zwischen Opfer und einem der Schädiger indes eine Haftungsprivilegierung, so verhindert diese Privilegierung die Entstehung einer Gesamschuld. Denn dann gibt es lediglich einen und nicht mehrere haftende Schädiger (Zweitschädiger). Es liegt eine gestörte Gesamtschuld vor. Dies hätte zur Folge, dass der Zweitschädiger allein für den Schaden verantwortlich wäre. Um dieses Ergebnis zu korrigieren, haben sich unterschiedliche Lösungswege entwickelt. Hierzu mehr in den folgenden Aufgaben.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

PattarP

PattarP

20.1.2023, 18:31:01

T nimmt Anhalter A in ihrem Tesla mit. Und das im Jahr 1954 - da ist T aber ihrer Zeit voraus 😄

Nora Mommsen

Nora Mommsen

25.1.2023, 14:22:52

Hey, PattarP - da ist unser Aufgabensteller wohl in der Zeit gereist. :D Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

BAY

bayilm

19.10.2023, 23:49:08

Findet der Grundsatz der gestörten

Gesamtschuld

auch Anwendung neben dem Deliktsrecht auch in anderen Rechtsgebieten Anwendung, oder handelt es sich hier nur um etwas was spezifisch im Deliktsrecht verwendet wird?

LELEE

Leo Lee

21.10.2023, 15:06:01

Hallo baylim, die

gestörte Gesamtschuld

wird immer dann relevant, wenn ein „Dritter“ involviert ist, der nichts mit den internen

Abrede

n (vertragliche Haftungsprivilegien) oder mit gesetzlichen Privilegien was zu tun hat (etwa Dritter vs. Eltern-Kind). Und da es im Zivilrecht i.R.v.

Schaden

nur einen „Dritten“ – also der keine vertraglichen Beziehungen hat – im Deliktsrecht gibt, wird auch die

gestörte Gesamtschuld

nur in deliktsrechtlichen Ansprüchen ggü. Dem DRITTEN relevant :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

LMA

Lt. Maverick

7.5.2025, 14:45:39

@[Leo Lee](213375) Wie verhält es sich aber, wenn z.B. M und F einen Mietvertrag mit dem minderjährigen C geschlossen haben und C Sohn des M ist. Wenn jetzt eine Nebenpflichtverletzung aus dem Mietvertrag von M und F ausgeht und C einen

Schaden

erleidet, M aber gegenüber C im Rahmen des §

280 I BGB

wegen §§ 1664 I, 276 BGB nicht haftet, dann wäre F gerade kein „Dritter“.

DAN

Daniel

15.6.2025, 15:45:10

@LeoLee, in einer Variante des

Salatblattfall

s ist das durchaus ein Thema, wenn das Kind auf von der Mutter geschenkten Rollschuhen durch den Supermarkt rauscht und durch das Salatblatt stürzt. Dann könnte man eigentlich ein Mitver

schuld

en der Mutter annehmen, was dann wegen §§ 1664,

277 BGB

auch nur ausgeschlossen ist, wenn das mit den Rollschuhen nicht grob fahrlässig war...

NC

nondum conceptus

2.4.2025, 13:41:04

wie sieht es auch wenn das Kind als Beifahrer mitfährt

DAN

Daniel

15.6.2025, 15:40:05

Ein Fall der gestörten

Gesamtschuld

liegt nach Rechtsprechung schon nicht vor, denn die gesetzliche (!) Privilegierung durch §

1664 BGB

verhindert das Entstehen eines

Gesamtschuld

verhältnisses nach § 840 Abs. 1 BGB. Nach §

1664 BGB

wird die Haftung der Eltern gegenüber der Kinder auf

Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten

beschränkt, was nach

§ 277 BGB

im Allgemeinen grobe Fahrlässigkeit bedeutet. Der BGH sagt: "Wenn die Mithaftung an §

1664 BGB

scheitert, wächst der so “privilegierte” Mitschädiger schon gar nicht in die Regelung des § 840 Abs. 1 BGB hinein; es fehlt schon an den Grundlagen für ein

Gesamtschuld

verhältnis, das “gestört” werden konnte." (BGH NJW 1988, 2667, 2669; bestätigt BGH NJW 2004, 2892, 2893).

SPA

sparfüchsin

18.5.2025, 20:10:17

Kann mir nochmal jemand erklären, wo grnau das Problem ist? Warum das Ergebnis als unbillig empfunden wird und korrigiert wird? War eben klug vom Fahrer, einen Haftungsauschluss zu vereinbaren. Ich empfinde es eher als unbillig, ihm diese vorausschauende Entscheidung zunichte zu machen. Für den Dritten ist es eben doof, weil er den

Schaden

insgesamt trägt. Aber ist es nicht nur rejnes „Glück“ dass hier neben ihm noch ein anderer haftet, sodass ich es als weniger unbillig empfinde, wenn der Dritte sich auf diesen zufälligen Umstand nicht berufen kann.


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