Strafrecht
BT 2: Diebstahl, Betrug, Raub u.a.
Computerbetrug (§ 263a StGB)
EC Karte am Bankautomat (gestohlene Karte) (+)
EC Karte am Bankautomat (gestohlene Karte) (+)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
A entwendet unbemerkt die EC-Karte des B und den Notizzettel mit der PIN. Damit hebt er am Bankautomaten €100 ab. Danach will er die EC-Karte in den nächsten Mülleimer entsorgen.
Diesen Fall lösen 76,3 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
EC Karte am Bankautomat (gestohlene Karte) (+)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Wann Daten unbefugt verwendet werden (§ 263a Abs. 1 Alt. 3 StGB), ist umstritten.
Ja, in der Tat!
Jurastudium und Referendariat.
2. Nach der computerspezifischen Auslegung hat A unbefugt Daten verwendet.
Nein!
3. Nach der subjektiven Auslegung hat A unbefugt Daten verwendet.
Genau, so ist das!
4. Nach der betrugsäquivalenten Auslegung hat A unbefugt Daten verwendet.
Ja, in der Tat!
5. Bedarf es vorliegend eines Streitentscheides?
Ja!
6. A ist auch wegen Diebstahls strafbar (§ 242 Abs. 1 StGB).
Nein, das ist nicht der Fall!
7. A wird auch wegen Unterschlagung bestraft (§ 246 Abs. 1 StGB).
Nein, das trifft nicht zu!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
I-m-possible
9.8.2022, 23:54:37
Warum ist in der Benutzung der EC-Karte keine Absicht vorübergehender Aneignung zu sehen ? Oder ist diese ausgeschlossen weil von vornherein ein Wegwerfen derselben geplant war ?
Nora Mommsen
13.8.2022, 12:33:43
Hallo I-m-possible, das lediglich vorübergehende Aneignen ist ausreichend. Lediglich die
Enteignungdes Eigentümers muss dauerhaft sein. Vorliegend scheitert es an einem anderen Punkt. Der Täter muss
Zueignungsabsichtentweder hinsichtlich der Sachsubstanz oder des funktionstypischen Sachwerts haben. Tatsächlich ist die Karte ja aber nur ein Stück Plastik, ähnlich wie ein Schlüssel und sagt nichts über das auf dem Konto vorhandene Guthaben oder die Höhe des Dispositionskredits aus. Die Karte hat mithin keinen inhärenten Vermögenswert, den der Täter sich zueignen könnte (das Bankguthaben ist kein lucrum ex re der Karte) und auf das Plastik als solches bezieht sich die
Zueignungsabsichtnicht. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
antoniasophie
30.12.2023, 13:23:47
Anders wäre das dann bei einem Sparbuch? Gibt es noch weitere Beispiele?
Kassy
20.4.2023, 09:03:11
Die
Zueignungsabsichtbesteht doch aus
Aneignungsabsichtund
Enteignungs
vorsatz. Hatte der Täter hier nicht
Aneignungsabsicht? Er wollte die Sache hier ja zumindest vorübergehend seinem Vermögen einverleiben. Er hat die EC-Karte schließlich kurzfristig gebraucht. Bei dem
Enteignungs
vorsatzist es ja so, dass er entweder den spezifischen Funktionswert entziehen will, was bei einer EC-Karte nicht funktioniert, da sie bloßer Schlüssel zu den Funktionen der Karte ist (Sachwert). Wenn der Täter allerdings von Anfang an geplant hat die Karte danach wegzuwerfen, besteht doch
Enteignungs
vorsatzbzgl. der Sachsubstanz?
Nora Mommsen
20.4.2023, 13:06:21
Hallo Kassandra Kate Ramey, danke für deine Frage.
