Öffentliches Recht
Examensrelevante Rechtsprechung ÖR
Entscheidungen von 2021
Anspruch aus enteignendem Eingriff bei rechtmäßiger Maßnahme der Polizei
Anspruch aus enteignendem Eingriff bei rechtmäßiger Maßnahme der Polizei
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Bei einer rechtmäßigen polizeilichen Festnahme in NRW wehrt sich K stark. Er schubst den Polizisten P, wobei der geparkte PKW des unbeteiligten B beschädigt wird. B begehrt vom Land NRW als Dienstherrin des P Entschädigung.
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Einordnung des Falls
Anspruch aus enteignendem Eingriff bei rechtmäßiger Maßnahme der Polizei
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 10 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Kann B kann seinen Begehren unmittelbar auf den polizeigesetzlichen Anspruch auf Entschädigung wegen Inanspruchnahme nicht verantwortlicher Personen (§§ 19, 39 OBG NRW) stützen?
Nein!
Jurastudium und Referendariat.
2. Lassen sich die §§ 19, 39 Abs. 1 a) OBG NRW hier analog anwenden?
Nein, das ist nicht der Fall!
3. Mangels gesetzlich normierter Anspruchsgrundlage kommt für B nur ein ungeschriebener staatshaftungsrechtlicher Entschädigungsanspruch in Betracht.
Ja, in der Tat!
4. Als ungeschriebener staatshaftungsrechtlicher Entschädigungsanspruch für B kommt hier der Anspruch wegen enteignungsgleichem Eingriffs in Betracht.
Nein!
5. Für B kommt ein Anspruch aus enteignendem Eingriff in Betracht.
Genau, so ist das!
6. Greift die Polizei vorliegend rechtmäßig in eine Eigentumsposition (Art. 14 Abs. 1 GG) des B ein?
Ja, in der Tat!
7. Damit der Anspruch aus enteignendem Eingriff gegeben ist, muss der Eingriff in das Eigentum des B zweck- und zielgerichtet sein.
Nein!
8. Damit der Anspruch aus enteignendem Eingriff gegeben ist, ist eine mittelbare Beeinträchtigung des Eigentums ausreichend.
Nein, das ist nicht der Fall!
9. Bs PKW wurde dadurch beschädigt, dass K den Polizisten P wegschubste. Ist diese Beeinträchtigung von Bs Eigentum unmittelbar erfolgt?
Ja, in der Tat!
10. B könnte hier erfolgreich vor Zivilgerichten Schadensersatz von K für die Beschädigung des PKW erlangen. Schließt dies Bs Anspruch aus enteignendem Eingriff aus?
Ja!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Thomfred01
4.10.2022, 10:42:48
Zur Wiederholung am Ende wäre die Abfrage eines Prüfungsschemas vielleicht ganz hilfreich. LG
Lukas_Mengestu
28.10.2022, 11:29:50
Vielen Dank für den Hinweis, Thomas. Wir werden einmal besprechen, ob wir dies bei der aktuellen Rechtsprechung noch verstärkt mit einbauen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Edward Hopper
4.10.2022, 17:06:47
Ist ja auch irgendwie mies oder, dadurch trägt man das Solvenzrisiko von Kriminellen obwohl die Polizei mitverursacht hat? Gibt es noch andere Ansprüche aus Staatshaftung oder guckt
Trowa Barton
2.5.2023, 18:55:23
Bei allen Staatshaftungsansprüchen gilt die Subsidiarität, soweit ich weiß, nur wenn man tatsächlich Ersatz erlangen kann. Wenn also der Störer illiquide ist und das im Verfahren festgestellt wurde, kannst du vom Staat fordern.
jenny24
3.2.2023, 19:43:26
Für mich war es von Anfang an abwegig hier überhaupt an staatliche Haftung zu denken, der Ersatzanspruch gegenüber K drängt sich doch auf und für eine Haftung muss ja irgendeine zurechenbarkeit bestehen.
Nora Mommsen
4.2.2023, 09:47:42
Hallo jenny24, danke für deine Rückmeldung. Auch wenn es dir von vornherein abwegig erscheinen mag, ist es hier durchaus diskutierbar, inwieweit sich das spezifische Risiko einer Festnahme oder das allgemeine Lebensrisiko verwirklicht hat. Das OLG Hamm hat da in diesem Fall eine klare Meinung zu, aber man kann das durchaus auch anders sehen. Zudem reicht ja eine kleine Veränderung des Sachverhalts bei ansonsten gleichem Geschehensablauf aus, damit sich eben nicht mehr das allgemeine Lebensrisiko verwirklicht und ein Fall der Staatshaftung vorliegt. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Trowa Barton
2.5.2023, 18:52:02
Jenny24 Menschen fordern gerne vor den Gerichten mehr als ihnen unstrittig zusteht. Genau deshalb gibt es ja Gerichte. Die ist bei solchen Sachverhalten, zumindest im Studium, darüber nachzudenken. Im Übrigen liegt der Gedanke rin Entschließungsermessem beim Beamten zu sehen auch nicht soweit entfernt. Nachdem die SV Ermittlung zu den Gegebenheiten vor Ort aber nicht sehr umfangreich ist, muss man es wenigstens ansprechen. Ein Gutachten soll ja gerade vollständig sein.
