EC Karte am Bankautomat (gestohlene Karte) (+)

23. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
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Klassisches Klausurproblem

A entwendet unbemerkt die EC-Karte des B und den Notizzettel mit der PIN. Damit hebt er am Bankautomaten €100 ab. Danach will er die EC-Karte in den nächsten Mülleimer entsorgen.

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Einordnung des Falls

EC Karte am Bankautomat (gestohlene Karte) (+)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Wann Daten unbefugt verwendet werden (§ 263a Abs. 1 Alt. 3 StGB), ist umstritten.

Ja, in der Tat!

Nach der herrschenden betrugsäquivalenten Auslegung ist die Verwendung unbefugt, wenn sie gegenüber einem Menschen Täuschungscharakter hätte. Dafür spricht die Funktion des Computerbetrugs, Lücken bei der Betrugsstrafbarkeit zu schließen. Nach der subjektiven Auslegung ist die Datenverwendung unbefugt, wenn der erkennbare Wille des Verfügungsberechtigen entgegensteht. Dafür spricht der weite Wortlaut dieser Alternative. Die computerspezifische Auslegung hingegen verlangt, dass auf computerspezische Weise ordnungswidrig auf die Datenverarbeitung eingewirkt wird. Hierfür spricht der Charakter des § 263a StGB als „Computerdelikt“.
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2. Nach der computerspezifischen Auslegung hat A unbefugt Daten verwendet.

Nein!

Nach der computerspezifischen Auslegung werden Daten unbefugt verwendet, wenn auf computerspezische Weise ordnungswidrig auf die Datenverarbeitung eingewirkt wird. A hat den Automaten nicht mit falschen Informationen beschickt, sondern die Karte ordnungsgemäß benutzt.

3. Nach der subjektiven Auslegung hat A unbefugt Daten verwendet.

Genau, so ist das!

Nach der subjektiven Auslegung ist die Datenverwendung unbefugt, wenn der erkennbare Wille des Verfügungsberechtigen entgegensteht. Dem erkennbaren Willen des Bestohlenen B widerspricht es, dass A als Nichtberechtigter Geld abhebt.

4. Nach der betrugsäquivalenten Auslegung hat A unbefugt Daten verwendet.

Ja, in der Tat!

Nach der herrschenden betrugsäquivalenten Auslegung ist die Verwendung unbefugt, wenn sie gegenüber einem Menschen Täuschungscharakter hätte. Einen Bankangestellten hätte A durch sein Verhalten darüber getäuscht, dass er nicht der berechtigte Karteninhaber ist.

5. Bedarf es vorliegend eines Streitentscheides?

Ja!

Da die Auffassungen zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, ist ein Streitentscheid nötig. Für die herrschende betrugsäquivalente Auslegung sprechen der historische Gesetzgebungswille, die ähnliche Struktur von Betrug und Computerbetrug sowie die Funktion des Computerbetrugs, Lücken bei der Betrugsstrafbarkeit zu schließen.

6. A ist auch wegen Diebstahls strafbar (§ 242 Abs. 1 StGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Zu unterscheiden ist zwischen einem Diebstahl an der Karte und einem Diebstahl am Geld. Die Karte selbst oder den in ihr verkörperten funktionsspezifischen Sachwert wollte sich A nicht zueignen, weshalb insoweit ein Diebstahl ausscheidet. Auch das Geld hat A nach dem äußeren Erscheinungsbild nicht weggenommen. Vielmehr ist ihm der Gewahrsam am Geld mit Willen der Bank übertragen worden. Es liegt also weder ein Diebstahl an der Karte, noch am Geld vor.