Zueignungsabsichtbesteht wie von dir richtig dargestellt aus
Aneignungsabsichtund
Enteignungs
vorsatz. Dabei ist die Absicht vorübergehender Aneignung ausreichend. Lediglich die
Enteignungdes Eigentümers muss dauerhaft sein. Vorliegend scheitert es an Folgendem: Der Täter muss die Absicht zumindest vorübergehender Aneignung entweder hinsichtlich der Sachsubstanz oder des funktionsspezifischen Sachwerts haben. Tatsächlich hat die Karte selber ja aber gar keinen Wert. Letzlich ist es nur ein Stück Plastik. Sie funktioniert ähnlich wie ein Schlüssel, aber sagt nichts über das auf dem Konto vorhandene Guthaben oder den verfügbaren Kreditrahmen aus. Der Karte wohnt also keinerlei Vermögenswert inne, auf den sich die Zueignunsabsicht des Täters beziehen könnte. Auch ist das Bankguthaben nicht aus der Karte unmittelbar selbst durch Verfügung erlangtes Vermögen (lucrum ex re) und auf das Stück Plastik in seiner Hand bezieht sich die Absicht des Täters nicht, wie du selbst richtig erkannt hast. Liebe Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
DB99
24.5.2023, 15:24:09
Hallo Nora, die Ausführungen können indes nicht überzeugen. Die
Aneignungsabsichtkann sich auch auf völlig wertlose Sachen beziehen. Auch wenn die EC-Karte nur als Automtenschlüssel zu sehen ist, muss sich der Täter zwangsläufig den funktionsspezifischen Wert als "Schlüssel" und damit im Ergebnis den Sachwert zumindest temporär für die Anhebung des Geld aneignen. Die
Aneignungsabsichtwürde nur entfallen, wenn der Täter die fremde Sache lediglich wegnimmt, um sie wegzuwerfen. Das gilt jedoch nur dann, sofern der Täter die Sache nicht vorher gebraucht hat. Dies überzeugt auch, da lediglich der wahre Eigentümer darüber entscheiden kann, ob er die Sache wegwerfen darf oder kann. Mangels Rückführungswillen liegt auch
Vorsatzin Bezug auf die dauerhafte
Enteignungvor, da der Täter billigend in Kauf nehmen muss, dass das Opfer nie wieder die EC-Karte zurückbekommt.
justlaw
3.6.2023, 07:36:53
Die letzte Frage ist etwas missverständlich formuliert. Nach der Konkurrenzlösung hat A sich doch gerade strafbar gemacht, wird aber lediglich nicht danach bestraft. Insofern sollte es in der Frage auch „bestraft” heißen.
Nora Mommsen
3.6.2023, 18:48:17
Hallo justlaw, danke dir. Du hast absolut Recht, strafbar ist er natürlich trotzdem. Wir haben die Formulierung geändert. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Klima-Kleber
13.6.2023, 11:04:44
Könnt ihr erklären, weshalb i.R.d. subj. Auslegung der erkennbare Wille der kartenausgebenden Bank und nicht der des B maßgeblich ist?
Kind als Schaden
6.12.2023, 14:26:23
Bei der subjektiven Auslegung ist der Wille des Rechtsgutsträgers entscheidend. Sofern man auf den B abstellt, ist das nicht per se falsch mMn, er ist zunächst abstrakt geschützt als Betrugsopfer. Allerdings hat B wohl einen Anspruch aus § 675u S.2 BGB. Daher ist die Bank primär der geschützte Rechtsgutsträger, weil sie den Betrugsschaden idR ersetzen muss und die Beweislast dafür trägt, nachzuweisen, dass B die Auszahlung autorisiert hat. I.E ist es daher wohl überzeugender auf die Bank als Rechtsgutsträger iSd der subjektiven Theorie abzustellen.
David.
11.11.2023, 01:03:31
An anderer Stelle wird als Maßstab der betrugsspezifischen Auslegung genannt, dass der Mensch, der an die Stelle der Maschine träte, lediglich dasjenige prüft, was die Maschine ebenfalls prüft. Die Maschine hätte hier doch nur geprüft, ob die richtige Karte und die richtige PIN verwendet wurden. Ich verstehe nicht ganz, warum man dann hier die betrugsspezifische Auslegung bejaht. Oder bzw, warum der BGH unterschiedliche Maßstäbe setzt, wann eine unbefugte Verwendung vorliegt?
David.
11.11.2023, 01:14:51
Ok hat sich geklärt, da in der normativen Auslegung in der Verwendung der EC-Karte auch die
konkludente Erklärung liegt, die Karte mit dem Willen des Berechtigten erlangt zu haben.
