Beschränkung durch Aufsichtsmaßnahme und Rechtsschutz (Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG) - "Weihnachtsmarkt III"


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Der Gemeinderat der kreisangehörigen Gemeinde Zoffenhausen beschließt, erstmalig einen Weihnachtsmarkt zu veranstalten. Die Nachbargemeinde Nörgeldorf unterhält bereits einen Weihnachtsmarkt. Landrätin L aus Nörgeldorf weist Bürgermeister B allein aus diesem Grund an, den Beschluss zu beanstanden. B beanstandet daraufhin den Beschluss.

Einordnung des Falls

Beschränkung durch Aufsichtsmaßnahme und Rechtsschutz (Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG) - "Weihnachtsmarkt III"

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Zoffenhausen hat das Recht und die Verbandszuständigkeit zur Veranstaltung eines Weihnachtsmarktes.

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Genau, so ist das!

Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG garantiert den Gemeinden einen Aufgabenbereich, der grundsätzlich alle „Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft“ umfasst. In diesem Aufgabenbereich dürfen die Gemeinden ihre Geschäfte eigenverantwortlich regeln. Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft sind diejenigen Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben. Dies ist der Fall, wenn sie den Gemeindeeinwohnerinnen gerade als solchen gemeinsam sind, indem sie das Zusammenleben und -wohnen der Menschen in der politischen Gemeinde betreffen. Dies ist speziell bei einer besonderen sozialen, kulturellen oder traditionellen Prägung einer Angelegenheit für die Gemeindeeinwohner der Fall. Der Weihnachtsmarkt ist eine Angelegenheit, die Tradition hat und einen sozialen Begegnungsraum für die Gemeinde schafft. Hier treffen die Einwohnerinnen auf vertraute und geschätzte kulturelle Angebote.

2. Beeinträchtigungen der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie, die nicht durch ein Gesetz erfolgen, sind wegen Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG verfassungswidrig.

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Nein, das trifft nicht zu!

Auch Beeinträchtigungen aufgrund eines Gesetzes (nicht: durch ein Gesetz) können verfassungsgemäß sein. Sie bedürfen jedoch einer besonderen verfassungsrechtlichen Rechtfertigung, insbesondere eines Rechtfertigungsgrundes. Zulässig ist es, wenn das Land den Gemeinden inhaltliche Vorgaben zur Erledigung örtlicher Angelegenheiten macht, um eine ordnungsgemäße Erledigung dieser Aufgaben sicherzustellen.

3. Landrätin L darf Zoffenhausen grundsätzlich Vorgaben über die Regelung örtlicher Angelegenheiten machen.

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Ja!

Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG gewährleistet die kommunale Selbstverwaltungsgarantie nur „im Rahmen der Gesetze“. Die staatliche Aufsicht über die Kommunen ist in allen Ländern gesetzlich vorgesehen (vgl. nur §§ 170 ff. KomVG NI; §§ 111 ff. GemO SN). L hat Bürgermeister B angewiesen, den Beschluss des Gemeinderats zu beanstanden. Das Beanstandungsrecht ist gesetzlich vorgesehen (vgl. nur § 173 Abs. 1 S. 1 KomVG NI;§ 114 Abs. 1 S. 1 GemO SN).

4. Die Beeinträchtigung der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie (Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG) Zoffenhausens durch die Anweisung der L ist gerechtfertigt.

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Nein, das ist nicht der Fall!

Sämtliche Akte öffentlicher Gewalt, die Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG beeinträchtigen, bedürfen insbesondere einer besonderen verfassungsrechtlichen Rechtfertigung, also eines Rechtfertigungsgrundes. L verbietet Zoffenhausen, einen Weihnachtsmarkt auszurichten. Allein der Umstand, dass Nörgeldorf bereits einen Weihnachtsmarkt ausrichtet, rechtfertigt die Beeinträchtigung von Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG noch nicht. Dahinstehen kann daher, ob das Verbot einen Verstoß gegen das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) darstellt.

5. Ob Zoffenhausen unter Berufung auf die kommunale Selbstverwaltungsgarantie aus der Landesverfassung Kommunalverfassungsbeschwerde vor dem LVerfG gegen die Anweisung der L erheben kann, hängt vom jeweiligen Landesrecht ab.

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Ja, in der Tat!

Die Zuständigkeiten der LVerfG (vgl. diese Übersicht) erstrecken sich in allen Flächenländern auf eine Art der „Kommunalverfassungsbeschwerde“, die mit der Kommunalverfassungsbeschwerde aus dem GG (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG, §§ 13 Nr. 8a, 91 S. 1 BVerfGG) verwandt ist. Häufig ist die Kommunalverfassungsbeschwerde vor dem LVerfG jedoch auf materielle Landesgesetze (also insbesondere Parlamentsgesetze, Rechtsverordnungen oder Satzungen des Landes) beschränkt. Ist hingegen jeder Akt der öffentlichen Gewalt als Beschwerdegegenstand zulässig, kann auch eine Kommunalverfassungsbeschwerde vor dem LVerfG statthaft sein.

6. Ob Zoffenhausen unter Berufung auf Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG Kommunalverfassungsbeschwerde vor dem BVerfG gegen die Anweisung der L erheben kann, hängt vom jeweiligen Landesrecht ab.

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Nein!

Das BVerfG entscheidet über Verfassungsbeschwerden von Gemeinden und Gemeindeverbänden („Kommunalverfassungsbeschwerden“) wegen Verletzung des Rechts auf Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG) durch ein Gesetz (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG, §§ 13 Nr. 8a, 91 S. 1 BVerfGG). Beschwerdegegenstand ist hier die Anweisung der L und somit kein Gesetz. Daher kann dahinstehen, ob und inwieweit die Zuständigkeit des BVerfG subsidiär zu jener des LVerfG ist.

7. Kann Zoffenhausen unter Berufung auf die kommunale Selbstverwaltungsgarantie Rechtsschutz vor den Verwaltungsgerichten gegen die Anweisung der L suchen?

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Nein, das ist nicht der Fall!

Es besteht keine Klagemöglichkeit gegen die Anweisung. Eine Anfechtungsklage scheitert an der fehlenden Außenwirkung der Anweisung. Eine auf Rückgängigmachung der Anweisung gerichtete Leistungsklage wäre unzulässig, da die Anweisung rein innerstaatlich wirkt und (noch) keine subjektiven Rechte der Gemeinde verletzen kann (analog § 42 Abs. 2 VwGO).

8. Könnte Zoffenhausen unter Berufung auf die kommunale Selbstverwaltungsgarantie Rechtsschutz vor den Verwaltungsgerichten gegen die Beanstandung durch B suchen?

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Ja, in der Tat!

Statthafte Klageart ist die Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO). Die vom Bürgermeister ausgesprochene Beanstandung ist ein Verwaltungsakt, welcher der Aufsichtsbehörde zuzurechnen ist. Weil B im Wege der Organleihe für den Kreis tätig wird, ist die Beanstandung der staatlichen Aufsichtsbehörde zuzurechnen und entfaltet mithin gegenüber der Gemeinde Außenwirkung. Der Regelungscharakter ergibt sich aus der aufschiebenden Wirkung für die Wirksamkeit des Ratsbeschlusses. Die kommunale Selbstverwaltungsgarantie ist ein subjektives Recht im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO. Vor dem VG kann sich Zoffenhausen sowohl auf Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG als auch auf die kommunale Selbstverwaltungsgarantie der Landesverfassung berufen.

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