7. A wird auch wegen Unterschlagung bestraft (§ 246 Abs. 1 StGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Wegen Unterschlagung ist strafbar, wer eine fremde bewegliche Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zueignet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist (§ 246 Abs. 1 StGB). Das Geld war für A fremd, denn er konnte gemäß §§ 133, 157 BGB nicht davon ausgehen, die Bank wolle es ihm übereignen. Nach der sog. Tatbestandlösung scheidet § 246 StGB dennoch aus, weil A das Geld bereits nach § 263a StGB erlangt hat. Nach der sog. Konkurrenzlösung ist § 246 StGB zwar tatbestandlich gegeben, tritt aber als mitbestrafte Nachtat hinter § 263a StGB zurück. In jedem Fall wird A also weder wegen Diebstahls, noch wegen Unterschlagung bestraft.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

I-m-possible

I-m-possible

9.8.2022, 23:54:37

Warum ist in der Benutzung der EC-Karte keine Absicht vorübergehender Aneignung zu sehen ? Oder ist diese ausgeschlossen weil von vornherein ein Wegwerfen derselben geplant war ?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

13.8.2022, 12:33:43

Hallo I-m-possible, das lediglich vorübergehende Aneignen ist ausreichend. Lediglich die

Enteignung

des Eigentümers muss dauerhaft sein. Vorliegend scheitert es an einem anderen Punkt. Der Täter muss

Zueignungsabsicht

entweder hinsichtlich der Sachsubstanz oder des funktionstypischen Sachwerts haben. Tatsächlich ist die Karte ja aber nur ein Stück Plastik, ähnlich wie ein Schlüssel und sagt nichts über das auf dem Konto vorhandene Guthaben oder die Höhe des Dispositionskredits aus. Die Karte hat mithin keinen inhärenten Vermögenswert, den der Täter sich zueignen könnte (das Bankguthaben ist kein lucrum ex re der Karte) und auf das Plastik als solches bezieht sich die

Zueignungsabsicht

nicht. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

antoniasophie

antoniasophie

30.12.2023, 13:23:47

Anders wäre das dann bei einem Sparbuch? Gibt es noch weitere Beispiele?

Kassy

Kassy

20.4.2023, 09:03:11

Die

Zueignungsabsicht

besteht doch aus

Aneignungsabsicht

und

Enteignung

s

vorsatz

. Hatte der Täter hier nicht

Aneignungsabsicht

? Er wollte die Sache hier ja zumindest vorübergehend seinem Vermögen einverleiben. Er hat die EC-Karte schließlich kurzfristig gebraucht. Bei dem

Enteignung

s

vorsatz

ist es ja so, dass er entweder den spezifischen Funktionswert entziehen will, was bei einer EC-Karte nicht funktioniert, da sie bloßer Schlüssel zu den Funktionen der Karte ist (Sachwert). Wenn der Täter allerdings von Anfang an geplant hat die Karte danach wegzuwerfen, besteht doch

Enteignung

s

vorsatz

bzgl. der Sachsubstanz?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

20.4.2023, 13:06:21

Hallo Kassandra Kate Ramey, danke für deine Frage.

Zueignungsabsicht

besteht wie von dir richtig dargestellt aus

Aneignungsabsicht

und

Enteignung

s

vorsatz

. Dabei ist die Absicht vorübergehender Aneignung ausreichend. Lediglich die

Enteignung

des Eigentümers muss dauerhaft sein. Vorliegend scheitert es an Folgendem: Der Täter muss die Absicht zumindest vorübergehender Aneignung entweder hinsichtlich der Sachsubstanz oder des funktionsspezifischen Sachwerts haben. Tatsächlich hat die Karte selber ja aber gar keinen Wert. Letzlich ist es nur ein Stück Plastik. Sie funktioniert ähnlich wie ein Schlüssel, aber sagt nichts über das auf dem Konto vorhandene Guthaben oder den verfügbaren Kreditrahmen aus. Der Karte wohnt also keinerlei Vermögenswert inne, auf den sich die Zueignunsabsicht des Täters beziehen könnte. Auch ist das Bankguthaben nicht aus der Karte unmittelbar selbst durch Verfügung erlangtes Vermögen (lucrum ex re) und auf das Stück Plastik in seiner Hand bezieht sich die Absicht des Täters nicht, wie du selbst richtig erkannt hast. Liebe Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

DB99

DB99

24.5.2023, 15:24:09

Hallo Nora, die Ausführungen können indes nicht überzeugen. Die

Aneignungsabsicht

kann sich auch auf völlig wertlose Sachen beziehen. Auch wenn die EC-Karte nur als Automtenschlüssel zu sehen ist, muss sich der Täter zwangsläufig den funktionsspezifischen Wert als "Schlüssel" und damit im Ergebnis den Sachwert zumindest temporär für die Anhebung des Geld aneignen. Die