David.
14.11.2023, 20:23:08
„Der enteignende Eingriff soll gerade auch bei unbeabsichtigten, atypischen Eingriffen für Ausgleich sorgen.“
David.
14.11.2023, 20:23:44
„Unmittelbarkeit bedeutet, dass der Eingriff in die eigentumsrechtlich geschützte Position zu schädigenden Auswirkungen geführt hat, die für die konkrete Betätigung der Hoheitsgewalt typisch sind und aus der Eigenart der Maßnahme folgen. Atypische Auswirkungen sind demgegenüber nur mittelbar.“ Das heißt, dass ein atypischer Eingriff vorliegen muss, bei diesem es zu unmittelbaren Auswirkungen kommen muss, wobei atypische Wirkungen nicht ausreichen? Wird der Anwendungsbereich dadurch nicht extrem eingeschränkt? Oder verlangt nur das OLG diese Unmittelbarkeit?
Leo Lee
19.11.2023, 10:32:02
Hallo David, so ist es! Dieses Problem ist sehr kompliziert (wie von dir auch zutreffend formuliert). Es wird auf der ersten Stufe nicht gefordert, dass der Eingriff zweckgerichtet erfolgt, damit auch „atypsische EINGRIFFSFORMEN“ erfasst werden. Später wird jedoch gefordert, dass der Eingriff unmittelbar sein muss, d.h. sich TYPISCHE Auswirkungen dieser (mglw. Atypischen) Eingriffsform realisieren müssen. In der Tat wird hierdurch der Anwendungsbereich sehr eingeschränkt. Allerdings soll der Staat eben nur für solche Eingriffe haften, die „typischerweise“ zu Eingriffen/Schäden führen (hier hat der Staat nämlich die Möglichkeit, „vorsichtiger“ zu sein; handelt er nicht vorsichtig – aus welchem Grund auch immer – muss er dann wenigstens Schadensersatz leisten) und nicht für solche, die eben so untypisch sind, dass der Staat die Auswirkungen nicht hätte vorhersehen können (denn hierauf kann sich der Staat eben nicht einstellen und entsprechend „vorsichtig“ handeln)! Insofern ist die Unmittelbarkeit ein generelles Merkmal und nicht nur eines, was vom OLG gefordert wird :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
David.
19.11.2023, 17:39:55
Alles klar, danke :)
Schwanzanwaltschaft
17.6.2024, 18:47:51
Wäre hier der Ordentlichegerichtsweg nach § 40 II VwGO einschlägig
CR7
5.8.2024, 13:04:14
Liebes Team, seit 2020 gibt es das SächsPolG nicht mehr. Der Anspruch findet sich nun in § 47 I Nr. 1 SächsPVDG wieder: https://www.revosax.sachsen.de/vorschrift/18193-Saechsisches-Polizeivollzugsdienstgesetz-#p47
leftdepression_reached18p
15.9.2024, 17:22:15
In einigen Ländern wird der Anspruch auch ausdrücklich geregelt, soweit ich das richtig verstehe. In Berlin wird dem unbeteiligtem Dritten einer rechtmäßigen Maßnahme der Polizei oder der Ordnungs
behörden ein angemessener Ausgleich zugestanden, § 59 Abs. 1 Nr. 2 ASOG. Dies gilt auch, wenn jemand durch eine rechtswidrige Maßnahme einen Schaden erleidet, § 59 Abs. 2 ASOG. In Berlin wird es wohl so geregelt, dass der Ausgleich auch gewährt wird, wenn ein identischer Anspruch gegen einen Dritten gilt, sobald eine Abtretung dieses Anspruches erfolgt, § 60 Abs. 4 ASOG. Den Ausgleichsanspruch an sich (da kenne ich die Einzelheiten gar nicht) soll es auch in anderen Ländern/ im Bund ausdrücklich kodifiziert geben (§ 51 Abs. 2 Nr. 2 BPolG, Art. 87 Abs. 2 BayPAG, § 73 SOG M-V, § 222 SchlHLVwG), Rachor/Buchberger in: Handbuch des Polizeirechts (hrsg. v. Lisken/Denninger), Kap. L Rn. 21, 7. Auflage, 2021). Ich hoffe, das ist hilfreich. Edit: eine geschlossene Klammer, Zusatz "ausdrücklich kodifiziert"