Öffentliches Recht

VwGO

Anfechtungsklage

§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO: AK unbegründet, weil heilbarer Formfehler

§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO: AK unbegründet, weil heilbarer Formfehler

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Baubehörde B erlässt nach vorheriger Anhörung gegenüber A schriftlich einen materiell rechtmäßigen Baustopp, weil sie ohne Baugenehmigung ein Wohnhaus errichtet. Der Bescheid enthält keine Begründung. A ficht den Verwaltungsakt an. Das Gericht hält die Klage für zulässig und setzt einen Termin zur mündlichen Verhandlung an.

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Einordnung des Falls

§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO: AK unbegründet, weil heilbarer Formfehler

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Anfechtungsklage ist begründet, wenn der Verwaltungsakt rechtswidrig ist.

Nein!

Eine Anfechtungsklage ist begründet, soweit der (belastende) Verwaltungsakt rechtswidrig ist und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Geprüft wird die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakt und die Verletzung subjektiver Rechte des Klägers. Diesen in § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO niedergelegten gesetzlichen Maßstab für die gerichtliche Prüfung der Anfechtungsklage solltest Du wirklich im Schlaf können. Die Anfechtungsklage ist die wohl häufigste Klageart in der Klausurpraxis. Sollte Dir der Maßstab doch mal entfallen, wirf einfach einen Blick in § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO.
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2. Die Ermächtigungsgrundlage für die Anordnung eines Baustopps findet sich in den bauordnungsrechtlichen Vorschriften der Länder.

Genau, so ist das!

Der Erlass des Verwaltungsakts kann nur rechtmäßig sein, wenn die Behörde auf der Grundlage einer rechtmäßigen Ermächtigungsgrundlage gehandelt hat, die ihr das Recht zum Erlass des Verwaltungsakts gibt. Dies ergibt sich aus dem Vorbehalt des Gesetzes und dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG). Das Bauordnungsrecht der Länder erhält Normen, die der zuständigen Baubehörde den Erlass eines Baustopps ermöglichen (z.B. § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 NBauO, Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO, § 81 Abs. 1 S. 1 HBO). An der Rechtmäßigkeit der Ermächtigungsgrundlage(n) bestehen keine Zweifel. Eine Ermächtigungsgrundlage ist dann nicht rechtmäßig - und damit auch nicht geeignet als Rechtsgrundlage für einen rechtmäßigen Verwaltungsakt - , wenn sie mit höherrangigem Recht unvereinbar, insbesondere verfassungswidrig ist. Das kommt in Klausuren ganz selten vor - in einem solchen Fall findest Du entsprechende Hinweise im Sachverhalt.

3. Der Bescheid über den Baustopp enthält keine Begründung. Er könnte aus diesem Grund formell rechtswidrig sein.

Ja, in der Tat!

Zur formellen Rechtmäßigkeit gehört die Einhaltung von Zuständigkeits-, Verfahrens- und Formvorschriften. Von großer Relevanz ist vor allem die grundsätzliche Anhörungspflicht (Verfahrensvorschrift, § 28 Abs. 1 VwVfG) und die Begründungspflicht bei schriftlichen Verwaltungsakten (Formvorschrift, § 39 Abs. 1 VwVfG). Der Baustopp enthält keine Begründung. Damit liegt ein Verstoß gegen § 39 Abs. 1 VwVfG vor, was zur formellen Rechtswidrigkeit des Baustopps führen könnte.

4. Jeder formelle Fehler des Verwaltungsakts führt automatisch zur Begründetheit der Anfechtungsklage.

Nein!

Nicht alle formellen Fehler führen zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts. Bestimmte Fehler sind unbeachtlich bzw. heilbar. Dies richtet sich nach § 45 VwVfG. Dort werden Fälle aufgelistet, in denen eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften unbeachtlich ist, sofern diese nicht zur Nichtigkeit nach § 44 VwVfG führen (§ 45 Abs. 1 VwVfG). Die erforderliche Begründung eines Verwaltungsakts kann danach nachträglich eingereicht werden (§ 45 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG). Dies kann bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz nachgeholt werden (§ 45 Abs. 2 VwVfG). Auch eine unterbliebene Anhörung kann regelmäßig nachgeholt werden (§ 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG).