Aneignungsabsicht

würde nur entfallen, wenn der Täter die fremde Sache lediglich wegnimmt, um sie wegzuwerfen. Das gilt jedoch nur dann, sofern der Täter die Sache nicht vorher gebraucht hat. Dies überzeugt auch, da lediglich der wahre Eigentümer darüber entscheiden kann, ob er die Sache wegwerfen darf oder kann. Mangels Rückführungswillen liegt auch

Vorsatz

in Bezug auf die dauerhafte

Enteignung

vor, da der Täter billigend in Kauf nehmen muss, dass das Opfer nie wieder die EC-Karte zurückbekommt.

JUS

justlaw

3.6.2023, 07:36:53

Die letzte Frage ist etwas missverständlich formuliert. Nach der Konkurrenzlösung hat A sich doch gerade strafbar gemacht, wird aber lediglich nicht danach bestraft. Insofern sollte es in der Frage auch „bestraft” heißen.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

3.6.2023, 18:48:17

Hallo justlaw, danke dir. Du hast absolut Recht, strafbar ist er natürlich trotzdem. Wir haben die Formulierung geändert. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Klima-Kleber

Klima-Kleber

13.6.2023, 11:04:44

Könnt ihr erklären, weshalb i.R.d. subj. Auslegung der erkennbare Wille der kartenausgebenden Bank und nicht der des B maßgeblich ist?

Kind als Schaden

Kind als Schaden

6.12.2023, 14:26:23

Bei der subjektiven Auslegung ist der Wille des Rechtsgutsträgers entscheidend. Sofern man auf den B abstellt, ist das nicht per se falsch mMn, er ist zunächst abstrakt geschützt als Betrugsopfer. Allerdings hat B wohl einen Anspruch aus § 675u S.2 BGB. Daher ist die Bank primär der geschützte Rechtsgutsträger, weil sie den Betrugsschaden idR ersetzen muss und die Beweislast dafür trägt, nachzuweisen, dass B die Auszahlung autorisiert hat. I.E ist es daher wohl überzeugender auf die Bank als Rechtsgutsträger iSd der subjektiven Theorie abzustellen.

DAV

David.

11.11.2023, 01:03:31

An anderer Stelle wird als Maßstab der betrugsspezifischen Auslegung genannt, dass der Mensch, der an die Stelle der Maschine träte, lediglich dasjenige prüft, was die Maschine ebenfalls prüft. Die Maschine hätte hier doch nur geprüft, ob die richtige Karte und die richtige PIN verwendet wurden. Ich verstehe nicht ganz, warum man dann hier die betrugsspezifische Auslegung bejaht. Oder bzw, warum der BGH unterschiedliche Maßstäbe setzt, wann eine unbefugte Verwendung vorliegt?

DAV

David.

11.11.2023, 01:14:51

Ok hat sich geklärt, da in der normativen Auslegung in der Verwendung der EC-Karte auch die

konkludent

e Erklärung liegt, die Karte mit dem Willen des Berechtigten erlangt zu haben.

LELEE

Leo Lee

12.11.2023, 10:21:30

Hallo David, genauso ist es! Der „Knackpunkt“ bei der betrugsspezifischen Auslegung liegt darin, dass man die Verwerndung derart auslegt, dass darin eine

konkludent

e Erklärung der Berechtigung zur Verwendung der Daten liegt. Mithin würde man einen Menschen an Stelle der Maschine ebenso „täuschen“. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre von Fischer StGB 70. Auflage, § 263a Rn. 11 empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

Justinian

Justinian

6.2.2024, 00:00:43

In der Aufgabe zuvor (zumindest im "Probleme-Modus")(EC-Karte aus Geldbeutel auf dem Küchentisch genommen und Geld abgehoben, Karte aber wieder zurückgelegt) wurde ein Diebstahl bejaht in Bezug auf das ausgeworfene Geld, welches für den Täter fremd war (da die Bank das Geld nicht an einen Unberechtigten ausgeben wollte). Hier allerdings wird ein Diebstahl generell verneint, obwohl ebenfalls Geld abgehoben wurde. Bezüglich der Karte leuchtet mir das Ergebnis ein, bezüglich des Geldes, aber nicht... wo ist mein Denkfehler?

