+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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T ist Drohnenpilot und der Erzfeind von O. Da er die Feindschaft nicht mehr aushält, bewaffnet er seine Drohne und möchte O ausschalten. Dazu versteckt er sich in dessen Garten, da er die Funkreichweite nicht überschreiten möchte. Als er auf dem Bildschirm eine Person sieht, lässt er die Drohne schießen. Dabei war er selbst die Person und hat sich nur knapp verfehlt.

Einordnung des Falls

Abgrenzung Wahndelikt und untauglicher Versuch 1

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Versuch eines Totschlages (§ 212 Abs. 1 StGB) ist strafbar.

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Genau, so ist das!

Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt (§ 23 Abs. 1 StGB). Totschlag ist ein Verbrechen, da die angedrohte Mindestfreiheitsstrafe 5 Jahre beträgt (§§ 212 Abs. 1, 12 Abs. 1 StGB).

2. T hat „Tatentschluss“ hinsichtlich des Tatbestandserfolges.

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Ja, in der Tat!

Tatentschluss ist der subjektive Tatbestand des Versuchs. Er umfasst den auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale gerichteten Vorsatz sowie sonstige subjektive Tatbestandsmerkmale. Der Täter hat Tatentschluss, wenn er endgültig entschlossen ist, den Deliktstatbestand zu verwirklichen. Dabei wird zur bloßen Tatgeneigtheit abgegrenzt. T ist fest entschlossen, O zu töten. Straffrei wäre T, wenn er gewusst hätte, dass er auf sich schießt, da die Selbsttötung straffrei ist. Er geht allerdings davon aus, eine andere Person anzugreifen. Daher war der Versuch lediglich untauglich.

3. T hat „unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt“.

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Ja!

Das unmittelbare Ansetzen (§ 22 StGB) liegt vor, wenn der Täter subjektiv die Schwelle des „Jetzt-geht-es-los“ überschreitet und objektiv – unter Zugrundelegung seiner Vorstellung – Handlungen vornimmt, die bei ungestörtem Fortgang ohne wesentliche Zwischenschritte zur Tatbestandsverwirklichung führen oder mit ihr in unmittelbarem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen. Durch den Schuss hat T unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt.

4. T handelte rechtswidrig und schuldhaft.

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Genau, so ist das!

T hat sowohl rechtswidrig als auch schuldhaft gehandelt.

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SME

smend40

2.8.2021, 13:34:59

T unterliegt vorliegend einem error in persona. Dieser wird überwiegend auch im Tatentschluss berücksichtigt (und gerade nicht auf die bloße Vorstellung des Täters abgestellt). Hat er sich damit i.E. nicht eines versuchten Totschlags an sich selbst strafbar gemacht?

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

5.12.2021, 03:22:03

Das hat er und daher liegt auch ein untauglicher Versuch vor. Mir ist die Frage aber nicht ganz klar. Ansonsten ist der Tatentschluss die Vorstellung des Täters.

SME

smend40

5.12.2021, 04:38:24

Der Täter selbst ist kein taugliches Tatobjekt i.S.d 212 I. Die Vorstellung sich selbst zu töten begründet somit keinen Tatentschluss bezüglich 212 I. Wird der Error in Persona berücksichtigt, verhält es sich vorliegend aber gerade so. Der ganze Fall funktioniert m.E. nur, wenn der Error in Persona ausgeblendet wird. Das kann man aber nicht einfach diskussionslos machen.

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

5.12.2021, 13:31:16

Den Tatentschluss hat er ja nicht in Bezug auf sich yelbst, sondern in Bezug auf O. Dabei verwechselt er sich mit O. Er dachte also dass er einen anderen Menschen töten würde. Deine Aussage passt eher zum nächsten Fall und da wird es auch als Wahndelikt klargestellt.

