Haftung für eigenes Verschulden IV - Verantwortungsfähigkeit Betrunkener

23. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

B will seine Wohnung neu streichen. Daraufhin schließt er mit Malermeisterin U einen Werkvertrag. U nimmt die Arbeiten völlig betrunken vor (3,5 Promille) und bemalt das italienisches Ledersofa (Wert: €6.000) gleich mit. Dieses ist dadurch völlig ruiniert.

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Einordnung des Falls

Haftung für eigenes Verschulden IV - Verantwortungsfähigkeit Betrunkener

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Zwischen B und U besteht ein rechtsgeschäftliches Schuldverhältnis in Form eines Werkvertrages (§ 631 BGB).

Ja, in der Tat!

Zur Begründung eines rechtsgeschäftlichen Schuldverhältnisses ist grundsätzlich ein Vertrag zwischen den Beteiligten notwendig (§ 311 Abs. 1 BGB). Beim Werkvertrag schuldet der Unternehmer einen Erfolg (§ 631 Abs. 1 BGB). Dieser kann die Herstellung oder Veränderung einer Sache (§ 631 Abs. 2 Alt. 1 BGB) oder jeder andere durch Arbeit oder Dienstleistung herbeizuführende Erfolg (§ 631 Abs. 2 Alt. 2 BGB) sein. B und U haben sich darüber geeinigt, dass U die Wohnung tapeziert. U schuldet insoweit einen Erfolg und nicht ein bloßes Tätigwerden.
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2. U hat ihre Pflicht, auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des B Rücksicht zu nehmen, gewahrt (§ 241 Abs. 2 BGB).

Nein!

Den Leistungspflichten stehen die nicht leistungsbezogenen Schutzpflichten (auch Neben- oder Rücksichtnahmepflichten genannt) gegenüber. Jede Partei ist über die geschuldeten vertraglichen Pflichten hinaus dazu verpflichtet, die Rechte, Rechtsgüter und Interessen der anderen Partei bei der Leistungserbringung zu berücksichtigen (§ 241 Abs. 2 BGB). U hat bei Durchführung der Arbeiten nicht ausreichend auf die Rechtsgüter des B acht gegeben und fahrlässig das Sofa mit Kleister befleckt. Dies stellt eine Schutzpflichtverletzung dar.

3. Der Schuldner hat eine Pflichtverletzung grundsätzlich nur dann zu vertreten, wenn er zu einem verantwortlichen Handeln in der Lage ist.

Genau, so ist das!

Über einen Verweis (§ 276 Abs. 1 S. 2 BGB) sind die Regelungen zur Deliktsfähigkeit (§§ 827, 828 BGB) im Hinblick auf die Frage nach der Verantwortungsfähigkeitentsprechend anwendbar (§ 276 Abs. 1 S. 2 BGB). Grundsätzlich können somit lediglich verantwortungsfähige Personen eine Pflichtverletzung vertreten. Um deutlich zu machen, dass man verstanden hat, dass es sich hier nur um eine entsprechende Anwendung handelt, ist § 276 Abs. 1 S.2 BGB bei der Prüfung der deliktsrechtlichen Normen immer zu zitieren.

4. Obwohl U völlig betrunken war, als sie das Sofa beschädigte, ist sie für den Schaden in gleicher Weise verantwortlich, wie wenn ihr Fahrlässigkeit zur Last fiele. (§ 276 Abs. 1 S. 2, 827 BGB).

Ja, in der Tat!

Personen im Zustand der Bewusstlosigkeit oder in einem die freie Willensbildung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit sind grundsätzlich nicht verantwortungsfähig (§§ 276 Abs. 1 S. 2, 827 S. 1 BGB). Dies gilt aber nicht, wenn sie sich selbst durch Alkohol in diesen Zustand versetzt haben. Vielmehr sind sie dann in gleicher Weise verantwortlich, wie wenn ihnen Fahrlässigkeit zur Last fiele (§§ 276 Abs. 1 S. 2, 827 S. 2 BGB).Da U sich selbst betrunken hat, ist ihre Verantwortungsfähigkeit nicht aufgrund ihrer erheblichen Alkoholisierung ausgeschlossen. Sie hat vielmehr fahrlässig gehandelt.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

JAEL

Jael

6.2.2022, 14:49:02

Eure Zeichnungen sind einfach der Hammer! Sie helfen mir so sehr beim Lernen. Es macht so viel mehr Spaß die Fälle zu lösen und ich kann mir die Fälle so viel besser merken. Echt klasse, danke euch dafür! 🤗

