Schema: Verstoß gegen Schutzgesetz (§ 823 Abs. 2 BGB)
17. Dezember 2025
18 Kommentare
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Wie prüfst Du den Anspruch auf Schadensersatz bei Verstoß gegen ein Schutzgesetz (§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Schutzgesetz)?
Verstoß gegen ein Schutzgesetz
Statt einer Rechtsgutsverletzung setzt § 823 Abs. 2 BGB voraus, dass ein Schutzgesetz verletzt worden ist und dass die geschädigte Person in den persönlichen Schutzbereich des Schutzgesetzes fällt.
Schutzgesetz
Schutzgesetz ist eine materielle Rechtsnorm (Art. 2 EGBGB), die – sei es auch nur neben dem Schutz der Allgemeinheit – zumindest auch dazu dient, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines Rechtsguts oder Rechts zu schützen.
Verstoß
Für den Verstoß gelten die Tatbestandsvoraussetzungen des Schutzgesetzes. Ist also eine Vorschrift des Strafgesetzbuches das Schutzgesetz, musst Du alle Merkmale des Straftatbestandes (objektiver und subjektiver Tatbestand, Rechtswidrigkeit und strafrechtliche Schuld) prüfen.
Persönlicher Schutzbereich
Der Verletzte muss zu dem durch das Schutzgesetz geschützten Personenkreis gehören.
Rechtswidrigkeit
Die Rechtswidrigkeit wird durch die Schutzgesetzverletzung indiziert. Ist sie bereits im Rahmen der Verletzung des Schutzgesetzes positiv festgestellt worden (etwa bei einem Strafgesetz), muss sie nicht nochmal geprüft werden.
Verschulden
Der vom Schutzgesetz geforderte Verschuldensgrad muss erfüllt sein (Beispiel: Vorsatz bei § 303 StGB). Das wird oben zusammen mit den anderen Voraussetzungen der Schutzgesetzverletzung geprüft und ist nicht noch einmal zu prüfen. Setzt das Schutzgesetz kein Verschulden voraus, dann muss mindestens Fahrlässigkeit vorliegen (§§ 823 Abs. 2 S. 2, 276 Abs. 1 S. 1 BGB). Diese ist dann an hier zu prüfen. Das Verschulden braucht sich aber nur auf den Verstoß gegen das Schutzgesetz, nicht auch auf den daraus resultierenden Schaden zu beziehen. Im Übrigen kann bei einer Schutzgesetzverletzung das Verschulden vermutet werden.
Das Verschulden wird nur vermutet, wenn das Schutzgesetz ein so konkret formuliertes Verhalten beschreibt, dass dieser Schluss naheliegt. Das ist nicht der Fall, wenn das Schutzgesetz alleine einen Verletzungserfolg verbietet. Kausaler Schaden
Es muss ein nach §§ 249ff. BGB-ersatzfähiger Schaden äquivalent und adäquat kausal durch die Verletzung des Schutzgesetzes hervorgerufen werden (haftungsausfüllende Kausalität). Weiterhin muss der Schaden und die Art und Weise der Schadensverwirklichung unter den Schutzzweck des Schutzgesetzes fallen (objektive Zurechnung).
Haftungsbegründende Kausalität
Die Verletzung des Schutzgesetzes muss sich äquivalent und adäquat kausal aus der Handlung/dem Unterlassen des Schuldners ergeben und ihm objektiv zurechenbar sein (Schutzzweck der Norm).
Wenn die Merkmale der haftungsbegründenden Kausalität bereits Tatbestandsvoraussetzung für den Verstoß gegen das Schutzgesetz sind, musst du sie an dieser Stelle nicht noch einmal gesondert prüfen!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Taylaw
5.10.2021, 17:55:11
Wäre es nicht logischer, hier erst die Zugehörigkeit einer Person zum geschützten Personenkreis zu prüfen, und anschließend die Verletzung des
Schutzgesetzes? Wenn nämlich die betroffene Person sowieso nicht zum geschützten Personenkreis gehört, würde ich es als seltsame Schwerpunktsetzung ansehen, wenn man zuerst die Verletzung thematisiert (wenn die denn dann überhaupt vorliegt). Vielleicht kann man es aber auch so oder so machen und es ist Geschmackssache. Als generelles Feedback (…->)
Taylaw
5.10.2021, 17:55:55
Als generelles Feedback fände ich es bei den Schemata deswegen toll, wenn Alternativen, die auch gut vertretbar sind, nicht als falsch gewertet werden :) Danke!
Lukas_Mengestu
6.10.2021, 11:02:45
Hey Taylaw, vielen Dank für den Hinweis. In der Tat sind
Prüfungsschematanicht in Stein gemeißelt. Leider haben wir bislang noch keine technische Möglichkeit gefunden, alternative Lösungen als richtig zu werten. Wir sind allerdings dabei, hierfür eine Lösung zu finden. Im konkreten Fall würde ich Dir zustimmen, dass es in der Regel mehr Sinn ergibt, den persönlichen Schutzbereich vor der Verletzung zu prüfen. Wir haben das entsprechend angepasst. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Taylaw
6.10.2021, 12:09:09
Vielen Dank! Und super, dass ihr versucht, das zu implementieren :)
Dogu
29.10.2023, 19:44:32
Wird der
Vorsatznach strafrechtlichen Kriterien bestimmt oder muss sich dieser im
Deliktsrechtauch auf die Rechtswidrigkeit beziehen`?
Sambajamba10
24.1.2024, 13:01:22
Hallo @[Dogu](137074), letzteres ist richtig. Der
Vorsatzist im Zivilrecht das Wissen und Wollen des rechtswidrigen Erfolgs im Bewusstsein der Rechts- bzw. pflichtwidrigkeit (
Unrechtsbewusstseinentsprechend der
Vorsatztheorie). Daher stellt sich hier beispielsweise eine Problematik wie der Erlaubnis
tatumstandsirrtumglücklicherweise nicht
benjaminmeister
19.1.2025, 19:22:51
Ist der Prüfungspunkt "
haftungsbegründende Kausalität" nicht eigentlich völlig überflüssig wenn ich schon bei "
Schutzgesetz/Verstoß gegen
Schutzgesetz" den kompletten Tatbestand des
Schutzgesetzes prüfe?
Nils
18.7.2025, 16:32:32
Das würde mich auch interessieren.
Giuliana
22.7.2025, 18:28:27
In einem Aufbauschemata-Büchlein (A. Schmidt für ZivilR), welches ich bei Unklarheiten während Fallbearbeitungen gerne auch nochmal ranziehe, wird z.B. nicht nochmal der Prüfungspunkt der haftungsbegründenden Kausalität eröffnet, sondern die Prüfungspunkte
Schutzgesetz/Schutzbereich/Verstoß werden (tatsächlich auch neben Rechtswidrigkeit und Ver
schulden) unter „haftungsbegründenden Tatbestand“ zusammengefasst. Auf einer bekannten Jura-Seite fand ich ein Schema, dass auch wie hier den Prüfungspunkt „alleinstehend“ aufgreift. Hauptsache wird sein, dass es deutlich wird, dass der Verstoß kausal für die Verletzung ist und somit die Haftung begründet ist.
Nils
22.7.2025, 19:55:32
Es scheint so zu sein, dass es genauso wie bei §
823 IBGB zu prüfen ist. Der Grund, warum es oft nicht separat in
Prüfungsschemataaufgeführt ist, liegt wohl darin, dass es bei vielen
Schutzgesetzen einfach kein eigenes Tatbestandsmerkmal und deswegen kein "universaler" Prüfungspunkt ist. "Nach allgemeinen Regeln obliegt dem Geschädigten der Kausalitätsnachweis, also der Nachweis einer ursächlichen Verbindung zwischen der Verletzung des
Schutzgesetzes und dem Eintritt des Schadens. Während der Nachweis der Schadenshöhe und der haftungsausfüllenden Kausalität eine Angelegenheit des § 287 ZPO ist, stellt sich hinsichtlich der „haftungsbegründenden“ Kausalität, also des Ursachenzusammenhangs zwischen
Schutzgesetzverstoß und primärer Rechtsgutsverletzung, die Frage nach Beweiserleichterungen. Im technischen Sinn haftungsbegründend ist die Rechtsgutsverletzung bei § 823 Abs. 2 zwar regelmäßig nicht, weil sie kein Tatbestandsmerkmal der meisten
Schutzgesetze ist, doch ändert dies nichts daran, dass der Geschädigte einen Schaden nachweisen muss, wenn er Kompensation und nicht bloß Unterlassung verlangt." MüKoBGB/Wagner, 9. Aufl. 2024, BGB § 823 Rn. 715
Tim Gottschalk
12.8.2025, 11:44:06
Hallo @[benjaminmeister](216712), @[Nils](40945) und @[Giuliana](188708), wie ihr schon ganz richtig herausgestellt habt, ist der Prüfungspunkt nur dann erforderlich, wenn man nicht beim Verstoß gegen das
Schutzgesetzbereits prüft, ob der Anspruchsgegner gegen dieses auch durch ein Handeln oder Unterlassen kausal und zurechenbar verstoßen hat. Das wird bei den klassischen Klausurfällen in der Regel der Fall sein, sodass ein separates Eingehen darauf nicht erforderlich ist. Es gibt aber auch andere
Schutzgesetze, bei denen das die Prüfung erleichtern kann. Als Beispiel würde ich Art. 101 AEUV heranziehen. Der Tatbestand verbietet bestimmte Vereinbarungen zwischen Unternehmen. Prüft man einen Anspruch gegen eine an einem solchen Unternehmen beteiligte natürliche Person (B), gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man macht es so wie wir und prüft bei Verstoß gegen das
Schutzgesetznur, ob eben der Tatbestand des Art. 101 AEUV erfüllt ist, also zwischen den Unternehmen eine verbotene Vereinbarung besteht. Die separate Prüfung der haftungsbegründenden Kausalität ist dann erforderlich, da erst sie zur Zurechnung gerade zum konkreten Anspruchsgegner (B) führt. Alternativ kann man auch sagen, dass im Hinblick auf
§ 823 Abs. 2 BGB("welcher gegen ein [...] Gesetz verstößt") ja bereits nur der Verstoß gegen das
Schutzgesetzdurch den Anspruchsgegner gemeint ist und gleich unter "Verstoß gegen
Schutzgesetz" prüfen, ob denn auch der B selbst zurechenbar gegen das
Schutzgesetzverstoßen hat. Das kann es aber meines Erachtens komplizierter machen als der Weg, den wir einschlagen, und erfordert höhere sprachliche Präzision. Deswegen finde ich unsere Lösung grundsätzlich die bessere. Ich sehe aber auch, dass unser Schema verwirren kann. Daher haben wir jetzt den Hinweis hinzugefügt, dass eine Prüfung nur dann erforderlich ist, wenn die
haftungsbegründende Kausalitätnicht bereits Tatbestandsvoraussetzung der
Schutzgesetzverletzungist. Liebe Grüße Tim - für das Jurafuchs-Team
Robert_Fhain
8.9.2025, 16:23:49
In der Box "Verstoß" schreibt ihr: "Für den Verstoß gelten die Tatbestandsvoraussetzungen des
Schutzgesetzes. Ist also eine Vorschrift des Strafgesetzbuches das
Schutzgesetz, musst Du alle Merkmale des Straftatbestandes (objektiver und
subjektiver Tatbestand, Rechtswidrigkeit und strafrechtliche
Schuld) prüfen." Ich habe im Strafrecht gelernt, dass der Tatbestand aus dem objektiven und dem subjektiven Teil besteht. Rechtswidrigkeit und
Schuldgehören nicht zum Straftatbestand, sondern zur Straftat an sich. Habt ihr da einen Formulierungsfehler?
Leo Lee
10.9.2025, 13:25:14
Hallo Robert_Fhain, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! Es mag zwar auf den ersten Blick etwas eigenartig klingen, dass trotz "StrafTATBESTANDS" das volle Programm gefordert wird. Allerdings ist hiermit tats. auch die RWK sowie die
Schuldgemeint. Denn der TATBESTAND eines Strafgesetzes meint sehr wohl den obj. + subj. TB. Allerdings wird der Begriff Straftatbestand auch allgemein mit dem Strafgesetz (also TB, RWK,
Schuld) synonym verwendet, weshalb in der Tat alles durchzuprüfen ist (siehe etwa auch in der Lösung von Prof. Stephan Lorenz: https://lorenz.userweb.mwn.de/lehre/gk1/rep/sosefall13.pdf). Dies ist z.B. auch nicht zuletzt deshalb nötig, weil die Erwägungen zu der RWK sowie der
Schuldhaftigkeit nicht immer deckungsgleich sind zw. dem Strafrecht und dem
Deliktsrecht(auch wenn das
Deliktsrecht- wie "Delikt" schon sagt - ziemlich nah am Strafrecht steht). Bspw. kennen wir ja alle die ALIC aus dem Strafrecht; allerdings wäre es - nicht unmöglich aber sehr ungewohnt und auch knifflig - diese Figur in die Prüfung des 823 einzubauen, weil man dann ständig mit dem Strafrecht argumentieren müsste i.R.d. Zivilrechts. Deshalb haben wir uns hier in der Tat nicht vertippt :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
