Strafrecht

BT 2: Diebstahl, Betrug, Raub u.a.

Computerbetrug (§ 263a StGB)

EC Karte am Bankautomat / Tankkarte (Überschreitung der Befugnis)

EC Karte am Bankautomat / Tankkarte (Überschreitung der Befugnis)

13. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

A soll für B €100 abheben und erhält dazu die EC-Karte samt PIN. A hebt €1000 ab und behält €900 für sich.

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Einordnung des Falls

EC Karte am Bankautomat / Tankkarte (Überschreitung der Befugnis)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Nach der computerspezifischen Auslegung hat A unbefugt Daten verwendet.

Nein!

Nach der computerspezifischen Auslegung werden Daten unbefugt verwendet, wenn auf computerspezische Weise ordnungswidrig auf die Datenverarbeitung eingewirkt wird.A hat den Automaten nicht mit falschen Informationen beschickt, sondern die Karte ordnungsgemäß benutzt.
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2. Nach der subjektiven Auslegung hat A unbefugt Daten verwendet.

Genau, so ist das!

Nach der subjektiven Auslegung ist die Datenverwendung unbefugt, wenn der erkennbare Wille des Verfügungsberechtigen entgegensteht. Dem erkennbaren Willen des B widerspricht es, dass A die Beschränkung aus dem Auftrag überschreitet und €1000 abhebt.

3. Nach der betrugsäquivalenten Auslegung hat A unbefugt Daten verwendet.

Nein, das trifft nicht zu!

Nach der herrschenden betrugsäquivalenten Auslegung ist die Verwendung unbefugt, wenn sie gegenüber einem Menschen Täuschungscharakter hätte. OLG Dresden: Ein Bankangestellter würde sich darauf verlassen, dass die bestehenden Sicherheitsvorkehrungen ausreichen, um einen Missbrauch auszuschließen. Dementsprechend würde er sich keine Vorstellung von der Befugnis des A im Innenverhältnis machen. Hierfür spricht auch die Wertung der §§ 675l, 675v Abs. 3 Nr. 2 BGB.

4. Bedarf es vorliegend eines Streitentscheides?

Ja!

Da die Auffassungen zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, ist ein Streitentscheid nötig. Für die herrschende betrugsäquivalente Auslegung sprechen der historische Gesetzgebungswille, die ähnliche Struktur von Betrug und Computerbetrug sowie die Funktion des Computerbetrugs, Lücken bei der Betrugsstrafbarkeit zu schließen. A hat sich somit nicht des Computerbetrugs strafbar gemacht.In Betracht kommen allerdings ein Forderungsbetrug bei Ablieferung des zu geringen Betrags (§ 263 StGB) sowie Unterschlagung in Ansehung des einbehaltenen Geldes (§ 246 StGB).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

I-m-possible

I-m-possible

9.8.2022, 23:57:41

Ist bei der subjektiven Auslegung stets auf die Sicht der Bank abzustellen ?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

12.8.2022, 16:38:41

Hallo I-m-possible, bei der subjektiven Auslegung ist die Verwendung der Daten "unbefugt", wenn sie dem Willen des datenverfügungsberechtigten Vermögensträger widerspricht. Vermögensinhaber ist derjenige, der den elektronischen Zugriff auf sein Vermögen zugelassen hat. Dies ist bei EC-Karten in der Regel die Bank, bei der Benutzung eines Diensthandys der Arbeitgeber. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

JO

JohnnyLbd

1.7.2024, 17:55:22

@NoraMommsen In dem gebildeten Beispiel ist doch aber die Subjektive Auslegung durchgegangen aber ja nicht wegen dem erkennbaren Willen der Bank. Es lag doch vielmehr daran, dass dem geldabhebenden, von der ursprünglichen Inhaberin der Karte (nicht die Bank) der Pin und die Karte gegeben wurden oder nicht ?

