Absolutes Fixgeschäft (Beförderung mit dem Flugzeug)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Umweltschützerin U will zur Klimakonferenz nach New York und bucht bei Fluggesellschaft F einen Flug. Am Abflugtag wird dieser mehrmals verschoben, sodass U 12 Stunden später ankommen würde. Die Konferenzteilnahme ist aber nicht gefährdet.

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Einordnung des Falls

Absolutes Fixgeschäft (Beförderung mit dem Flugzeug)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. F war ursprünglich verpflichtet, U nach New York zu bringen (§ 631 Abs. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

Beim Werkvertrag verpflichtet sich der Unternehmer ein Werk herzustellen; der Besteller verpflichtet sich, die Vergütung zu zahlen (§ 631 Abs. 1 BGB).U und F haben vereinbart, dass F den U nach New York befördert (Luftbeförderungsvertrag). Damit schuldete F einen werkvertraglichen Erfolg (§ 631 Abs. 1 BGB).
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2. Sofern Fs eigene Leistungspflicht durch Unmöglichkeit ausgeschlossen ist (§ 275 Abs. 1 BGB), ist Fs Anspruch auf den Werklohn ebenfalls erloschen (§ 326 Abs. 1 S. 1 BGB).

Ja!

Wenn der Schuldner nach § 275 Abs. 1 BGB nicht mehr zu leisten braucht, entfällt der Anspruch auf die Gegenleistung (§ 326 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 BGB).Sofern die verspätete Erbringung der Beförderung zur Unmöglichkeit führt, ist U nicht verpflichtet zu zahlen.

3. Sobald ein Schuldner seine Leistung verspätet erbringt, tritt Unmöglichkeit ein.

Nein, das ist nicht der Fall!

Unmöglichkeit liegt vor, wenn der Leistungspflicht ein dauerhaftes und unüberwindbares Hindernis entgegensteht. Die bloß verspätete Leistung stellt grundsätzlich kein solches Hindernis dar. Anders ist dies ausnahmsweise im Falle eines absoluten Fixgeschäftes. Ein solches liegt vor, wenn die Leistungszeit derart wichtig ist, dass die Leistung nur zu einem bestimmten Zeitpunkt, danach aber überhaupt nicht mehr erbracht werden kann. Bei der Annahme eines absoluten Fixgeschäftes ist mit Rücksicht auf die Interessen der Parteien große Zurückhaltung geboten, da ihnen häufig an einer wenn auch verspäteten Durchführung des Vertrags gelegen ist.

4. Bei der Vereinbarung über die Beförderung nach New York handelt es sich um ein absolutes Fixgeschäft.

Nein, das trifft nicht zu!

Ob ein absolutes Fixgeschäft vorliegt, ist durch Auslegung der Vereinbarung der Parteien zu ermitteln (§§ 133, 157 BGB). Für den Schuldner muss erkennbar sein, dass die Leistung für den Gläubiger nur dann sinnvoll verwendbar ist, wenn sie zum festgelegten Zeitpunkt erfolgt.Für F ist nicht ersichtlich, warum U nach New York fliegt. Zudem hat U weiterhin die Möglichkeit, an der Konferenz teilzunehmen. Die Beförderung ist damit nicht sinnlos.In Betracht kommt die Annahme eines „relativen Fixgeschäftes“, wo die Leistungszeit wichtig ist, die verspätete Leistung aber nicht jegliches Leistungsinteresse des Gläubigers entfallen lässt. Das „relative Fixgeschäft“ führt nicht zur Unmöglichkeit, sondern berechtigt den Gläubiger den Rücktritt zu erklären.

5. F hat trotz ihrer Verspätung weiterhin das Recht und die Pflicht, U nach New York zu befördern.

Ja!

Liegt ein absolutes Fixgeschäft vor, so ist bei verspäteter Leistung die Leistungspflicht wegen Unmöglichkeit ausgeschlossen (§ 275 Abs. 1 BGB).F und U haben kein absolutes Fixgeschäft vereinbart. Trotz der Verspätung ist F nach wie vor zur Leistung verpflichtet.

6. F hat weiterhin einen Anspruch auf den vereinbarten Werklohn (§ 631 Abs. 1 BGB).

Genau, so ist das!

