Zivilrecht

Deliktsrecht

§ 824 BGB

Käfighaltung (Systemkritik)

Käfighaltung (Systemkritik)

12. Februar 2025

12 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Verein V veröffentlicht einen Zeitungsartikel, nach dem in Hühnerfarmen mit Käfighaltung immer vorsorglich Antibiotika verabreicht würden. H betreibt eine solche Hühnerfarm und kann nachweisen, dass dies nicht der Fall ist. Trotzdem gehen seine Einnahmen zurück.

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Einordnung des Falls

Käfighaltung (Systemkritik)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Bei der Aussage des V handelt es sich um eine unwahre Tatsache (§ 824 Abs. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

Tatsachen sind alle konkreten Geschehnisse oder konkreten Zustände der Gegenwart oder Vergangenheit, die sinnlich wahrnehmbar in Erscheinung getreten und daher dem Beweis zugänglich sind. Abzugrenzen dazu sind Werturteile und Meinungsäußerungen, da sie nicht objektiv nachprüfbar sind. Ob bei der Käfighaltung Antibiotika verabreicht werden, sind Umstände der Gegenwart, die dem Beweis zugänglich sind. H kann beweisen, dass dies nicht der Fall ist. Damit handelt es sich um unwahre Tatsachen.
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2. V hat diese unwahren Tatsachen auch behauptet oder verbreitet (§ 824 Abs. 1 BGB).

Ja!

Behaupten ist die Mitteilung einer Tatsache als Gegenstand eigenen Wissens oder eigener Überzeugung. Verbreiten einer Tatsache ist die Weitergabe der Behauptung eines Dritten, ohne dass sich der Weitergebende mit dieser Äußerung identifiziert. V hat den Zeitungsartikel selbst verfasst. Damit hat sie eigenes (angebliches) Wissen mitgeteilt. Die Zeitung, in der der Artikel erschienen ist, ohne sich deren Inhalt zu eigen zu machen, hat die unwahren Tatsachen verbreitet.

3. Die Betroffenheit des H beruht unmittelbar auf der Behauptung des V.

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Inhalt der Tatsache muss nicht nur dazu geeignet sein, dass andere aufgrund der Kenntnis dieser Tatsache die Kreditwürdigkeit des Betroffenen schlechter einstufen oder sonst negative Verhaltensweisen mit Auswirkungen beruflicher oder geschäftlicher Art für den Betroffenen zeigen. Um eine uferlose Haftung zu vermeiden, muss H von den behaupteten Tatsachen vielmehr auch unmittelbar betroffen sein. Vorliegend handelt es sich gerade nicht um Kritik am Betrieb des H, sondern vielmehr um "Systemkritik" an der Käfighaltung von Legehennen generell. Ein einzelner Halter wird nicht angegriffen. Daher ist der Artikel nicht geeignet, unmittelbar zurechenbare negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Wertschätzung für H zu erzeugen.

4. Der Schutzbereich des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs ist eröffnet, wenn unwahre Tatsachenbehauptungen vorliegen.

Nein, das trifft nicht zu!

Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (ReaG) stellt ein Auffangrecht dar. Damit ist es nur anwendbar, wenn keine speziellen Normen zum Schutz des wirtschaftlichen Fortkommens einschlägig sind. Im Falle der Beeinträchtigung von Betriebsmitteln ist dies das Eigentum direkt. Ausnahmen bestehen nur in den Fällen von Schmähkritik, Boykottaufrufen und unberechtigten Schutzrechtswarnungen. Damit ist der Schutzbereich des ReaG nur bei Werturteilen, aber nicht bei unwahren Tatsachenbehauptungen eröffnet.

5. Der Inhalt dieser Tatsachen ist geeignet, den Kredit eines anderen zu gefährden (§ 824 Abs. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

Der Inhalt der Tatsache muss dazu geeignet sein, dass andere aufgrund der Kenntnis dieser Tatsache die Kreditwürdigkeit des Betroffenen schlechter einstufen oder sonst negative Verhaltensweisen mit Auswirkungen beruflicher oder geschäftlicher Art für den Betroffenen zeigen. Die Behauptungen des V über den flächendeckenden Anitbiotikaeinsatz kritisieren die Haltungsbedingungen in der ganzen Branche. Sie sind damit geeignet, H in seinem wirtschaftlichen Ansehen herabzusetzen und in seinem Kredit zu gefährden, indem z.B. Produkte des H aus Käfighaltung gezielt gemieden werden könnten.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

DO

Doli

6.7.2023, 17:53:32

Die Anteile auf die letzte Frage erweckt den Eindruck, es sei das Eigentum des H in Form von Betriebsmitteln beeinträchtigt worden. Aber hier liegt doch nur eine Vermögensbeeinträchtigung vor… vielleicht könnte man den Teil der Antwort streichen