Leo Lee
12.11.2023, 10:21:30
Hallo David, genauso ist es! Der „Knackpunkt“ bei der betrugsspezifischen Auslegung liegt darin, dass man die Verwerndung derart auslegt, dass darin eine
konkludente Erklärung der Berechtigung zur Verwendung der Daten liegt. Mithin würde man einen Menschen an Stelle der Maschine ebenso „täuschen“. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre von Fischer StGB 70. Auflage, § 263a Rn. 11 empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo
Justinian
6.2.2024, 00:00:43
In der Aufgabe zuvor (zumindest im "Probleme-Modus")(EC-Karte aus Geldbeutel auf dem Küchentisch genommen und Geld abgehoben, Karte aber wieder zurückgelegt) wurde ein Diebstahl bejaht in Bezug auf das ausgeworfene Geld, welches für den Täter fremd war (da die Bank das Geld nicht an einen Unberechtigten ausgeben wollte). Hier allerdings wird ein Diebstahl generell verneint, obwohl ebenfalls Geld abgehoben wurde. Bezüglich der Karte leuchtet mir das Ergebnis ein, bezüglich des Geldes, aber nicht... wo ist mein Denkfehler?
meentangled
25.2.2024, 15:16:21
So wie ich es verstanden habe, würde in dem Fall der Diebstahl (am Geld) nicht angenommen werden. Fremde bewegliche Sache, klar, aber die Wegnahme ist nicht gegeben. Das Geld wurde von Automaten ausgegeben, deswegen keine Wegnahme. Man könnte an ein bedingtes
tatbestandsausschließendes Einverständnisdenken, wonach die Bank nur an den Berechtigten auszahlen will. Frage ist, welche Bedingungen für das Einverständnis erlaubt sind. HM sagt, Bedingung, dass der Automat ordnungsgemäß bedient wird. Der Täter hat den Automaten ordnungsgemäß bedient, also ist die Bedingung erfüllt (auch wenn er nicht Berechtigter der Karte ist), deswegen liegt kein
Gewahrsamsbruch, dh keine Wegnahme, dh kein Diebstahl vor.
Lord Denning
27.8.2024, 12:19:08
Liegt nicht doch Zueignungs
vorsatzhinsichtlich der Karte vor, weil er sich die Karte kurzfristig zum Abheben in das Vermögen einverleibt und billigend in Kauf nimmt, dass durch Wegwerfen der Karte der ehem. Gewahrsamsinhaber aus seiner Eigentümerstellung verdrängt wird?
as.mzkw
20.9.2024, 18:11:09
So hätte ich auch subsumiert. Ein Diebstahl an der Karte würde meinem Verständnis nach nur dann ausscheiden, wenn er die Karte danach wieder dem Inhaber zukommen lässt/sie an ihren ursprünglichen Ort zurücklegt etc., so ja auch in den Sparbuchfällen hinsichtlich des Sparbuchs selbst.
agi
18.10.2024, 01:42:54
In den meisten Sachverhalten steht ein Satz zur Karte. Entweder „der T will die Karte zurücklegen“ oder „ er will die direkt danach entsorgen“ oder „ er schmeißt die Karte weg“ usw.
Findet Nemo Tenetur
17.10.2024, 09:33:43
Wieso scheidet eine Unterschlagung der Karte aus? Für den Abhebevorgang will er sie sich ja kurz in sein Vermögen übergehen lassen, bzw. dachte ich hier würde für die
Zueignungsabsichtdolus eventualis reichen?
Timurso
17.10.2024, 20:57:59
Die Verwendung einer EC-Karte ist durchaus auch dann möglich, wenn man nicht Eigentümer der Karte ist. Insofern ist das bloße Verwenden keine objektive Manifestation eines Zueignungswillens, da es nicht ausdrückt, dass der Täter sich die Stellung des Eigentümers anmaßt.
Findet Nemo Tenetur
18.10.2024, 20:53:39
Danke!
Leo Lee
20.10.2024, 13:13:10
Hallo Karolin, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! Wie Timurso zutreffend ausgeführt hat, benötigt man bei 246 die
Manifestation des Zueignungswillens. Die Anforderungen hieran sind i.Ü. STREITIG. Nach h.M. (enge Manifestationstheorie) ist nötig, dass eine obj. Handlung, aus denen ein obj. Dritter den Schluss ziehen kann, dass der Täter die Sache dauerhaft sich aneignen will, nötig. Wenn der Täter die Karte mit nach Hause nimmt und etwa versteckt oder sonst wie "sichert", würde der Wille sehr klar manifestiert. Wenn man die Karte allerdings nur benutzt, reicht dies per se nicht aus, um aus Drittsicht einen klaren Willen zum "behalten" zu bejahen. Zumal - wie Timurso erwähnt hat - die Karte auch im Auftrag eines anderen benutzt werden kann. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-StGB 4. Auflage, Hohmann § 246 Rn. 20 ff. sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo