Strafrecht

Strafrecht Allgemeiner Teil

Objektive Zurechnung

Geschwindigkeitsüberschreitung - Pflichtwidrigkeitszusammenhang bei Fahrlässigkeitsdelikten

Geschwindigkeitsüberschreitung - Pflichtwidrigkeitszusammenhang bei Fahrlässigkeitsdelikten

22. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A und B fahren mit überhöhtem Tempo in eine Kreuzung und stoßen zusammen. B stirbt. Wäre A mit zulässigem Tempo gefahren, hätte er auch nicht mehr vor der Kreuzung anhalten können. Er wäre aber aufgrund der besseren Bremsmöglichkeit 0,6 Sek. später am Ort des Zusammenstoßes angelangt und B hätte die Fahrspur bereits überquert gehabt.

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Einordnung des Falls

Geschwindigkeitsüberschreitungsfall (BGHSt 33, 61)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 1 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Bei rechtmäßigem Alternativverhalten wäre der Unfalltod des B vermieden worden.

Ja!

Bei Fahrlässigkeitsdelikten muss im Rahmen der objektiven Zurechnung auch ein Pflichtwidrigkeitszusammenhang bestehen. Dieser ist nach der Vermeidbarkeitstheorie gegeben, wenn der konkrete Erfolg bei pflichtgemäßen Alternativverhalten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vermeidbar gewesen wäre.Wäre A pflichtgemäß mit der vorgeschriebenen Geschwindigkeit gefahren, hätte der Zusammenstoß mit B mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vermieden worden.Der Schutzzweckzusammenhang entfällt im Übrigen nicht dadurch, dass der Unfall genauso auf die überhöhte Geschwindigkeit des B zurückführbar ist. Der Zweck des im Verkehrsinteresse geschaffenen § 3 Abs. 3 StVO erfasst auch diesen Fall.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

🔥1312

🔥1312🔥

5.4.2021, 09:36:59

So einen ähnlichen Fall gab es, wenn ich mich richtig erinnere, auch im Kontext "

Schutzzweck der Norm

", bei dem die obj. Zurechnung abgelehnt wurde. Für mich ist nicht ganz klar warum die obj. Zurechnung hier nicht auch ausscheidet. Schutzzweck der Geschwindigkeitsbegrenzung ist ja nicht, dass man zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr/noch nicht an einem bestimmten Ort ist, sondern dass der Bremsweg entsprechend kurz ist. Dennoch wird hier auf diesen Aspekt gar nicht eingegangen.

JAN

Janina

5.4.2021, 20:26:45

Ich stelle mir die gleiche Frage :)

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

5.4.2021, 22:42:57

Danke euch beiden für die gute Frage! In der Tat sollen Geschwindigkeitsbeschränkungen und andere Verkehrsgebote (zB rote Ampel) nicht dazu dienen, sicherzustellen, dass eine Person zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort ist. Vorliegend geht es aber in der Tat um die Bremsmöglichkeit des A. Denn zwar hätte A auch bei ordnungsgemäßer Geschwindigkeit nicht verhindern können, dass er in die Kreuzung hineinfährt. In dem vom BGH entschiedenen Fall hätte er aber so gut bremsen können, dass B bereits die Kreuzung überquert gehabt hätte, sodass es "gerade noch einmal gut" gegangen wäre. Insofern wurde hier ein pflichtwidriges Verhalten bejaht. Wir haben diesen Aspekt im Sachverhalt nun noch ein wenig hervorgehoben. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Daniil

Daniil

5.7.2021, 13:58:23

Wie ist es rechtlich zu bewerten, dass auch B mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren ist? Für eine

eigenverantwortliche Selbstgefährdung

sicherlich nicht ausreichend, aber Strafmilderung?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

5.7.2021, 16:23:40

Hallo Daniil, nach § 46 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist die individuelle Schuld des Täters die Grundlage für die Strafzumessung. Bei der Strafzumessung sind u.a. das Maß der Pflichtwidrigkeit sowie die Art der Ausführung (§ 46 Abs. 2 S. 2 Alt. 3+4 StGB) zu berücksichtigen. Insofern wird es bei der Strafzumessung in der Tat zu berücksichtigen sein, dass A hier letztlich nicht allein für den Unfall verantwortlich ist, sondern auch das Opfer einen gewissen Anteil an dem zustandekommen des Unfalls hatte (auch wenn dieser - wie Du richtig einwendest - nicht ausreicht, um den

