Psycholyse-Fall

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Arzt A verteilt im Rahmen einer sog. Psycholyse-Sitzung illegale Drogen an Teilnehmende. Zweck dieser wissenschaftlich nicht anerkannten Methode ist es, zu ermöglichen an unbewusste Inhalte der Psyche zu gelangen. Infolge einer defekten Waage händigt A versehentlich eine viel zu hohe Menge an T aus, der daraufhin an einer Überdosis verstirbt.

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Einordnung des Falls

Psycholyse-Fall

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A hat den Tod des T kausal herbeigeführt.

Genau, so ist das!

Nach der Äquivalenztheorie (= conditio-sine-qua-non-Formel) ist eine Handlung kausal, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele.Hätte A nicht eine falsch abgewogene Menge an Drogen an T verteilt, hätte dieser sie nicht genommen und wäre nicht an einer Überdosis verstorben.
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2. A hat sich objektiv sorgfaltspflichtwidrig verhalten (§ 222 StGB).

Ja, in der Tat!

Der einschlägige Sorgfaltsmaßstab ergibt sich aus den Regeln der ärztlichen Kunst. Danach ist bei der Vergabe illegaler Medikamenten jedenfalls deren richtige Dosierung sicherzustellen. A verteilt indes eine viel zu hohe Menge der Drogen an T.

3. Der Tod des T war objektiv auch vorhersehbar.

Ja!

Die objektive Vorhersehbarkeit setzt voraus, dass der Erfolgseintritt sowie Kausalverlauf für einen Durchschnittsmenschen des jeweiligen Verkehrskreises absehbar gewesen ist. Für einen durchschnittlichen Arzt ist es nicht unvorhersehbar, dass es bei der Abmessung und Dosierung von Medikamenten oder Drogen zu einem Fehler und dadurch zu einer Überdosierung kommt. Darüber hinaus ist es nicht außerhalb aller Lebenserfahrung, dass es bei der Überdosierung illegaler Drogen zum Tod der einnehmenden Person kommt, dass damit vernünftigerweise nicht zu rechnen war.

4. Der Tod des T ist dem A jedoch nicht objektiv zurechenbar, da T freiwillig an der Psycholyse-Sitzung teilnahm und in deren Rahmen sich durch die eigenhändige Einnahme der Drogen eigenverantwortlich selbst schädigte.

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Zurechnungszusammenhang ist ausgeschlossen, wenn sich der gegenständliche Erfolg als Realisierung eines freiverantwortlichen Entschlusses des Opfers zur Selbstgefährdung darstellt. Indes bleibt es bei der Zurechnung, wenn die Tatherrschaft über den Geschehensablauf bei einem Dritten liegt (Fremdgefährdung). BGH: A erlangte Tatherrschaft durch Irrtumsherrschaft, indem er die Droge in einer viel zu hohen Dosierung verteilte. T blieb so über einen ganz wesentlichen Gesichtspunkt im Unklaren. Nur A wäre möglich gewesen, das Risiko vollständig zu erfassen und weil er fahrlässig seine besseren Erkenntnismöglichkeiten nicht ausschöpfte, stellt sich der Erfolg als sein Werk dar.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

JEAN

Jeanny

2.9.2022, 14:16:36

Ich habe eine Frage zur objektiven

Vorhersehbarkeit

: Hier wurde darauf eingegangen, dass es für einen durchschnittlichen Arzt objektiv vorhersehbar ist, dass man an einer Überdosis sterben kann. Nun frage ich mich, warum man nicht prüft, ob es objektiv vorhersehbar ist, dass der A ausversehen eine zu hohe Menge verteilt?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

5.9.2022, 17:12:18

Hallo Jeanny, objektiv vorhersehbar ist der Erfolg, wenn er nicht so sehr außerhalb aller Lebenserfahrung liegt, dass man vernünftigerweise nicht damit zu rechnen brauchte. Es ist nicht so sehr außerhalb aller Lebenserfahrung, dass es bei der Dosierung und Abmessung von kleinsten Mengen z.B. von Medikamenten oder Drogen zu Fehlern kommt, dass damit nicht zu rechnen war. Wir haben den Vertiefungshinweis entsprechend ergänzt. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

IS

IsiRider

1.3.2023, 11:17:19

Warum entwickelt man einen 2. Sorgfaltsmaßstab? Betrunken Auto zu fahren oder illegal Drogen zu verteilen ist strafbar. Zu sagen, wenn man es doch macht, dann mach es angepasst bzw. dosiere wenigstens richtig, lässt das Verbot als doch in Ordnung erscheinen.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

1.3.2023, 16:23:51

Hallo IsiRider, da stimme ich dir zu. Die Entwicklung eines zweiten - genauer gesagt die Modifikation des Sorgfaltsmaßstabs an die Situation des betrunkenen Autofahrers oder des Drogenverabreichenden wird auch von großen Teilen der Literatur kritisch gesehen. Nach Ansicht der Literatur kann es kein sorgfaltsgemäßes betrunkenes Fahren durch angepasste Geschwindigkeit geben. Der BGH ist anderer Ansicht und wendet diese Grundsätze in seiner Rechtsprechung entsprechend an, ganz nach dem Motto: "Wenn du schon betrunken Auto fährst, dann bitte langsam und vorsichtig". Es bleibt in der juristischen Ausbildung leider nicht aus, sich auch diese Ansicht zumindest fachlich zu eigen zu machen. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

IS

IsiRider

1.3.2023, 16:39:18

Mir fehlte da die Kritik. Danke für die Erläuterung.


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