5. B hat keine Zeit mehr, die Begründung des Baustopps nachzuholen. Der Verwaltungsakt ist formell rechtswidrig und die Anfechtungsklage ist begründet.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die erforderliche Begründung eines Verwaltungsakts kann nachgeholt werden (§ 45 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG) - und zwar bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz (§ 45 Abs. 2 VwVfG). Die letzte Tatsacheninstanz ist die letzte im Rechtszug offen stehende Instanz, die nicht – wie bei der Revision (§ 137 VwGO) – auf eine Rechtskontrolle beschränkt ist. Der Abschluss der Instanz meint die gerichtliche Entscheidung, die diese Instanz beendet. In praktischer Hinsicht ist dies also der letzte Zeitpunkt, in dem in der Instanz noch Tatsachenvortrag erfolgen kann. Hier wurde noch nicht einmal mündlich verhandelt. B kann die Begründung noch nachreichen.

6. Der Baustopp ist von der zuständigen Behörde unter Einhaltung der Verfahrensanforderungen erlassen worden und materiell rechtmäßig. Ist As Klage unbegründet, sofern B die erforderliche Begründung nachreicht?

Ja, in der Tat!

Der formelle Fehler eines schriftlichen, unbegründeten Verwaltungsakts führt nicht immer zur Begründetheit der Anfechtungsklage. Vielmehr kann die Begründung bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz nachgeholt werden (§ 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 VwVfG). Der Baustopp ist mangels Begründung formell fehlerhaft. Dieser Fehler ist jedoch noch heilbar. Weitere Zweifel an der formellen und materiellen Rechtmäßigkeit bestehen nicht. Da der Verwaltungsakt rechtmäßig ist, ist die Klage unbegründet und abzuweisen. In der Klausur wirst Du oft nicht wissen, ob die Begründung nachgeholt wird. Als Ergebnis zur Prüfung der Begründetheit kannst Du schreiben: „Der angefochtene Verwaltungsakt leidet unter einem formellen Fehler. Dieser kann jedoch nach § 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 VwVfG geheilt werden. In diesem Fall wäre der Verwaltungsakt rechtmäßig und die Klage unbegründet.“ Dies gilt natürlich nur, wenn der Verwaltungsakt nicht aus anderen Gründen rechtswidrig ist.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Nico

Nico

9.3.2022, 06:53:45

Ist hier dann mangels Angaben im SV davon auszugehen, dass die Anhörung stattgefunden hat oder warum wird das nicht angesprochen hier? Und soweit wie ich das sehe ist die einschlägige Regelung im HBO nicht mehr in § 71 I 1 HBO sondern mittlerweile in § 81 I 1 HBO geregelt.

VIC

Victor

9.3.2022, 07:44:58

Auch hier gilt im Zweifel das Gleiche wie für die Begründung. Ist die Anhörung nicht erfolgt, kann sie noch nachgeholt werden. Dann wird der formelle Fehler entsprechend geheilt.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

14.3.2022, 15:22:00

Hallo NiC, wir haben die erfolgte Anhörung zur Klarstellung im Sachverhalt ergänzt. Eine erfolgte Anhörung darst Du in der Klausur insoweit nicht unterstellen (sofern sich nichts anderes aus dem Bearbeitervermerk ergibt). Wie Victor aber zurecht ausgeführt hat, kann die nicht erfolgte Anhörung grundsätzlich auch noch nachgeholt und damit geheilt werden, sofern sie ihren Zweck noch erfüllen kann. Die Norm haben wir aktualisiert. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Isabell

Isabell

5.4.2022, 10:07:36

Für's 2. Examen wichtig ist hier die Kostenfolge beim Nachschieben der Gründe als Zweckmäßigkeitserwägung in der Anwaltsklausur.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

8.4.2022, 14:19:24

Hi Isabell, wird die Klage erst infolge der nachgeschobenen Gründe "unbegründet", so liegt darin in der Regel ein Verschulden der Verwaltungsbehörde. Soweit nicht die Sache übereinstimmend für erledigt erklärt wird, kommt § 155 Abs. 4 VwGO in Betracht und insoweit eine Auferlegung der entstandenen Kosten ggü. dem eigl. obsiegenden Rechtsträger der Behörde (vgl. Hardtung/Zimmermann-Kreher, in: BeckOK VwGO, 60. Ed. 01.10.2021, § 155 RdNr. 12). Bei der übereinstimmenden Erledigungserklärung ist dies im Rahmen der billigen Kostenentscheidung zu berücksichtigen (§ 161 Abs. 2 VwGO). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team


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