MEEN

meentangled

25.2.2024, 15:16:21

So wie ich es verstanden habe, würde in dem Fall der Diebstahl (am Geld) nicht angenommen werden. Fremde bewegliche Sache, klar, aber die Wegnahme ist nicht gegeben. Das Geld wurde von Automaten ausgegeben, deswegen keine Wegnahme. Man könnte an ein bedingtes

tatbestandsausschließendes Einverständnis

denken, wonach die Bank nur an den Berechtigten auszahlen will. Frage ist, welche Bedingungen für das Einverständnis erlaubt sind. HM sagt, Bedingung, dass der Automat ordnungsgemäß bedient wird. Der Täter hat den Automaten ordnungsgemäß bedient, also ist die Bedingung erfüllt (auch wenn er nicht Berechtigter der Karte ist), deswegen liegt kein

Gewahrsamsbruch

, dh keine Wegnahme, dh kein Diebstahl vor.

Lord Denning

Lord Denning

27.8.2024, 12:19:08

Liegt nicht doch Zueignungs

vorsatz

hinsichtlich der Karte vor, weil er sich die Karte kurzfristig zum Abheben in das Vermögen einverleibt und billigend in Kauf nimmt, dass durch Wegwerfen der Karte der ehem. Gewahrsamsinhaber aus seiner Eigentümerstellung verdrängt wird?

AS

as.mzkw

20.9.2024, 18:11:09

So hätte ich auch subsumiert. Ein Diebstahl an der Karte würde meinem Verständnis nach nur dann ausscheiden, wenn er die Karte danach wieder dem Inhaber zukommen lässt/sie an ihren ursprünglichen Ort zurücklegt etc., so ja auch in den Sparbuchfällen hinsichtlich des Sparbuchs selbst.

AG

agi

18.10.2024, 01:42:54

In den meisten Sachverhalten steht ein Satz zur Karte. Entweder „der T will die Karte zurücklegen“ oder „ er will die direkt danach entsorgen“ oder „ er schmeißt die Karte weg“ usw.

FTE

Findet Nemo Tenetur

17.10.2024, 09:33:43

Wieso scheidet eine Unterschlagung der Karte aus? Für den Abhebevorgang will er sie sich ja kurz in sein Vermögen übergehen lassen, bzw. dachte ich hier würde für die

Zueignungsabsicht

dolus eventualis reichen?

TI

Timurso

17.10.2024, 20:57:59

Die Verwendung einer EC-Karte ist durchaus auch dann möglich, wenn man nicht Eigentümer der Karte ist. Insofern ist das bloße Verwenden keine objektive Manifestation eines Zueignungswillens, da es nicht ausdrückt, dass der Täter sich die Stellung des Eigentümers anmaßt.

FTE

Findet Nemo Tenetur

18.10.2024, 20:53:39

Danke!

LELEE

Leo Lee

20.10.2024, 13:13:10

Hallo Karolin, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! Wie Timurso zutreffend ausgeführt hat, benötigt man bei 246 die

Manifestation des Zueignungswillens

. Die Anforderungen hieran sind i.Ü. STREITIG. Nach h.M. (enge Manifestationstheorie) ist nötig, dass eine obj. Handlung, aus denen ein obj. Dritter den Schluss ziehen kann, dass der Täter die Sache dauerhaft sich aneignen will, nötig. Wenn der Täter die Karte mit nach Hause nimmt und etwa versteckt oder sonst wie "sichert", würde der Wille sehr klar manifestiert. Wenn man die Karte allerdings nur benutzt, reicht dies per se nicht aus, um aus Drittsicht einen klaren Willen zum "behalten" zu bejahen. Zumal - wie Timurso erwähnt hat - die Karte auch im Auftrag eines anderen benutzt werden kann. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-StGB 4. Auflage, Hohmann § 246 Rn. 20 ff. sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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