Zivilrecht

Schuldrecht Allgemeiner Teil

Dreipersonenverhältnisse

Zufällige Schadensverlagerung: Obligatorische Gefahrentlastung Versendungskauf (Verbrauchsgüterkauf)

Zufällige Schadensverlagerung: Obligatorische Gefahrentlastung Versendungskauf (Verbrauchsgüterkauf)

21. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Kunsthändlerin H verkauft für €30.000 ein Gemälde an Verbraucher K. Dieser bittet H, das Bild an ihn zu versenden. H beauftragt daraufhin ihren Bekannten B mit dem Transport des Bildes. Auf der Fahrt zu K, verursacht B schuldhaft einen Unfall. Das Gemälde wird dabei zerstört.

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Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Steht K gegen B ein Schadensersatzanspruch zu?

Nein, das trifft nicht zu!

Ein Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs. 1 BGB setzt zunächst voraus, dass ein Schuldverhältnis zwischen Schädiger und Geschädigtem besteht. Für einen deliktischen Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB müsste zunächst eines der dort geschützten Rechtsgüter verletzt sein.Eine eigene vertragliche Beziehung zwischen K und B besteht nicht. Auch eine Einbeziehung in das Auftragsverhältnis zwischen H und B scheidet aus (keine Vereinbarung, keine Gläubigernähe). K hatte zum Zeitpunkt der Zerstörung des Gemäldes zudem weder Eigentum noch Besitz an dem Bild. Es bestehen somit weder vertragliche noch deliktische Ansprüche.
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2. Kann K von H erneute Lieferung des Bildes verlangen (§ 433 Abs. 1 BGB)?

Nein!

Ein Anspruch auf Leistung ist ausgeschlossen, wenn das Herbeiführen des Leistungserfolges dem Schuldner oder Jedermann unmöglich ist (§ 275 Abs. 1 BGB). Nachdem das Bild zerstört worden ist, ist es jedermann unmöglich K Eigentum an dem Gemälde zu verschaffen. Der Anspruch aus § 433 Abs. 1 BGB ist daher nach § 275 Abs. 1 BGB erloschen.

3. Muss K an H trotzdem den Kaufpreis bezahlen?

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Ausschluss der Leistungspflicht nach § 275 Abs. 1 BGB hat grundsätzlich auch den Wegfall der Gegenleistungspflicht zur Folge (nach § 326 Abs. 1 Satz 1 BGB). Dies gilt jedoch nicht, wenn eine anspruchserhaltende Vorschrift eingreift (z.B. § 326 Abs. 2 BGB; § 447 BGB). Zwischen H und K war ein Versendungskauf vereinbart (§ 447 Abs. 1 BGB). Bei einem solchen trägt der Käufer grundsätzlich die Gefahr des zufälligen Untergangs. Vorliegend handelt es sich aber um einen Verbrauchsgüterkauf (§ 474 Abs. 1 BGB). Bei diesem ist die Regelung des § 447 Abs. 1 BGB nicht anwendbar (§ 475 Abs. 2 BGB). Es bleibt somit dabei, dass die Gegenleistungspflicht (Kaufpreiszahlung) nach § 326 Abs. 1 S. 1 BGB entfällt.

4. H ist durch die Zerstörung des Bildes ein ersatzfähiger Schaden entstanden.

Ja, in der Tat!

Nach der Differenzhypothese liegt ein ersatzfähiger Vermögensschaden vor, wenn sich bei einem Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage (tatsächliche Lage) mit derjenigen, die sich ohne jenes Ereignis ergeben hätte (hypothetische Lage), ein rechnerisches Minus ergibt.B hat durch die Zerstörung des Bildes Hs Eigentum verletzt. Da H vorliegend damit ihren Anspruch auf Kaufpreiszahlung verliert, hat sich ihre Vermögenslage dadurch verschlechtert.

5. Liegt vorliegend ein Fall der Drittschadensliquidation vor?

Nein!

