Strafrecht

Strafrecht Allgemeiner Teil

Subjektiver Tatbestand

Tötungsvorsatz bei objektiv äußerst gefährlicher Handlung – Abgrenzung Eventualvorsatz/ bewusste Fahrlässigkeit

Tötungsvorsatz bei objektiv äußerst gefährlicher Handlung – Abgrenzung Eventualvorsatz/ bewusste Fahrlässigkeit

3. Dezember 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

Auf einer Party berührt der betrunkene B mit einer brennenden Zigarette das T-Shirt des Z. Es wird kaum sichtbar beschädigt. Aus Rache bringt Z den B auf dem Nachhauseweg zu Fall und stranguliert ihn mit seinem Gürtel 3 bis 5 Minuten. B stirbt an der dadurch verursachten Gehirnschwellung.

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Einordnung des Falls

Tötungsvorsatz bei objektiv äußerst gefährlicher Handlung – Abgrenzung Eventualvorsatz/ bewusste Fahrlässigkeit

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Bei objektiv äußerst gefährlichen Handlungen (hier: längeres Strangulieren) liegt die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes (§ 212 StGB) nahe.

Ja!

Die hM nimmt die Abgrenzung Vorsatz / Fahrlässigkeit anhand des voluntativen Elements vor: Der Täter hat bedingten Vorsatz, wenn er den Erfolg ernsthaft für möglich hält und sich mit ihm abfindet. (Ernstnahmetheorie der hL) bzw. den als möglich erkannten Erfolg billigend in Kauf nimmt (Billigungstheorie der Rspr.). Dabei müssen beide Elemente der inneren Tatseite, sowohl das Wissens- als auch das Willenselement, umfassend geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Ein Schluss von der (vom Vorsatz umfassten) Lebensgefährlichkeit des Handelns auf bedingten Tötungsvorsatz ist möglich. Zugleich ist aber eine Gesamtbetrachtung der Tat unter Einbeziehung aller – auch über den Gefahrengrad der Handlung hinausgehenden – Umstände erforderlich.
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2. Liegen keine Umstände vor, die ein Vertrauen des Z begründen können, der Tod des B werde nicht eintreten, ergibt sich aus dem Sachverhalt eindeutig die Billigung des Todes durch Z.

Genau, so ist das!

BGH: Indem Z den B über eine außerordentlich lange Dauer von 3 bis 5 Minuten stranguliert habe, habe Z nicht nur eine das Leben gefährdende Handlung vorgenommen, sondern sein Opfer in einer Weise verletzt, die ganz sicher – einem Stich ins Herz vergleichbar – zum Tod führte. Damit habe die Drosselung ihre Eignung als bloße Verletzungshandlung vollständig verloren und nur noch zur Tötung des Opfers führen können. In derartigen Konstellationen liege bedingter Tötungsvorsatz auf der Hand. Z habe in Kenntnis der äußerst gefährlichen Tatausführung aus nichtigem Anlass eine auf die Herbeiführung des Todes gerichtete Gewalthandlung vorgenommen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

LEO

Leo

8.8.2020, 15:26:53

Gilt bei nicht eindeutigen Aussagen im Sachverhalten nicht der Grundsatz: in dubio pro reo ?

Christian Leupold-Wendling

Christian Leupold-Wendling

8.8.2020, 22:58:15

Hi Leo, sehr, sehr gute Frage! Die Antwort ist: nein. Jedenfalls zB nicht, wenn Du das auf den

Vorsatz

beziehst. „Bei dem Zweifelssatz "in dubio pro reo" handelt sich nicht um eine Beweisregel, die den Tatrichter dazu zwingen würde, von m

ehre

ren möglichen Schlussfolgerungen stets die für den Angeklagten günstigste zu wählen. Erst dann, wenn nach Abschluss der Beweiswürdigung noch Zweifel bestehen, die der Tatrichter nicht zu überwinden vermag, hat er zugunsten des Angeklagten zu entscheiden.“ (Leitsatz BGH 2 StR 198/06 - 30. August 2006)

Christian Leupold-Wendling

Christian Leupold-Wendling

8.8.2020, 22:58:38

Wir werden dazu mal ein paar Fälle und Aufgaben machen.

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

10.8.2020, 18:43:53

Hallo Leo, danke auch von mir für deine wichtige Frage. Der Grundsatz "in dubio pro reo" ("im Zweifel für den Angeklagten") ist ein essenzieller Grundsatz des deutschen Strafrechts. Er besagt, dass ein Richter einen Angeklagten ohne volle Überzeugung von seiner Schuld nicht verurteilen darf. Der Grundsatz ist bundesgesetzlich nicht ausdrücklich statuiert, wird aber nach ganz h.M. aus dem Rechtsstaatsprinzip in Art. 20 III GG hergeleitet. Auch findet er sich in Art. 6 EMRK und Art. 48 I GRC. Das Wissen um diesen Grundsatz ist essentiell für das Verständnis des Strafrechts (insb. Strafprozess recht) im ersten und zweiten Examen und Fragen danach sind typisch für eine mündliche Prüfung.