SME

smend40

5.12.2021, 14:07:42

Das ist weniger klar, als du suggerierst. Nach einer in der Literatur (und wohl auch von der Rechtsprechung geteilten Auffassung) finden die Grundsätze über die Behandlung des error in persona auch beim Versuch Anwendung. Das hat bei konsequenter Anwending eine teilweise Objektivierung des Tatentschlusses zur Folge. Ob das überzeugend ist, sei hier dahingestellt. Siehe zum Ganzen etwa Schöpe, JuS 2017, 44 (48); NK/Zaczyk 22 Rn.17 (mit Fn.88): "Auch beim Versuch gelten grds. die in der allgemeinen Vorsatzlehre entwickelten Regeln des error in persona vel obiecto: Das Wissen um die Qualität des angegriffenen Objekts allg. genügt, eine falsche Indivdualisierung schadet nicht, soweit Vorstellung und Wirklichkeit gleichwertig sind". Die konsequente Anwendung dieser Grundsätze führt vorliegend nicht zu einem untauglichen Versuch, sondern einem Wahndelikt.

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

5.12.2021, 14:16:30

Einer Verobjektivierung im Tatentschluss findet nicht statt. Der Tatentschluss ist alleine die Vorstellung und anders als beim Erfolgsdelikt ein (Teil)Abgleich mit der Realität. Der einzige objektive Teil des Versuchs, je nach Ansicht, ist das unmittelbare Ansetzen. Ein extremer Fall, der trzd zu einem (untauglichen) Versuch führt ist der Verfolgerfall (BGHSt 11, 268), bei dem eine versuchte mittelbare Täterschaft angenommen wurde, obwohl objektiv eine reine Selbsttötung vorgelegen hätte. Im Versuch passt das aber schon deswegen nicht, weil ein Abgleich von Taterfolg und Tatentschluss nicht erfolgen kann, da ein Taterfolg schlicht nicht vorliegt. Vorliegend wollte T den O töten und hat nach seiner Vorstellung auf diesen geschossen und damit unmittelbar angesetzt (beim Ansetzen ist m.E. eher Argumenationsspielraum), demnach wird er wegen untauglichen Versuchs strafbar, auch wenn er, falls ein TodesErfolg eingetreten wäre, sich ebenfalls nur wegen untauglichen Versuchs strafbar gemacht hätte.

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

5.12.2021, 14:19:57

Es ändert sich daran m.E. auch nichts, wenn die Formulierungen in den Kommentierungen etwas unpräzise und unklar sind. M.E. geht es an dieser Stelle eher darum, dass zwei verschiedene Dritte betroffen sind. Der error in persona hilft aber schon deswegen nicht weiter, weil ein Erfolg gar nicht eintritt und ein Abgleich von Vorstellung und Erfolgt nicht stattfindet. Gemeint ist nur (unpräzise), dass auch dann ein Versuch vorliegt wenn ich das Opfer falsch individualisiere, da es auf die Vorstellung ankommt. Auch beim echten error in objecto, also Ungleichwertigkeit, wird ja hinsichtlich der Vorstellung des Gewollten ein Versuch angenommen und kein Wahndelikt

SME

smend40

5.12.2021, 14:49:36

Wenn es nach Auffassung des BGH tatsächlich nur auf die Vorstellung ankommen würde, wäre ein Rekurs auf die Figur in den entsprechenden Entscheidungen entbehrlich gewesen. Ich halte deine Ausführungen auch für im höchsten Maß plausibel. Dennoch wird es (auch)anders gesehen, wie u.a die entsprechende Fundstelle aus der JuS belegt (auch wenn sich der Autor i.E. der von dir vertretenen Auffassung anschließt). "In bewusster Gegnerschaft nennt Hillenkamp es einen Trugschluss, für den Vorsatz beim Versuch allein auf die Vorstellung abzustellen" (MüKO/Hoffmann 22 Rn.40).

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

5.12.2021, 15:21:07

Hillenkamps Lösung geht nur über § 16, löst im Ergebnis das Problem aber genauso. M.E. geht der BGH in der Entscheidung selbst davon aus, dass die Ausführungen dahingehend nicht maßgeblich sind und nimmt es nur der Vollständigkeit halber auf; vorliegend hält er den Irrtum ja gerade für unbeachtlich. Ob man das error in persona beim Versuch nennen kann, mag m.E. dahingestellt bleiben, da es ja auch kein rechtlicher Begriff ist, sondern die Himfsumschreibung für eine Konstellation und damit vom Gesetz nicht festgelegt. Aber im Ergebnis ohnehin unbeachtlich. Ein anderes Beispiel für den vorliegenden Fall wäre, dass jemand auf einen Menschen schießt, den er für das Haustier seines Nachbarn hält. Liegt dann keine Straftat vor oder liegt eine versuchte Sachbeschädigung vor. Oder im umgekehrten Fall der Versuch auf einen Menschen zu schießen der nur ein Haustier ist. Läge dann auch keine Strafbarkeit vor, weil ja gerade nicht auf einen Menschen geschossen wird. Wie passt das mit der Grundannahme zusammen, dass der untaugliche Versuch strafbar ist?

SME

smend40

5.12.2021, 15:50:40

Die entscheidende Frage ist, ob der BGH mit seiner Entscheidung (NStZ 1998, 294) eine Anreicherung des Tatentschlusses um ein objektives Element zum Ausdruck bringen wollte. Wäre der Tatentschluss tatsächlich rein subjektiv zu bestimmen könnte ein Abweichung in der Realität keine Rolle spielen und wäre demnach nicht erwähnenswert. Eine Verwechselung kann es rein subjektiv nicht geben. Eine Vorstellung hat man oder man hat sie nicht. Eine Verwechselung entsteht erst durch Auseinanderfallen von Vorstellung und Realität. Spricht der BGH folglich von Verwechselung, mengt er ein objektives Element bei. Dass Hillenkamp § 16 StGB heranzieht, zeigt dass er für den Tatentschluss nicht einzig auf die Vorstellung des Täters abstellt. § 16 StGB spricht von der Kenntnis eines Umstandes, Kenntnis ist aber nichts anderes als die Kongruenz von Vorstellung und Sachverhalt. Das herangezogene Beispiel halte ich für insofern problematisch, als dass es sich um unterschiedliche Delikte handelt. Vergleichbarer wäre, dass jemand irrtümlich glaubt auf den Hund des Nachbarn zu schießen, es sich aber tatsächlich um seinen eigenen handelt, den er verfehlt. Unter Berücksichtigung des Wortlauts des § 23 III wäre hier wohl ein untauglicher Versuch anzunehmen. Das Ergebnis erscheint mir in Anbetracht der Handhabung des irrationalen Versuchs aber nicht zwingend. Auch im vorliegenden Fall ist kein rechtserschütternder Eindruck ersichtlich.

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

5.12.2021, 16:03:47

Mit Verwechslung meinte der BGH erkennbar, dass der Tatplan der Handlung auf eine Dritte Person bezogen war und nicht auf die Person bei welcher tatsächlich unmittelbar zum Versuch angesetzt wurde. Er wollte O umbringen, hat aber tatsächlich auf D geschossen. Trotzdem ein Versuch. Das der error in persona angesprochen wurde, ist m.E. kein Argument, da kein gesetzlicher klarer Begriff. Und eine Ansprache kann auch einfach daran liegen, dass der BGH wegen der Ausführungen der Verteidigung darauf eingehen musste. Auch Hillenkamp kommt im vorliegenden Fall nicht zu einem Wahndelikt, da die Anwendung des § 16 zum gleichen Ergebnis kommt. Der Irrtum über Tatumstände, kann sich auch auf das beziehen, was der BGH meinte. Ansonsten bezieht sich der BGH immer nur auf subjektive Elemente, auch heute noch. Auch da Wahndelikt der Selbsttötung und des Totschlags sind klar zwei unterschiedliche "Delikte", da § 212 die Selbsttötung gerade nicht erfasst. Insofern ist es m.E. richtig als Vergleicj zwei verschiedene Delikte zu betrachten. Der "rechtserschütternde Eindruck" ist keine rechtliche Anforderung und kann die gesetzlichen Anforderungen an den Tatbestand kaum erweitern oder aushöhlen. Man kann es durchaus als Erschütterung des Rechts ansehen, wenn jemand eine Person töten möchte und tatsächlich schießt. Aber das ist keine wirklich rechtliche Frage, die über subjektives Empfinden hinausgehen würde. Ein irrationale Versuch liegt nicjr vor, da mit dem Schuss auf einen Menschen durchaus dessen/deren Tod herbeigeführt werden kann. Irrational ist das aber nicht. Es stimmt aber, dass der Versuch untauglich ist, wenn das Tatobjekt wie vorliegend verwechselt wurde.

SME

smend40

5.12.2021, 16:12:18

Die Diskussion ist müßig, wir reden aneinander vorbei. Die Behauptung, dass der rechtserschüternde Eindruck keinerlei Auswirkung auf die Handhabung des Versuchs haben würde, wird durch den irrationalen Versuch desavouiert. Das ein irrationaler Versuch nicht vorliegt, ist offensichtlich und habe ich auch nicht behauptet. Es sollte lediglich verdeutlichen, dass die Annahme eines untauglichen Versuchs nicht zwingend sein muss.

SME

smend40

5.12.2021, 16:13:15

Ein Wahndelikt ist zudem gar kein Delikt, es ist somit zumindest unpräzise von zwei verschiedenen Delikten zu sprechen.

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

5.12.2021, 16:16:57

Daher in Anführungszeichen

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

5.12.2021, 16:25:58

Die Ablehnung des irrationalen Versuchs erfolgt nicht über das pauschale Argumente des fehlenden rechtserschütternden Eindrucks. Dies kann man hilfsweise mit anbringen, ist aber wie gesagt kein echtes rechtliches Argument, sondern eine subjektive Wertung, die dem Recht kaum zugänglich ist. Und der Vergleich mit dem irrationalen Versuch als Beweis dafür dass vorliegend kein untauglicher Versuch vorliegen muss, funktioniert auch nur dann, wenn es einen Grund gibt, warum man den untauglichen Versuch ablehnt. Dann kann man auch hilfsweise offene Wertungen wie den rechtserschütternden Eindruck etc. miterwähnen. Zu echten rechtlichen Argumenten werden die dadurch aber nicht.

SME

smend40

5.12.2021, 16:29:14

M.E. lässt sich die Ablehnung der Strafbarkeit des irrationalen Versuchs nur plausibel über die Ratio des 22 begründen. Alle anderen Erklärungsversuche greifen gerade nicht durch (kein Tatentschluss im Hinblick auf die obj. Zurechnung usw).

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

5.12.2021, 16:31:12

Als teleologische Reduktion?

SME

smend40

5.12.2021, 16:34:50

„Mit Verwechselung meinte der BGH erkennbar, dass der Tatplan der Handlung auf eine Dritte Person bezogen war und nicht auf die Person bei der tatsächlich unmittelbar zum Versuch angesetzt wurde“ Das unmittelbare Ansetzen bestimmt sich primär nach der Vorstellung des Täters. Der Tatentschluss und das subjektive Element des unmittelbaren Ansetzens können nicht auseinanderfallen („nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt“). Der Tatentschluss ist Bezugspunkt des unmittelbaren Ansetzens. Es kann nicht an einer anderen Person angesetzt werden, als auf die der Tatentschluss gerichtet ist. Eine Verwechselung der von dir beschriebenen Art kann es demnach nicht geben. Lass uns hier aber besser zu machen, schönen Sonntagabend noch :).

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

5.12.2021, 16:36:30

Wie ich meinte, ist die Formulierung des BGH unpräzise. Aber das ist nach dem Sachverhalt ziemlich genau das was damit gesagt wurde. Undogmatisch ist es natürlich trzd. Ebenfalls frohen 2. Advent

lennart20

lennart20

31.3.2023, 12:54:23

Wie verhält sich es in casu mit dem error in persona?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

31.3.2023, 16:12:36

Hallo lennart20, vielen Dank für die Nachfrage. Der Umstand, dass sich T hier über die Identität seines Opfers irrt (=error in persona) ist für den Tatentschluss hier unbeachtlich, da das tatsächlich anvisierte Tatobjekt (er selbst) gleichwertig zu dem Tatobjekt (O) ist, dass T treffen wollte (beides Menschen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

KEN

Kenzosara

16.2.2024, 01:16:56

Angenommen der Drohnen-Fall wäre umgekehrt und die Person, welche die Drohne steuert, möchte sich selbst töten mit dem Bombenabwurf. Sie sieht eine Person auf dem Bildschirm und geht davon aus, diese Person selbst zu sein und wirft die Bombe ab. Die gesehen Person war nun aber leider jemand anderes. Ist das Delikt dann nur 222 fahrlässige Tötung, da die ursprünglich geplante Haupttat ja straflos gewesen wäre (Selbsttötung), oder gäbe es da noch etwas zu beachten? Besten Dank im Voraus!


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