Wenn der Schuldner nach § 275 Abs. 1 BGB nicht mehr zu leisten braucht, entfällt der Anspruch auf die Gegenleistung (§ 326 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 BGB).Da Fs eigene Pflicht zur Beförderung der U nicht wegen Unmöglichkeit ausgeschlossen ist, ist ebenfalls ihr Anspruch auf Zahlung des Werklohnes nicht erloschen.Nach Art. 5 Abs. 1 c, 7 Abs. 1c der europäischen Fluggastrechte Verordnung (EG) 261/2004 hätte U allerdings Anspruch auf eine Entschädigung in Höhe von €600. Zwar wurde der Flug nicht annuliert. Die Rechtsprechung wendet Art. 5 Abs. 1c der Verordnung aber auch bei großer Verspätung an (ab 3h).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

QUIG

QuiGonTim

20.7.2022, 17:10:33

Handelt es sich bei dem Luftbeförderungsvertrag um einen reinen Werkvertrag? Hinsichtlich des Sitzplatzes im Flugzeug enthält er ja ein mietvertragliche Bestandteile.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

9.8.2022, 12:19:04

Hallo QuiGonTim, das ist ein interessanter Ansatz. Nach herrschender Meinung und gefestigter Rechtsprechung seit Ende der 1960er Jahre handelt es sich bei einem Luftbeförderungsvertrag tatsächlich um einen Werkvertrag mit dem Erfolg der pünktlichen Ortsveränderung des Fluggastes über den Luftweg. Auch die unterbliebenen Änderungen im Gegensatz z.B. zum Reisevertrag lassen einen entsprechenden Willen des Gesetzgebers erkennen. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

lexfoxi🦊

lexfoxi🦊

5.8.2022, 20:11:30

Bei so einem Fall muss ich ganz praktisch direkt an die EU-FluggastrechteVO denken 🥲

RAP

Raphaeljura

3.6.2023, 02:12:28

Warum kann man nicht argumentieren, dass es ein

absolutes Fixgeschäft

ist? Wenn jemand einen Flug bucht, dann wählt er ja das Flugdatum bewusst aus, auch hinsichtlich der weiteren Pläne nach Ankunft. Oder muss man hier abwägen? Nehmen wir an, jemand will am Freitag übers WE wegfliegen, aber der Flug verzögert sich bis Sa Abend. Aufgrund der Verzögerung würde er am So nachmittag ankommen, müsste aber gleich wieder zurückfliegen, um Mo morgens wieder am Arbeitsplatz zu sein. Wäre das ein Beispiel für ein

absolutes Fixgeschäft

?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

6.6.2023, 11:32:30

Hallo Raphaeljura, vielen Dank für die Nachfrage. Im Grundsatz hat jeder Vertragspartner ein Interesse an einer pünktlichen Leistungserbringung, sei es Beförderung (Zug, Bahn), Warenlieferung (zB Versandhandel) oder zB Dienst-/Werkleistungen. Dennoch führt eine Verspätung hier grundsätzlich nicht zur Unmöglichkeit, sondern kann primär einen Schadensersatz wegen Verzögerung (§§ 280 I, II, 286) rechtfertigen. Das absolute

Fixgeschäft

stellt einen absoluten Ausnahmefall dar und ist deswegen sehr restriktiv zu handhaben. Es geht dabei um Fälle, bei denen die Leistung objektiv nur zu einem bestimmten Zeitpunkt sinnvoll ist und deswegen auch für den Vertragspartner ersichtlich nur zu einem fest definierten Zeitpunkt erbracht werden kann. Das Paradebeispiel ist hier die Hochzeit. Gerade bei Beförderungsleistungen ist dieser Zweck aber in der Regel nicht evident. Häufig besteht das Bedürfnis an der Beförderung auch dann, wenn diese verspätet erfolgt. Aus diesem Grund hat der BGH ein

absolutes Fixgeschäft

hier abgelehnt. Sofern die Parteien ausnahmsweise einen bestimmten Termin als wesentlich definieren, obwohl dies sich aus der Art der Leistung nicht zwingend ergibt, liegt ein sog. Fall des "relativen

Fixgeschäft

s" vor, welches den Gläubiger zumindest zum Rücktritt berechtigt (§ 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB). Auch hier kommt es aber darauf an, dass dies für den Leistungserbringer erkennbar ist. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team


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