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

7.2.2022, 12:37:37

Ganz lieben Dank, Jael. Dein Feedback leite ich unserem Illustrator sehr gerne weiter :-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

QUIG

QuiGonTim

22.7.2022, 11:35:40

Wirkt die Verschuldensvermutung des

§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB

auch derart in den § 827 BGB S. 2 HS 2 BGB, dass grundsätzlich anzunehmen ist, dass sich der Schuldner mit Verschulden in den Zustand versetzt hat?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

22.7.2022, 16:31:28

Hallo QuiGonTim, für die Frage, ob sich der Schuldner schuldhaft in den Zustand der Unzurechnungsfähigkeit begeben hat hat, ist

§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB

nicht heranzuziehen. Vielmehr findet sich in § 827 S. 2 Hs. 2 BGB eine entsprechende Regelung, aus deren negativer Formulierung ("die Verantwortlichkeit tritt nicht ein, wenn er ohne Verschulden in den Zustand geraten ist") sich ergibt, dass auch hier dem Schuldner die Darlegungs- und Beweislast dafür aufgebürdet wird, dass er sich unverschuldet in den Zustand der Unzurechnungsfähigkeit begeben hat. Gelingt ihm dies nicht, so wird nach § 827 S. 2 Hs. 2 BGB vermutet, dass er dies zu verschulden hat . Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

L-Xertal

L-Xertal

24.11.2022, 14:11:08

Wäre interessant zu wissen, wie sich das Ganze verhält, wenn die Person zu dem Zeitpunkt ein ernsthaftes Alkoholproblem hatte und das auch so diagnostiziert wurde. Also wirklich eine Abhängigkeit

Nora Mommsen

Nora Mommsen

28.11.2022, 13:16:39

Hallo L-Xertal, hirnorganische Folgeschäden infolge einer Alkoholabhängigkeit können schuldmindernd berücksichtigt werden. Zudem kann die akute Intoxikation auch in dem Fall natürlich fahrlässig herbeigeführt worden. Fürs Strafrecht gilt, dass Abhängigkeit von Alkohol oder Drogen nicht für sich allein, sondern nur bei Vorliegen besonderer Umstände, etwa bei schweren Persönlichkeitsveränderungen auf Grund langjährigen Konsums, die Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit begründen können. (NStZ-RR 2008, 274, beck-online). Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Gruttmann

Gruttmann

10.5.2024, 19:20:00

Die Zeichnungen sind wirklich toll & auch in den vorherigen Fällen, die teilweise in Verbindung mit dem StR gesetzten Hinweise sind wirklich der Hammer.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

11.5.2024, 14:34:21

Hallo Gruttmann, danke für dein Lob! Es freut uns sehr, dass das Kapitel so gut gefällt. Solche Rückmeldungen motivieren uns die App stetig weiterzuentwickeln. :) Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Johannes Nebe

Johannes Nebe

8.7.2024, 10:05:52

Bei diesem Fall kommt einem die actio libera in causa (alic) in den Sinn. Wie ich nun lese, gibt es diese Rechtsfigur tatsächlich nicht nur im Straf-, sondern auch im Zivilrecht. Die alic hat als Anknüpfungspunkt nicht das Verschulden des Sich-Betrinkens, sondern das daraus folgende Tun. Dennoch könnte der Fall davon profitieren, dass man die alic erwähnt und den § 827 S. 2 BGB von ihr abgrenzt.

B.H.

B.H.

11.10.2024, 11:20:54

Die a.l.i.c. erfordert das vorsätzliche Herbeiführen des Zustandes der Schuldunfähigkeit, um in diesem herbeigeführten Zustand eine anschließende rechtswidrige Tat „schuldunfähig“ begehen zu können. Vorliegend sind keinerlei Anhaltspunkte für das eine oder das andere ersichtlich!

LEAB

Lea B

15.10.2024, 16:18:47

Hallo liebes JuraFuchs Team, vielen Dank für den tollen Fall, der auch gut nochmal auf Verweise hindeutet und gleich übergreifenden Lernerfolg auch für das Deliktsrecht parat hält! Vielleicht wäre es im Sachverhalt noch besser, wenn ihr klar herausstellt, dass der Vertragsschluss stattfand, bevor die Malerin sich volltrunken ans Werk machte, ansonsten fehlt es ja schon am Vertrag und wir wären in der C.i.c. Liebe Grüße


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