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

10.8.2020, 18:49:34

Vermutlich hast du wegen der negativen Formulierung in der zweiten Frage ("Liegen keine Umstände vor, die ein Vertrauen des Z begründen können, der Tod des B werde nicht eintreten, ergibt sich aus dem Sachverhalt eindeutig die Billigung des Todes durch Z.") an diesen Grundsatz gedacht. Das hört sich beim ersten Lesen nach einem Widerspruch zu "in dubio pro reo" an. Allerdings ist das Drosseln / Strangulieren eines anderen mit einem Gürtel über mehr als 3 min. eine so offensichtlich todesgefährliche Handlung, dass der Täter nicht mehr nur mit einer Körperverletzung, sondern mit der Todesverursachung rechnen muss. Das ist vergleichbar mit einem Stich ins Herz oder in die Hauptschlagader bzw. einem Schuss auf den Kopf des Opfers.

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

10.8.2020, 18:55:41

Da ein Richter einem Täter nicht "in den Kopf schauen kann" was dieser bei der Tat gedacht hat (anders bei Fällen an der Uni), muss dieser aus Anhaltspunkten, wie der Gefährlichkeit der Tat herleiten, ob ein Täter Tötungs

vorsatz

hatte. Bei einer solch gefährlichen Tat wie hier, ist die Annahme zumindest bedingten Tötungsvosatzes viel naheliegender als ein Vertrauen des Täters darauf, dass der Tod ausbleiben werde (Fahrlässigkeit). Liegen nun keine Anhaltspunkte vor, die gegen ein vorsätzliches Handeln sprechen, ist davon auszugehen, dass der Täter wusste, dass durch die Strangulation das Opfer sterben würde und er sich auch damit abfand (= es billigend in Kauf nahm.) Dann bestehen keine Zweifel am Tötungs

vorsatz

mehr, die zur Anwendung des Grundsatzes "in dubio pro reo" führen würden.

Isabell

Isabell

9.5.2021, 14:51:26

Wenn ich den Grundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten" richtig verstanden habe, hat er auch gerade nicht zur Folge, dass im Zweifel die für den Angeklagten günstige Variante (als bewiesen) angenommen wird, sondern man den Punkt eben offen lassen muss. Diese Bewertung wird erst ganz am Schluss vorgenommen, wenn es um die Beweiswürdigung geht.

IUS

iustus

15.2.2021, 17:07:56

Kann man hier nicht sogar von einem Mord aus niederen Beweggründen ausgehen? Immerhin steht seine Rachsucht am zerstörten Shirt dem Leben des B entgegen.

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

15.2.2021, 19:05:20

Hallo iustus, ich würde sagen, da ist beides vertretbar. Ist die Frage ob er den B wegen einer, objektiv nicht zu verstehenden, Belanglosigkeit getötet hat. In Betracht käme möglicherweise auch Heimtücke, wenn B arg- und deswegen wehrlos war (zB Attacke von hinten, liegt bei dem Bild nahe). Aber es kam uns hier nicht auf die Mordmerkmale, sondern auf den Tötungs

vorsatz

an. LG ;)

PET

Petrus

15.4.2022, 20:43:06

Hier wird die ganze Zeit davon geredet, dass man aus der objektiven Gefährlichkeit der Handlung auf den

Vorsatz

schließen kann. Meines Wissens aber besagt die Hemmschwellentheorie aber genau das Gegenteil, dass man eben nicht aus der objektiven Gefährlichkeit vorschnell auf den Tötungs

vorsatz

schließen darf. Irre ich mich?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

19.4.2022, 17:15:48

Hallo Petrus, herzlich willkommen im Forum und vielen Dank für die Nachfrage. Hier sind zwei unterschiedliche Punkte zu trennen. Zum einen handelt es sich bei dem

Vorsatz

um ein subjektives Tatbestandsmerkmal. Was der Täter sich im Zeitpunkt seines Handelns tatsächlich gedacht hat, kann im ersten Examen schlicht dem Sachverhalt entnommen werden. In der Realität ist das anders. Hier müssen die Gerichte diese subjektive Seite erst einmal ermitteln. Allein auf die Aussage des/der Täter:in kann man sich dabei nicht verlassen, da diese/r häufig Schutzbehauptungen aufstellen wird. Deshalb greift man hierbei auf die objektiven

Tatumstände

zurück. Ist eine Handlung besonders gefährlich, so genügt es für die Ablehnung von

Eventualvorsatz

in der Regel nicht, wenn der Täter schlicht sagt, er habe auf einen guten Ausgang vertraut. Nun zu der von Dir angesprochenen "Hemmschwellentheorie". Diese wurde früher von dem BGH entwickelt und besagte im Kern nichts anderes, als das man bei Tötungsdelilkten noch einmal besonders sorgfältig prüfen solle, ob tatsächlich ein entsprechender