DO

Doli

6.7.2023, 17:53:48

*Antwort, nicht Anteile…

EVA

evanici

11.9.2023, 17:41:03

Andererseits ähneln sich aber die Voraussetzungen der Betriebsbezogenheit des Eingriffs und der Eignung zur

Kreditgefährdung

, kann das sein? Verstehe ich das im Übrigen richtig, dass der Schutzbereich des ReaG (coole Abkürzung :D) NUR dann eröffnet ist, wenn zwar keine

Tatsachen

behauptung, aber eine Meinungsäußerung vorliegt, die betriebsbezogen ist und somit ähnliche Eigenschaften haben muss wie die Eignung zur

Kreditgefährdung

(also insbesondere die spezifische Ausrichtung der Äußerung auf den Geschädigten)?

Dogu

Dogu

7.10.2023, 22:07:01

Schutzrechtswarnungen sind doch

Tatsachen

behauptungen?

BEN

benjaminmeister

19.1.2025, 20:51:41

Korrekt, und sofern sie unberechtigt erfolgen auch als wahre (aber unzulässige)

Tatsachen

behauptung durch

§ 823

I geschützt. Die Antowrt müsste angepasst werden.

STE

Stella2244

20.3.2024, 20:27:50

die letze Antwort auf das ReaG bezogen ist unverständlich

AME

Amelie7

30.10.2024, 21:26:08

Inwiefern ist der Artikel denn nicht geeignet, zurechenbare negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Wertschätzung zu erzeugen, wenn im Sachverhalt klar steht dass die Einnahmen zurück gegangen sind?

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

5.11.2024, 10:01:53

Hallo @[Amelie7](262107), eine berechtigte Frage! Der BGH hat schon früh entschieden, dass die Haftung nach

§ 824 BGB

nicht uferlos werden darf und es deshalb einer unmittelbaren Beziehung zwischen der Äußerung und dem Betroffenen bedarf (s zB BGH NJW 1989, 924, 924). In der Tat droht die Haftung aus

§ 824 BGB

sonst zu einer umfassenden Ersatzpflicht reiner Vermögensinteressen zu werden, was wohl nicht gewollt ist. BeckOG-BGB/Förster, 71. Ed, Stand 1.8.2024, § 824 Rn 28 bezeichnet das Merkmal "einen anderen" in

§ 824 BGB

daher plastisch als "das wahre Nadelöhr im

Tatbestand

". An dieser Individualisierung fehlt es hier, weil kein einzelner Halter angegriffen, sondern Systemkritik an der ganzen Branche geäußert wird - wenn auch falsche und eine solche, die wirtschaftliche Auswirkungen auf H hat. IRv

§ 824 BGB

genügt das allein aber eben nicht. Die Aufgabe war insoweit möglicherweise nicht ganz unmissverständlich formuliert. Wir haben jetzt versucht, das Problem in der Lösung noch deutlicher zu fassen. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

BEN

benjaminmeister

19.1.2025, 20:46:01

@[Sebastian Schmitt](263562) das Unmittelbarkeitskriterium geht mMn. immer noch etwas unter. Die entsprechende Frage-Antwort versteht man nur mit Hintergrundwissen aus anderen Quellen.

Sebastian Schmitt

Sebastian Schmitt

20.1.2025, 08:00:12

Hallo @[benjaminmeister](216712), wir haben die Aufgabe dahingehend nochmal angepasst. Dass Hintergrundwissen aus anderen Quellen erforderlich ist, lässt sich leider nicht immer ganz vermeiden. ME wird man jetzt aber zum Unmittelbarkeitskriterium etwas mehr hingeleitet als zuvor. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

BEN

benjaminmeister

20.1.2025, 09:51:09

@[Sebastian Schmitt](263562) ja das verstehe ich! Danke für die Anpassung, dass das Unmittelbarkeitskriterium jetzt mit einer extra Frage mehr Aufmerksamkeit bekommt ist wirklich top 😁!

BEN

benjaminmeister

19.1.2025, 20:48:46

Die letzte Frage ist missverständlich formuliert: Das Recht am Gewerbebetrieb ist generell subsidiär. Da mit § 824 eine Spezialnorm für unwahre

Tatsachen

vorliegt, ist das Recht am Gewerbebetrieb deshalb nicht einschlägig. Das Eigentum (Betriebsmittel) hat damit nichts zu tun und wäre hier vorliegend auch gar nicht verletzt. Das Recht am Gewerbebetrieb kann übrigens auch bei wahren, aber unzulässigen

Tatsachen

behauptungen einschlägig sein (nicht wie aktuell angegeben nur bei

Werturteil

en).


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