I-m-possible

I-m-possible

11.8.2022, 14:09:36

Ich verstehe die Ansicht des OLG Dresden nicht, weil Sie darauf abstellt ob der Bankangestellte sich Gedanken über die Befugnis macht. Es handelt sich hier um Person A die vom Konto der Person B abhebt. Dass dies Täuschungscharakter hat ist an sich unstreitig, es sei denn der A würde eine Vollmacht auslegen, dass er das machen dürfe. Aber hiervon ist ja nichts erwähnt oder ?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

12.8.2022, 16:35:15

Hallo I-m-possible, das OLG Dresden folgt der herrschenden Ansicht die eine betrugsspezifische sprich täuschungsäquivalente Auslegung der unbefugten Datenverwendung befolgt. Es kommt darauf an, ob die Verwendung der Daten, wäre sie gegenüber einer natürlich Person erfolgt, Täuschungscharakter hätte. Vorliegend wurde aber keine Berechtigung zur Verwendung der Karte vorgespiegelt, denn die lag ja vor. Über den Umfang der Berechtigung wird sich der fiktive Angestellte bei lebensnaher Betrachtung keine Vorstellung gemacht haben. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Larissa3

Larissa3

25.10.2022, 17:24:24

Im Rengier wird nach der betrugsspezifischen Auslegung der Computerbetrug bejaht. Es wird aber gesagt, dass Streit über den Täuschungswert des Verhaltens herrscht.

<I

<isa_hh>

23.11.2023, 07:48:10

Der Unterschied zu dem Fall, bei dem der Täter die EC-Karte samt PIN wegnimmt ist also, dass dort die Berechtigung zur Verwendung der Karte vorgespiegelt wird?

L.G

L.Goldstyn

3.8.2024, 17:28:20

Hallo , genau, das ist der entscheidende Unterschied! Ein (für mich einprägsamerer) Erklärungsansatz ist folgender: Der Geldautomat überprüft mittels Karte und PIN die Berechtigung des Abhebenden. Das ist also der Prüfungsumfang des Automaten. Nimmt der Täter die EC-Karte weg, gibt er vor, berechtigt zu sein, obwohl er es nicht ist. Damit täuscht er über eine Tatsache, die innerhalb des Prüfungsumfangs liegt. Nicht zum Prüfungsumfang gehört aber die Berechtigung bzgl. der Höhe der Auszahlungen. Somit liegt eine Täuschung über eine Tatsache außerhalb des Prüfungsumfangs vor, sodass kein täuschungsgleiches Verhalten vorliegt und die unbefugte Verwendung nach der betrugsspezifischen Auffassung abzulehnen ist.

JOA

Joana

6.4.2024, 15:54:07

Ich habe gelernt, dass es bei der subjektiven Auslegung auf den Willen der Bank ankommt und dies habt ihr auch in einem parallelen Thread bestätigt. Dann ist eure Lösung hier jedoch falsch: Nach der subjektiven Auslegung hat A die Daten unbefugt verwendet. Die Aussage stimmt. Dem erkennbaren Willen des B (Karteninhaber) widerspricht es, dass A die Beschränkung aus dem Auftrag überschreitet. Wenn es aber auf den Willen der Bank ankommt, dann ist allein maßgeblich ob der Täter zum Abheben überhaupt berechtigt ist, weil das Innenverhältnis die Bank nicht interessiert. Folglich läge keine unbefugte Verwendung von Daten durch A vor und alle drei Ansichten kämen zum selben Ergebnis.

Jan

Jan

7.4.2024, 22:53:40

Bei der betrugsäquivalenten Auslegung kommt es auf den Willen der Bank an. Die subjektive Auslegung stellt nur darauf ab, ob der Handelnde befugt oder unbefugt handelt :)

Jan

Jan

7.4.2024, 22:54:15

Bei der betrugsäquivalenten Auslegung kommt es auf den Willen der Bank an. Die subjektive Auslegung stellt nur darauf ab, ob der Handelnde befugt oder unbefugt handelt :) Also, ob der Berechtigte will, dass auf diese Weise für ihn gehandelt wird.

