+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Oma O wird von Rüpel R mit dem Fahrrad umgefahren. Dabei geht ihre neue Gucci-Tasche (Wert: € 800) kaputt. Da O rechtliche Streitigkeiten nicht geheuer sind, „schenkt“ sie ihrem Enkel E sämtliche Ansprüche gegen R in Bezug auf die Tasche. Dies nimmt E freudig an.
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Einordnung des Falls
Einführungsfall Abtretung
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Hatte O gegen R einen Anspruch auf Schadensersatz nach § 823 Abs. 1 BGB, nachdem R sie umgefahren hatte?
Ja!
Ein Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 1 BGB setzt voraus: (1) einen Verletzungserfolg
(2) durch ein zurechenbares Verhalten des Schädigers, der dabei
(3) rechtswidrig und
(4) schuldhaft gehandelt haben muss.
(5) Hierdurch muss ein kausaler Schaden entstanden sein.
R hat zurechenbar durch sein Fahrverhalten das Eigentum der O verletzt. Dadurch ist O ein Schaden in Höhe von €800 entstanden.
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2. Kann O den Schadensersatzanspruch gegen R durch eine Schenkung nach § 516 Abs. 1 BGB auf E übertragen?
Nein, das ist nicht der Fall!
Bei der Schenkung nach § 516 Abs. 1 BGB handelt es sich um ein Verpflichtungsgeschäft. Die wirksame Schenkung einer Forderung begründet insoweit zwar einen Anspruch auf deren Übertragung. Die Übertragung der Forderung selbst ist aber ein hiervon unabhängiges Verfügungsgeschäft. Die Übertragung kann durch einen Vertrag zwischen dem bisherigen Gläubiger (Zedent) und dem neuen Gläubiger (Zessionar) erfolgen. Dieses Verfügungsgeschäft nennt man Abtretung (§ 398 S. 1 BGB). Aufgrund des Abstraktions- und Trennungsprinzips ist die Abtretung vom zugrundeliegenden Verpflichtungsgeschäft (Kauf, Schenkung...) rechtlich unabhängig!
3. E ist neuer Inhaber der Schadensersatzforderung gegen R, wenn O ihm diese wirksam abgetreten hat (§ 398 BGB).
Ja, in der Tat!
Durch die Abtretung geht die Forderung auf den Neugläubiger (=Zessionar) über (§ 398 S. 2 BGB). Eine wirksame Abtretung setzt voraus:
(1) Einigung zwischen Alt- und Neugläubiger (Abtretungsvertrag),
(2) Bestand der Forderung,
(3) Forderungsinhaberschaft des Altgläubigers (Zedent) und
(4) Abtretbarkeit der Forderung.Neben der rechtsgeschäftlichen Abtretung kommt ein Gläubigewechsel auch im Falle eines gesetzlichen Forderungsübergangs (z.B. §426 Abs. 2 BGB; § 766 Abs. 1 BGB), durch Hoheitsakt (z.B. § 835 Abs. 2 ZPO) bzw. durch die gesetzlich nicht geregelte Vertragsübernahme in Betracht.
4. Haben E und O einen wirksamen Abtretungsvertrag geschlossen?
Ja!
Die Abtretung setzt eine vertragliche Einigung zwischen Altgläubiger (=Zedent) und Neugläubiger (=Zessionar) voraus. Auf diese finden die allgemeinen Vorschriften über Rechtsgeschäfte (§§ 104ff.) Anwendung. Die Einigung ist formfrei möglich (Ausnahme: § 1154 BGB) und muss die abzutretende Forderung so bezeichnen, dass diese unzweideutig bestimmbar ist (Bestimmtheitsgrundsatz).
Bei der Auslegung der Willenserklärungen (§§ 133, 157 BGB) ergibt sich, dass O und E nicht nur einen Schenkungsvertrag schließen wollten. Vielmehr haben sie sich darauf geeinigt, dass sämtliche Ansprüche, die O mit Blick auf die beschädigte Tasche gegen R zustehen, auf E übergehen sollen. Auch wenn die Forderungen nicht einzeln bestimmt sind, sind sie damit zumindest bestimmbar. Eine wirksame Einigung liegt vor.Achtung: Die Forderung muss nicht im Einzelnen benannt sein. Es genügt, wenn die Forderung aufgrund abstrakter Merkmale eindeutig bestimmbar ist.
5. Besteht Os Schadensersatzforderung gegen R?
Genau, so ist das!
Die Abtretung setzt grundsätzlich voraus, dass die Forderung tatsächlich besteht (Ausnahme: § 405 1. Alt. BGB). Die Forderung muss dabei nicht zwingend schon bei Vertragsschluss bestehen. Vielmehr ist auch die Abtretung einer künftigen Forderung anerkannt (Vorausabtretung). Eine solche setzt aber voraus, dass die zukünftige Forderung schon bei Vertragsschluss hinreichend bestimmt ist.Durch die Beschädigung von Os Handtasche ist der Anspruch auf Schadensersatz nach § 823 Abs. 1 BGB entstanden. Dieser Anspruch bestand bereits zum Zeitpunkt der Einigung.
6. War O bei Vertragsschluss Inhaberin der Forderung?
Ja, in der Tat!
Die Altgläubigerin (=Zedentin) muss Inhaberin der Forderung sein. Ist dies nicht der Fall und hat der Inhaber der Übertragung weder vorher zugestimmt (§ 185 Abs. 1 BGB) noch diese nachträglich genehmigt (§ 185 Abs. 2 BGB), ist die Abtretung unwirksam. O stand als Eigentümerin der Handtasche ein Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 1 BGB wegen deren Beschädigung zu.
7. Ist Os Forderung abtretbar?
Ja!
Jede existente Forderung ist abtretbar, sofern dies nicht vertraglich (§ 399 2. Alt. BGB) oder gesetzlich ausgeschlossen (z.B. §§ 399 1. Alt., 400, 473, 613 S. 2, 664 Abs. 2, 717 BGB ) ausgeschlossen ist.Ein Abtretungsverbot ist vorliegend nicht ersichtlich, sodass Os Forderung abtretbar ist.Abtretungsverbote müssen im Einzelnen nur geprüft werden, wenn sie tatbestandlich jedenfalls im Ansatzpunkt passen könnten. Im Übrigen kann kurz festgestellt werden, dass die Forderung mangels entgegenstehendem Abtretungsverbot abtretbar ist.
8. Kann O nach erfolgter Abtretung von R weiterhin Schadensersatz für die beschädigte Handtasche verlangen?
Nein, das ist nicht der Fall!
Mit dem Abschluss des Abtretungsvertrages geht die Forderung auf den Neugläubiger über (§ 398 S. 2 BGB). Die Altgläubigerin verliert die Inhaberschaft an der Forderung. Zum Einzug der Forderung ist sie somit nur noch mit Ermächtigung des Neugläubigers berechtigt. Auch zu einer erneuten Abtretung (an eine andere Person) ist sie nicht mehr berechtigt.Nachdem O die Schadensersatzforderung an E abgetreten hat, kann sie von R keinen Ersatz des Schadens an ihrer Handtasche mehr verlangen.Ist nach Es Anspruch gefragt, so musst Du bereits im Obersatz klar machen, dass sich dieser nur aus abgetretenem Recht ergeben kann (§§ 823 Abs. 1, 398 BGB).
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