Vorsatz

vorliege. Begründet wurde dies mit der "natürlichen Hemmschwelle" über die jeder Mensch von Natur aus im Hinblick auf Tötungen verfüge. Diese Theorie wurde recht lebhaft kritisiert und auch der BGH hat sich zwischenzeitlich von ihr distanziert. Der pauschale Hinweis auf eine erhöhte Hemmschwelle zur Ablehnung des

Vorsatz

es sei regelmäßig ungenügend (vgl. BGH, Urt. v. 22.03.2012 - AZ 4 StR 558/11) Bei Tötungsdelikten gilt insofern wie bei allen anderen Delikten auch, dass die Tatsacheninstanz sorgfältig und Berücksichtigung aller Tatsachen ermitteln müssen, ob ein entsprechender (Eventual-)

Vorsatz

vorliegt. Kann dieser nicht mit der hinreichenden Sicherheit festgestellt werden, so gilt zugunsten des Angeklagten die Unschuld

vermutung

. Dann ist lediglich aus dem Fahrlässigkeitsdelikt zu bestrafen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

DeliktusMaximus

DeliktusMaximus

11.8.2022, 15:06:21

Spielt die Hemmschwelletheorie in solchen Fällen keine Rolle?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

13.8.2022, 12:41:58

Hallo DeliktusMaximus, die Hemmschwellentheorie gilt heute als überholt. Vielmehr hat man erkannt, das ein gefährliches Handeln eher umgekehrt dafür spricht, dass der Täter eine etwaige Tötungshemmung überwunden hat. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

DeliktusMaximus

DeliktusMaximus

13.8.2022, 12:48:15

Hallo Nora, danke für die Antwort. Kannst du mir sagen, seit wann die Hemmschwelletheorie vom BGH abgelegt in etwa wurde?

FABY

Faby

20.4.2023, 15:20:10

@[DeliktusMaximus](178154) Schau mal hier zu dem Fall in dem anderen Thread die Antwort von Lukas. Lukas hatte da noch etwas zur Hemmschwellentheorie ausgeholt und nannte auch folgendes BGH-Urteil vom 22.03.2012: Az. 4 StR 558/11.

Sambajamba10

Sambajamba10

2.6.2023, 11:59:54

Hier wurde der Hemmschwellen Theorie eine klare Absage erteilt: BGHst 57, 183, 189

RAP

Raphaeljura

22.4.2023, 01:57:27

Eine Frage zur objektiven Gefährlichkeit. Steine schmeißen auf die Autobahn oder das minutenlange Strangulieren genügen für die Annahme. Kann bei der Abwägung alles miteinbezogen werden? Zb dass der Angreifer ein Kampfsportler ist?

EB

Elias Von der Brelie

11.5.2023, 20:55:31

Solange es logisch relevant für den Tatbestand ist. Zum Beispiel hab ich nen Fall gelesen wo die drastische Selbstverteidigung des Opfers gerechtfertigt war, weil der Angreifer ein geübter Kampfsportler war, und somit die Abwehr auf andere Weise als weniger effektiv einzustufen war.

INDUB

InDubioProsecco

1.6.2023, 10:54:54

Zwei Fragen: 1) Hier handelt es sich m. E. um eine Frage tatsächlicher Natur, nicht rechtlicher Natur. Wird so etwas im ersten Examen regelmäßig abgefragt? 2) Nähert man sich mit der Annahme bzw. einem Rückschluss auf einen

Vorsatz

aufgrund "objektiver Gefährlichkeit" nicht einem normativen Begriff des

Vorsatz

es i. S. d. § 15 StGB an? Ich habe es so gelernt, dass sich die ganz h. M. der Bildung eines normativen

Vorsatz

begriffs verwehrt.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

2.6.2023, 12:57:15

Hallo InDubioProsecco, zu 1) im ersten Examen werden in der Regel noch stärkere/eindeutigere Hinweise (billigend in Kauf genommen/hat auf ein Ausbleiben vertraut) vorliegen. Spätestens im zweiten Examen musst Du dann allerdings aus einem Strauß von objektiven und subjektiven Anhaltspunkten auf die subjektive Tatvorstellung des Täters schließen. Für die Klausur im zweiten Examen hilft dabei die Kommentierung im Fischer-Kommentar zum StGB (Fischer, StGB, § 15 StGB, RdNr. 9ff.). zu 2): In der Tat liegt der Bestimmung des

Vorsatz

kein rein normatives Verständnis zugrunde. Das heißt es wird nicht allein aus der Tat der Wille des Täters abgeleitet. Insofern besteht auch kein Automatismus, das bei einer besonders gefährlichen Tat stets auch

Vorsatz

vorliegen muss. Gerade der Umstand, dass es sich beim

Vorsatz

aber um ein rein subjektives Element handelt, macht es zwingend nötig, eine Vielzahl von objektiven Faktoren heranzuziehen um auf den Willen zu schließen. Ansonsten müsste man sich allein auf die Aussage des Täters verlassen (der wird natürlich stets sagen, er habe das nicht gebilligt). Besonders schön deutlich wurde das erst jüngst in den Berliner Raser Urteilen. Es bleibt also eine

Einzelfall

abwägung. Beste Grüße, Lukas -für das Jurafuchs-Team


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