Strafrecht

Strafrecht Allgemeiner Teil

Subjektiver Tatbestand

Abgrenzung Eventualvorsatz/ bewusste Fahrlässigkeit („Berliner Raserfall“)

Abgrenzung Eventualvorsatz/ bewusste Fahrlässigkeit („Berliner Raserfall“)

22. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
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Klassisches Klausurproblem

Spontan starten H und N um 0:40 Uhr ein Autorennen in der Berliner City West. Bei stetiger Beschleunigung missachten sie alle roten Ampeln. An der Kreuzung Tauentzien-/Nürnberger Straße prallt H mit 170 km/h gegen den von rechts kommenden, vorfahrtsberechtigten Jeep des W. Beim Einfahren in die Kreuzung hatte H keinerlei Reaktionsmöglichkeit mehr, um eine Kollision zu verhindern. W stirbt.

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Einordnung des Falls

Abgrenzung Eventualvorsatz/ bewusste Fahrlässigkeit („Berliner Raserfall“)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Es gibt einen Erfahrungssatz, nach dem Personen, die an Wettfahrten teilnehmen, mit bedingtem Tötungsvorsatz (§ 212 Abs. 1 StGB) hinsichtlich anderer Verkehrsteilnehmer handeln.

Nein, das trifft nicht zu!

Die Feststellung, ob jemand vorsätzlich gehandelt hat, muss immer einzelfallbezogen erfolgen. BGH: Eine generalisierende Betrachtung – etwa in Gestalt von Erfahrungssätzen, denen zufolge bei einem bestimmten Personenkreis oder einer bestimmten Vorgehensweise grundsätzlich eine vorsätzliche Tatbegehung zu bejahen oder zu verneinen wäre – sei unzulässig. Dies gelte auch für die Frage des Vorliegens eines Tötungsvorsatzes bei Angehörigen der „Raserszene“ (RdNr. 30).
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2. Wenn H den bedingten Tötungsvorsatz gefasst hatte, als er mit Vollgas bei Rot in die Kreuzung Tauentzien-/Nürnberger Straße eingefahren war, ist der subjektive Tatbestand des Totschlags erfüllt (§ 212 Abs. 1 StGB).

Nein!

So hatte das LG Berlin in der Vorinstanz argumentiert. BGH: Ginge man davon aus, dass H erst beim Einfahren in die Kreuzung bedingten Tötungsvorsatz gefasst habe, sei eine vorsätzliche Tötung nur dann zu bejahen, wenn H nach diesem Zeitpunkt noch eine Handlung vorgenommen habe, die für den tödlichen Unfall ursächlich war. H sei jedoch bereits beim Einfahren in die Kreuzung mit Vollgas absolut unfähig gewesen, noch zu reagieren. Ob der Tötungsvorsatz in einem Zeitpunkt vorlag, als die tödliche Kollision bereits nicht mehr zu verhindern war, sei rechtlich bedeutungslos (RdNr. 14f.)

3. Bei riskanten Verhaltensweisen im Straßenverkehr kann eine vom Täter als solche erkannte Eigengefährdung dafürsprechen, dass er auf einen guten Ausgang vertraut hat.

Genau, so ist das!

BGH: Zwar existiere keine Regel, wonach es einem Tötungsvorsatz entgegensteht, dass mit der Vornahme einer fremdgefährdenden Handlung auch eine Eigengefährdung einhergehe. Der Tatrichter müsse sich aber bei riskanten Verhaltensweisen im Straßenverkehr, die nicht von vornherein auf die Herbeiführung eines Unfalls angelegt sind, einzelfallbezogen damit auseinandersetzen, ob und in welchem Umfang aus Sicht des Täters aufgrund seines Verhaltens eine Gefahr auch für sein eigenes Leben drohte und er deshalb auf einen guten Ausgang vertraute. Wesentliche Indizien seien das vom Täter genutzte Verkehrsmittel und konkret drohende Unfallszenarien (RdNr. 21).

4. Raser fühlen sich erfahrungsgemäß in ihren tonnenschweren, stark beschleunigenden Autos geschützt wie in einem Panzer und blenden jegliches Risiko für sich selbst aus.

Nein, das trifft nicht zu!

BGH: Ein Erfahrungssatz, nach dem sich ein bestimmter Typ Autofahrer in einer bestimmten Art von Fahrzeug grundsätzlich sicher fühle und jegliches Risiko für sich selbst ausblende, existiere nicht. Angesichts der hier objektiv drohenden Unfallszenarien – Kollisionen an einer innerstädtischen Kreuzung mit anderen PKW oder Bussen – verstehe sich dies auch nicht von selbst (RdNr. 24). Anders noch das LG Berlin, das davon ausgegangen war, dass dieser Umstand dafür spreche, dass H auch einen etwaigen Unfall in Kauf genommen hat und somit bedingt vorsätzlich handelte. Der BGH hat den Fall aufgrund der unzureichenden Feststellungen über den Vorsatz zunächst an das Landgericht zurückverwiesen. Nachdem das Landgericht hier nachgebessert hat, wurde letztlich die Verurteilung des H wegen Mordes vom BGH nicht mehr beanstandet (BGH, Urteil vom 18. Juni 2020 – 4 StR 482/19 – findest Du in unserer aktuellen Rechtsprechung.
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