CR7

CR7

30.7.2024, 16:51:46

Im MüKo heißt es: "(1) Subjektive Auslegung. Den weitestgehenden Anwendungsbereich für eine Strafbarkeit wegen Computerbetruges eröffnet die sog. subjektive Auslegung. Hiernach erfasst Abs. 1 Var. 3 alle Verhaltensweisen, die nicht vom wirklichen oder mutmaßlichen Willen des (Verfügungs-)Berechtigten an den Daten gedeckt sind. Auch der 1. Strafsenat des BGH stellte in einer älteren Entscheidung entsprechend der subjektiven Ansicht auf den Willen bzw. „Erwartungshorizont“ des Systembetreibers ab. Der hiernach maßgebliche Wille kann sich insbesondere in den vertraglichen Grundlagen zwischen dem Berechtigten und dem Verwender der Daten widerspiegeln. Bei Zugrundelegung der subjektiven Auslegung liegt beispielsweise eine unbefugte Verwendung von Daten vor, wenn der Kontoinhaber an einem Bankautomaten eine über den ihm eingeräumten Kreditrahmen hinausgehende Auszahlung veranlasst. Denn in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Banken kommt der Wille zum Ausdruck, dass derartige Verfügungen nur im Rahmen der Nutzungsgrenze erfolgen sollen. Vertreter der subjektiven Ansicht gelangen zudem regelmäßig zur Strafbarkeit in den Fällen der missbräuchlichen – also unter Ausnutzung eines Sonderwissens bezüglich des Spielablaufs aber ohne äußere Einwirkung auf den Programmablauf erfolgenden – Benutzung von Geldspielautomaten, da mit einem solchen für den Nutzer letztlich risikolosen Spiel gegen den Willen der Automatenbetreiber verstoßen wird. Nach Auffassung des 1. Strafsenats des BGH ist insoweit der „Erwartungshorizont“ des Automatenbetreibers beachtlich, „soweit dieser sich an vernünftigen Gründen orientiert und erkennbar in Erscheinung tritt“. Unbefugtheit soll jedenfalls dann vorliegen, wenn die Kenntnis vom Spielablauf rechtswidrig erlangt wurde. (MüKoStGB/Hefendehl/Noll, 4. Aufl. 2022, StGB § 263a Rn. 76, 77)" Im BeckOK heißt es: "Nach der subjektiven Auslegung handelt unbefugt, wer Daten gegen den tatsächlichen oder mutmaßlichen Willen des Berechtigten verwendet (vgl. NK-StGB/Kindhäuser/Hoven Rn. 27; Bühler MDR 1991, 14 (16); Scheffler/Dressel NJW 2000, 2645; vgl. auch BGHSt 40, 331 (334 f.); zust. Mitsch JR 1995, 432 (433)). Umfasst wäre somit jedes vertragswidrige Verhalten (vgl. LG Bonn NJW 1999, 3726) bis hin zu jedem Verstoß gegen Nutzungsverbote (vgl. Hilgendorf JuS 1997, 130 (132) für ein Hausverbot). Da diese Interpretation sehr weit ist, werden zT Einschränkungsversuche unternommen, va danach, ob der Täter die Daten rechtswidrig erlangt hat (angedeutet in BGHSt 40, 331 (335); vgl. auch BGH NStZ-RR 2015, 337 (338)) oder der entgegenstehende Wille des Berechtigten deutlich zum Ausdruck gekommen ist (Etter CR 1

988

, 1021 (1023); zur Kritik LK-StGB/Tiedemann Rn. 43). (BeckOK StGB/Schmidt, 61. Ed. 1.5.2024, StGB § 263a Rn. 21)"

