Grundfall: Sachmangelbegriff, vertraglich vorausgesetzte Verwendung (§ 633 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 BGB)


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Hobbyfahrer F lässt bei Mechaniker M einen neuen Ölkühler einbauen. Weil er sich nicht auskennt, überlässt er M die Details. M erkennt, dass F mit dem Auto auf dem Nürnburgring Rennen fahren will. Er baut dennoch einen Kühler ein, der nur für den normalen Straßenverkehr genügt.

Einordnung des Falls

Grundfall: Sachmangelbegriff, vertraglich vorausgesetzte Verwendung (§ 633 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 BGB)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. M hat ein Werk frei von Sach- und Rechtsmängeln herzustellen (§ 633 Abs. 1 BGB).

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Ja, in der Tat!

Der Werkunternehmer hat dem Besteller ein Werk frei von Sach- oder Rechtsmängeln zu verschaffen (§ 633 Abs. 1 BGB). M hat sich dazu verpflichtet, einen neuen Ölkühler einzubauen.

2. Das Werk muss in erster Linie der vereinbarten Beschaffenheit entsprechen.

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Ja!

Vorrangig gilt der subjektive Mangelbegriff. Danach ist das Werk frei von Sachmängeln, wenn es die vereinbarte Beschaffenheit aufweist (§ 633 Abs. 1 S. 1 BGB). Beschaffenheit sind zunächst die physischen Eigenschaften des Werks, aber auch deren tatsächliche, rechtliche und wirtschaftliche Beziehung zur Umwelt. Nur insoweit die Beschaffenheit nicht vereinbart ist, kommt es auf die Verwendung oder übliche Beschaffenheit an (§ 633 Abs. 2 S. 2 BGB).

3. F und M haben eine Beschaffenheit vereinbart.

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Nein, das ist nicht der Fall!

Ob die Parteien eine Beschaffenheitsvereinbarung abgeschlossen haben ist durch Auslegung zu ermitteln (§§ 133, 157 BGB). Weder explizit noch konkludent haben M und F eine besondere Beschaffenheit vereinbart. Stattdessen hat F dem M die Auswahl der Beschaffenheit überlassen. Eine Beschaffenheitsvereinbarung besteht auch dann, wenn sich die Parteien darauf geeinigt haben, dass sich das Werk für eine bestimmte Verwendung eignen soll (= Funktionseignung). F und M haben sich aber auch nicht darauf geeinigt, dass das die Ölkühlung für den Rennbetrieb geeignet sein soll.

4. Weil die Beschaffenheit nicht vereinbart ist, muss die Ölkühlung in jedem Fall nur durchschnittlichen Anforderungen genügen.

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Nein, das trifft nicht zu!

Soweit keine Beschaffenheit vereinbart ist, muss sich das Werk für die vertraglich vorausgesetzte Verwendung einigen (§ 633 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 BGB). Auch das ist Teil des subjektiven Mangelbegriffs, weil es insoweit auf den konkreten Vertrag ankommt. Auch ohne Beschaffenheitsvereinbarung muss das Werk daher unter Umständen höheren Anforderungen genügen.

5. Soweit die Beschaffenheit nicht vereinbart ist, muss sich das Werk für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignen.

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Ja!

Soweit keine Beschaffenheit vereinbart ist, muss sich das Werk für die vertraglich vorausgesetzte Verwendung einigen (§ 633 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 BGB). In diesen Fällen hatten die Parteien entweder eine gemeinsame Vorstellung über die Verwendung oder die Vorstellungen der einen Seite waren erkennbar und wurden nicht beanstandet. Haben sich die Parteien jedoch darauf geeinigt, dass sich das Werk für eine bestimmte Verwendung eignen soll, besteht insoweit eine Beschaffenheitsvereinbarung in Form einer Funktionsvereinbarung.

6. Vom Vertrag wird vorausgesetzt, dass das Auto auf Rennstrecken gefahren wird. Die Ölkühlung muss sich hierfür eignen.

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Genau, so ist das!

Die vom Vertrag vorausgesetzte Verwendung muss durch Auslegung ermittelt werden (§§ 133, 157 BGB). Dabei kommt es auf den objektiven Empfängerhorizont an (§ 157 BGB). Die Verwendungsabsicht der einen Partei muss zumindest erkennbar gewesen und nicht beanstandet worden sein. F wollte mit dem Auto Rennen fahren. M erkannte dies auch und beanstandete das nicht.

7. Die Ölkühlung eignet sich nicht für die vom Vertrag vorausgesetzte Verwendung. Das Werk ist deshalb mangelhaft.

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Ja, in der Tat!

Ein Sachmangel ist das Abweichen der Ist- von der Sollbeschaffenheit. Die Ölkühlung sollte sich für die Rennstrecke eignen. Tatsächlich eignet sie sich nur für den normalen Straßenverkehr.

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ME

Merida

9.6.2023, 14:14:10

Ich finde die Formulierung „M erkennt, dass F rennen fahren möchte“ schwammig und ungenau. Weiß F, dass M rennen fahren will oder nicht? Grade bzgl der letzten Fragen ist das eine unnötige Verunsicherung durch die Formulierung.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

9.6.2023, 15:31:47

Hallo Merida, danke für deine Rückmeldung. Erkennen bedeutet gesichertes Wissen zu erlangen. Daher ist die Formulierung diesbezüglich sogar sehr präzise. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

EV

evanici

1.9.2023, 22:21:52

Könnte man hier auch eine Parallele ziehen zwischen der vertraglich vorausgesetzten Verwendung und der Geschäftsgrundlage im Sinne des § 313?

LL

Leo Lee

2.9.2023, 20:05:46

Hallo evanici, das ist in der Tat eine interessante Idee! Beachte jedoch, dass mit Geschäftsgrundlage i.S.d. § 313 BGB nicht Eigenschaften einer bestimmten Sache gemeint sind, sondern vielmehr solche Umstände die unabhängig sind von einem Vertrag, die entweder eine oder beide Parteien vorausgesetzt haben, als Sie den Vertrag schlossen (z.B. bei Masken-Kaufvertrag Corona!). Der § 313 BGB darf also nicht benutzt werden, um die Voraussetzungen des § 434 BGB zu umgehen, da ansonsten – trotz fehlender vorausgesetzter Verwendung – man immer über den Umweg des § 313 BGB eine solche annehmen könnte. So erwähnt auch der BGH in seiner Entscheidung (Rn. 32 f., https://openjur.de/u/2170817.html), dass sich die vorausgesetzte Verwendung alleinig nach dem Einsatzzweck sich bestimmt und eine etwaige Geschäftsgrundlage außer Betracht bleiben muss :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam - Leo

Bubbles

Bubbles

24.9.2023, 00:15:28

Gelten die hier dargestellten Grundsätze zur Funktionseignung auch im Kaufrecht?

CR7

CR7

12.10.2023, 12:31:39

Wenn man nach Art. 6 lit. b Warenkauf-RL geht, ja. Spätestens bei Vertragsschluss erkannte der Mechaniker, dass der Fahrer Hobbyfahrer ist, das ergibt sich zumindest auch aus den Umständen. Meines Erachtens könnte man noch damit argumentieren, dass der Fahrer dem Mechaniker einen gewissen Spielraum zur Verfügung gestellt hat, der an den Interessen des Fahrers zu messen ist. Hier ist es ja klar die Eignung zum Rennfahren.


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