Eine Drittschadensliquidation kommt nur in Betracht, wenn (1) der Geschädigte keinen gleichwertigen eigenen Anspruch hat, (2) der Anspruchsinhaber keinen Schaden hat und (3) aus Sicht des Schädigenden eine zufällige Schadensverlagerung vom Anspruchsinhaber auf den Geschädigten vorliegt.Geschädigte ist hier H. Dieser stehen vertragliche Ansprüche (§§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB) gegen den Schädiger B zu. Damit fehlt es bereits an der ersten Voraussetzung. Eines Rückgriffs auf die Drittschadensliquidation bedarf es somit nicht.Es bedarf eines eigenen vertraglichen Anspruches des Geschädigten. Bloß deliktische Ansprüche (hier zB § 823 Abs. 1 BGB) würden die Anwendung der Drittschadensliquidation nicht ausschließen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

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jurafuchsles

31.7.2022, 13:20:38

Warum besteht eigentlich, wenn man von der Einbeziehung des K in den Vertrag zwischen B und H spricht keine Gläubigernähe ? Habe ich mich schon bei Fall davor gefragt. Denn der Verkäufer lässt das Bild ja im Interesse des Käufers verschicken?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

1.8.2022, 14:23:53

Hallo Jurafuchsles, Gläubigernähe liegt vor, wenn der Gläubiger ein Interesse daran hat, den Dritten in seinen Vertrag mit dem Schuldner miteinzubeziehen. Hier müsste H also ein Interesse daran haben, den K in den zwischen H und dem Transporteur bestehenden Speditionsvertrag einzubeziehen. Nach der älteren Rechtsprechung wurde ein solches Interesse nur bejaht, wenn der Gläubiger für das Wohl und Wehe des Schuldners einzustehen hat (zB Mutter ggü. Kind). Auch wenn man gerade bei Vermögensschäden mittlerweile ein deutlich weiteres Verständnis zugrunde legt, muss sich aus dem Einzelfall dennoch ein besonderes Interesse ergeben, dass die Haftung zugunsten des Dritten ausgedehnt werden soll. Auch wenn der Verkäufer das Bild im Interesse des Verkäufers verschickt, so handelt er hier nicht als dessen Vertreter (sonst bestünde ja direkt eine vertragliche Beziehung zwischen Käufer und Transporteur). Allein der Umstand, dass das Bild letztlich in Ks Eigentum übergehen soll, genügt indes nicht, um anzunehmen, dass zugunsten des K vertragliche Schadensersatzansprüche ggü. dem Transporteur begründet werden sollen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Dogu

Dogu

16.6.2023, 14:04:13

Meines Erachtens ist es nicht richtig, auch auf die deliktischen Ansprüche als eigene Anssprüche abzustellen. Zumindest in den Alpmann Skripten heißt es, dass ein anderweitiger vertraglicher Anspruch bestehen muss, da ein deliktischer Anspruch insbesondere hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzungen nicht gleichwertig sei (Verschuldensvermutung etc.).

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

19.6.2023, 10:11:08

Hallo Dogu, vielen Dank für den Hinweis. Das war in der Tat etwas missverständlich. Es bedarf eines gleichwertigen vertraglichen Anspruches des Geschädigten. Im Hinblick auf die Schwächen des Deliktsrechts (zB keine Umkehr der Beweislastverteilung, Exkulpation nach § 8

31 BGB

) genügt ein rein deliktsrechtlicher Anspruch nicht. Der BGH hat 1985 explizit festgestellt, dass ein deliktischer Anspruch der

Drittschadensliquidation

nicht entgegensteht (BGH, Urteil vom 10.05.1984 - I ZR 52/82 = NJW 1985, 2411). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

CR7

CR7

28.5.2024, 22:28:30

Es ist etwas kleinlich, aber § 447 ist nach §

475 II BGB

nicht ganz unanwendbar (so kommt es bei der Subsumtion zumindest heraus) sondern nur mit der Maßgabe, dass… (…). Jedenfalls kann § 447 BGB schon anwendbar sein…


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