Zurechnungszusammenhang

entfallen zu lassen). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

FUCH

Fuchsfrauchen

10.12.2021, 11:29:52

Spielt es hier keine Rolle, wer Vorfahrt gehabt hätte? Hier sieht es so aus, als hätte A Vorfahrt gehabt und somit evtl. nicht damit rechnen müssen, dass B ihm diese nimmt. 🤔

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

10.12.2021, 12:32:42

Hallo Fuchsfrauchen, in der Tat ist dies hier für den BGH bei der strafrechtlichen Bewertung nicht ausschlaggebend gewesen. Auch im Originalfall hat sich A auf einer bevorrechtigten Straße befunden. Das ändert aber dennoch nichts daran, dass er mit überhöhter Geschwindigkeit unterwegs war und sich zumindest insoweit pflichtwidrig verhielt, weshalb ihm der Erfolg zuzurechnen war. Bei der Strafzumessung kann das aber durchaus berücksichtigt werden. Die Frage der Vorfahrtsberechtigung ist auch im zivilrechtlichen Kontext durchaus relevant. Denn die jeweiligen Verursachungsbeiträge werden bei der Frage berücksichtigt, in welchem Verhältnis die Halter/Fahrer untereinander haften (vgl. § 17 Abs. 2 StVG). Dabei ist der Vorfahrtsverstoß deutlich schwerer zu gewichten, als die Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

FUCH

Fuchsfrauchen

10.12.2021, 21:02:09

Dank Dir!

DI

Dini2010

31.7.2023, 03:23:09

Ich habe eine kleine Verständnisfrage bezüglich des Schutzzwecks der Norm. In dem Fall "A fährt mit uberhöhter Geschwindigkeit und fährt Passant P an, der über die Straße geht. Bei pflichtgemäßem Verhalten (= korrekter Geschwindigkeit) wäre A 2 sek. später an der Unfallstelle angekommen und P hätte die Straße bereits passiert." Hier steht ja Regelmäßig der

Schutzzweck der Norm

entgegen, da es nicht Zweck der Geschwindigkeitsbegrenzung ist, jemanden zu späterer Zeit am Unfallort eintreffen zu lassen. Wo ist denn der Unterschied zu diesem Fall? Denn wenn der BGH verurteilt hat, stand der Schutzzweck hier ja scheinbar nicht entgegen?

GI

GingerCharme

31.7.2023, 09:03:09

Ich glaube auch hier ist der Unterschied der des engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhanges. Die Geschwindigkeitsbegrenzung soll schon Unfälle verhüten, wäre hier rechtmäßig gefahren worden, wäre der Unfall verhindert worden, weil B schon weg gewesen wäre, wenn A dann eingefahren wäre in die Kreuzung. Vom Schutzzweck ist aber "nicht mehr" erfasst, wenn A an dieser Kreuzung in diesem Fall zu schnell gefahren wäre, es wäre nichts passiert, dann fährt er 50 km weiter vorschriftsmäßig und fährt jemanden an. Nun diente quasi die Pflicht zur Einhaltung der Geschwindigkeit an der Kreuzung nicht dazu, 50 Kilometer weiter zu einem späteren Zeitpunkt zu sein, der

Schutzzweck der Norm

steht entgegen. Ich glaube es geht also darum sich anzuschauen, ob das Verhalten sich im engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang auswirkt und nicht erst viel viel später, sodass man einen Zusammenhang konstruieren müsste.

DI

Dini2010

31.7.2023, 14:08:55

Erstmal vielen lieben Dank für die Antwort : ) Hm, grundsätzlich stimme ich dem zu, aber es gibt ja eben auch die Fälle, wo keine große Distanz dazwischen liegt. Also eben nicht die Variante "50km später fährt er jemanden an". Sondern wo der SV z.B. nur hergibt "A befährt die X-Straße in Überhöhter Geschwindigkeit, als Passant P vor ihm die Straße überquert. A überfährt P. Hätte A die vorschriftsgemäße Geschwindigkeit eingehalten, wäre er X sekunden später usw.." Wo also gar keine Entfernung genannt wird. Und da sehe ich den Unterschied irgendwie noch nicht so wirklich

LELEE

Leo Lee

5.8.2023, 10:42:23

Hallo Dini2010 und Gingercharme, in der Tat wäre hier auch der

Schutzzweck der Norm

zu thematisieren (der jedoch gegeben wäre, da vorliegend eine sog. "verkehrskritische Situation" (also Gefahr hier und jetzt) vorlag). Hier lag der Schwerpunkt allerdings beim Thema

Pflichtwidrigkeitszusammenhang

-

rechtmäßiges Alternativverhalten

, weshalb hier nur ebendieses Thema angesprochen wird :) Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo


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