"Ladungsfrist verpeilt" - Ratsbeschluss unter Verstoß gegen GO


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

In der Geschäftsordnung des Rates von Zoffenhausen (GeschO) ist eine Frist von zehn Tagen für die Ladung der Ratsmitglieder zur Ratssitzung bestimmt. Eine Ladungsfrist enthält das maßgebliche Kommunalgesetz nicht. Bürgermeister B hat hat die Ratsmitglieder jedoch erst neun Tage vor der Sitzung geladen. Die Ratsmitglieder fassen in der Sitzung munter zahlreiche wichtige Beschlüsse.

Einordnung des Falls

"Ladungsfrist verpeilt" - Ratsbeschluss unter Verstoß gegen GO

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Arbeitsweise der Gemeindevertretung wird in der Praxis hauptsächlich durch die gesetzlichen Regelungen der GO geprägt.

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Nein, das trifft nicht zu!

Rechtliche Vorgaben für ihre Sitzungen sowie das Verfahren ergeben sich überwiegend aus den jeweiligen Geschäftsordnungen (vgl. z.B. § 69 KomVG NI). Die Praxisrelevanz der Geschäftsordnungen spiegelt sich aber nicht in der Prüfungsrealität wider. In Prüfungen musst Du deutlich häufiger mit den Normen der GO als mit abgedruckten Geschäftsordnungen einzelner Gemeinden umgehen.

2. Der Rat verfügt über eine Geschäftsordnungsautonomie.

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Ja!

Die Geschäftsordnungsautonomie des Rates ist das Recht, die internen Rechtsverhältnisse in einer Geschäftsordnung selbst zu regeln. Geschäftsordnungen stellen Organinnenrecht dar, welches Rechte und Pflichten der Beteiligten ausgestaltet und für diese verbindliche Rechtssätze aufstellt. Die Rechtssphäre Dritter, insbesondere der Einwohner, wird nicht unmittelbar berührt. Damit wird die Unabhängigkeit, Selbständigkeit und Funktionalität des Rates gewährleistet. Sie basiert auf der verfassungsrechtlich garantierten Organisationshoheit der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie (Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG).

3. Der Rat kann völlig frei entscheiden, was und wie er seine Angelegenheiten in der GeschO regelt.

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Nein, das ist nicht der Fall!

Die Geschäftsordnung regelt Organisation und Abläufe des Rates, soweit diese Fragen nicht bereits abschließend in der GO bestimmt sind. Der Rat wird durch die meist allgemein gehaltenen Kommunalgesetze oftmals verpflichtet, Einzelheiten festzulegen („Einzelheiten regelt die Geschäftsordnung.“). Diese Befugnis wird aber begrenzt durch die Vorgaben höherrangigen Rechts. Insbesondere darf die GeschO sich nicht in Widerspruch zu zwingenden Vorschriften der GO setzen. Auch über die in den Kommunalgesetzen genannten Gegenstände hinaus kann der Rat Regelungen treffen, soweit diese nicht im Widerspruch zu höherrangigen Recht stehen. Dabei kommt ihm ein großes „normatives Ermessen“ zu. So kann eine GeschO die Einschränkung von Redezeiten der Ratsmitglieder vorsehen, die dann in materieller Hinsicht am Maßstab höherrangigen Rechts (insbesondere am freien Mandat der Abgeordneten) zu messen sind. Ob der Vorbehalt des Gesetzes auf die GeschO anwendbar ist, ist umstritten.

4. Die Rechtsnatur der GeschO ist ungeklärt.

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Ja, in der Tat!

Sofern sich der Rat bei dem Beschluss nicht eindeutig auf eine Rechtsnatur festgelegt hat, kommt insbesondere die Einstufung als Verwaltungsvorschrift, Satzung oder Rechtscharakter eigener Art in Betracht. Jedenfalls handelt es sich dabei um Rechtsnormen, die (1) lediglich Innenrechtsbeziehungen regeln (Organinnenrecht) und (2) zugleich Rechte und Pflichten für Ratsmitglieder begründen. Jedenfalls können Rechte und Pflichten aus der GeschO im verwaltungsgerichtlichen Organstreitverfahren („Kommunalverfassungsstreit“) geltend gemacht werden. Rechtsschutz gegen die Geschäftsordnungen selbst bietet das Normenkontrollverfahren (§ 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO).

5. Ein Verstoß gegen die GeschO führt immer zur Unwirksamkeit von Ratsbeschlüssen.

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Nein!

Die GeschO ist jedenfalls ein allein für die Mitglieder des Rates - mithin auch für den Bürgermeister - verbindlicher Rechtssatz. Sie entfaltet aber keine Außenwirkung, sondern ist bloßes Organinnenrecht. Ein Verstoß allein gegen Regelungen der Geschäftsordnung stellt einen unwesentlichen Verfahrensfehler dar und berührt die Wirksamkeit des Beschlusses nicht. An dieser Stelle kannst Du auf Dein staatsorganisationsrechtliches Wissen zur (Ir-)Relevanz von Verstößen gegen Geschäftsordnungsrecht im Gesetzgebungsverfahren zurückgreifen.

6. Ratsbeschlüsse sind ausnahmsweise unwirksam, soweit gegen eine GeschO-Norm verstoßen wird, die zwingende gesetzliche Vorschriften wiedergibt.

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Genau, so ist das!

In diesem Fall ergibt sich die Unwirksamkeit allerdings aus dem Verstoß gegen die gesetzliche Vorschrift und nicht aus dem Verstoß gegen die GeschO-Norm.

7. Da die Ratsmitglieder nicht fristgemäß geladen wurden, verstoßen die Beschlüsse des Rates gegen gesetzliche Vorschriften.

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Nein, das trifft nicht zu!

Die GeschO ist jedenfalls ein allein für die Mitglieder des Rates - mithin auch für den Bürgermeister - verbindlicher Rechtssatz. Sie entfaltet aber keine Außenwirkung, sondern ist bloßes Organinnenrecht. Ein Verstoß allein gegen Regelungen der Geschäftsordnung berührt die Wirksamkeit des Beschlusses nicht, da es sich bei der GeschO um bloßes Organinnenrecht handelt. Ratsbeschlüsse sind ausnahmsweise dann unwirksam, soweit gegen eine GeschO-Norm verstoßen wird, die zwingende gesetzliche Vorschriften wiedergibt. Eine Ladungsfrist enthält das maßgebliche Kommunalgesetz nicht. Die Ladungsfrist der GeschO ist also keine gesetzliche Vorschrift, die durch die GeschO nur wiedergegeben wird.

8. Die Beschlüsse des Rates sind wirksam, da der Verstoß gegen die GeschO unbeachtlich ist.

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Ja!

Es liegt kein Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften vor. Die Festlegung der Ladungsfrist von zehn Tagen ist hier nicht zu beanstanden (sieben Tage sind üblich). Der Verstoß gegen die GeschO mit nur einem Tag verspäteter Ladung ist im Übrigen so marginal, dass hier nur von einem unwesentlichen Verfahrensfehler gesprochen werden kann. Der Verfahrensfehler könnte auch durch die rügelose Einlassung der betroffenen Ratsmitglieder geheilt werden. Zudem sind sind Abweichungen von der GeschO im Einzelfall durch (sogar nur konkludenten oder stillschweigenden) Mehrheitsbeschluss grundsätzlich möglich.

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