CR7

CR7

30.7.2024, 16:42:15

Ich habe mir mal die Original-Entscheidung durchgelesen und finde den festgestellten Sachverhalt unfassbar traurig: "Der Angeklagte freundete sich ca. Anfang bis Mitte Mai 2001 mit der später Geschädigten aus an. Die einfach strukturierte Frau fasste sehr schnell Zutrauen zu dem Angeklagten und vertraute ihm ihre EC- Codekarte nebst Geheimzahl an. Eine Befugnis über das Konto der Frau bei der Sparkasse, Zweigstelle zu ver- fügen, hatte der Angeklagte nicht, was er auch wusste. Er erhielt die Codekarte lediglich, um entweder im Auftrag der Frau Kontoauszüge zu holen oder in deren Beisein Haushaltsgeld vom Konto abzuheben. Frau war zum damaligen Zeitpunkt alleinstehend, leddig und hatte in ihrem Haushalt 6 leibliche Kinder. Sie lebte von Sozialhilfe und Kindergeld. Dies wusste der Angeklagte. Trotzdem hob er mit der Codekarte und der Geheimnummer am Geldautomaten der Zweigstelle , vom Konto der Frau , ohne deren Erlaubnis folgende Beträge ab: 1. am 07.08.2001 einen Betrag von 900 DM 2. am 08.08.2001 einen Betrag von 100 DM 3. am 08.08.2001 einen Betrag von 900 DM. Nachdem er das Geld abgehoben hatte, verschwand der Angeklagte spurlos aus dem Lebensbereich der Geschädigten. Der Angeklagte hatte mit diesen Abhebungen der Geschädigten einen Gesamtschaden von 1.900 DM zugefügt. Dieses Geld war für den Lebensunterhalt der Geschädigten und ihrer Kinder Im Monat August 2001 bestimmt. Die Geschädigte musste daher beim Sozialamt in dieser Höhe einen Kredit aufnehmen, den sie bis heute mit monatlich 51 Euro abzahlt."

Wendelin Neubert

Wendelin Neubert

24.10.2024, 18:05:52

Danke für Deine Mühe, lieber @[CR7](145419), das ist in der Tat mega traurig und deprimierend. Umso wichtiger, sich solchen Menschen mit den Mitteln des Rechtsstaats in den Weg zu stellen! Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team

KAR

Karolin

17.10.2024, 09:42:28

Kommt hier auch eine Strafbarkeit wegen Untreue (Treubruchsvariante) in Betracht?

TI

Timurso

17.10.2024, 20:53:06

Dies scheitert an der Vermögensbetreuungspflicht. Eine solche wird lediglich dann angenommen, wenn die eigenverantwortliche und selbstständige Befugnis zur Verwaltung des Vermögens übertragen wird. Dies ist hier jedoch nicht der Fall, da der A nach dem Willen der B gerade nicht selbst darüber entscheiden können soll, wie viel Geld er abhebt. Es handelt sich vielmehr um eine reine Botentätigkeit.

LELEE

Leo Lee

20.10.2024, 15:33:39

Hallo Karolin, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! Wie Timurso bereits zutreffend angemerkt hat scheitert die Untreue in diesem Fall (mangels entsprechender Anhaltspunkte) an der Vermögensbetreuungspflicht. Eine solche - häufiger Fehler im Klausuren - besteht nämlich NUR DANN, wenn die fremdnützige Vermögensfürsorge die HAUPTPFLICHT darstellt. Das bedeutet also, dass Täter und Opfer gerade eine Vereinbarung getroffen haben müssen, aufgrund derer der Täter sich um das Vermögen des Opfers als HAUPTPFLICHT kümmern muss (klassischerweise etwa beim Vermögensverwalter). Vorliegend soll A lediglich 100 Euro abheben. Diese Vereinbarung stellt höchstens einen Auftrag (unentgeltlich) dar und keine, aufgrund derer der B jetzt "hauptsächlich" das Vermögen des A betreut. Deshalb würde die Vermögensbetreuungspflicht (und infolgedessen auch die Untreue) ausscheiden. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-StGB 4. Auflage, Dierlamm/Becker § 266 Rn. 42 :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

KAR

Karolin

20.10.2024, 19:59:13

Danke euch beiden!


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