Strafrecht
Strafrecht Allgemeiner Teil
Subjektiver Tatbestand
Abgrenzung Eventualvorsatz/ bewusste Fahrlässigkeit („Berliner Raserfall“)
Abgrenzung Eventualvorsatz/ bewusste Fahrlässigkeit („Berliner Raserfall“)
18. April 2025
27 Kommentare
4,7 ★ (63.990 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Spontan starten H und N um 0:40 Uhr ein Autorennen in der Berliner City West. Bei stetiger Beschleunigung missachten sie alle roten Ampeln. An der Kreuzung Tauentzien-/Nürnberger Straße prallt H mit 170 km/h gegen den von rechts kommenden, vorfahrtsberechtigten Jeep des W. Beim Einfahren in die Kreuzung hatte H keinerlei Reaktionsmöglichkeit mehr, um eine Kollision zu verhindern. W stirbt.
Diesen Fall lösen 52,3 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Abgrenzung Eventualvorsatz/ bewusste Fahrlässigkeit („Berliner Raserfall“)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Es gibt einen Erfahrungssatz, nach dem Personen, die an Wettfahrten teilnehmen, mit bedingtem Tötungsvorsatz (§ 212 Abs. 1 StGB) hinsichtlich anderer Verkehrsteilnehmer handeln.
Nein, das trifft nicht zu!
Jurastudium und Referendariat.
2. Wenn H den bedingten Tötungsvorsatz gefasst hatte, als er mit Vollgas bei Rot in die Kreuzung Tauentzien-/Nürnberger Straße eingefahren war, ist der subjektive Tatbestand des Totschlags erfüllt (§ 212 Abs. 1 StGB).
Nein!
3. Bei riskanten Verhaltensweisen im Straßenverkehr kann eine vom Täter als solche erkannte Eigengefährdung dafürsprechen, dass er auf einen guten Ausgang vertraut hat.
Genau, so ist das!
4. Raser fühlen sich erfahrungsgemäß in ihren tonnenschweren, stark beschleunigenden Autos geschützt wie in einem Panzer und blenden jegliches Risiko für sich selbst aus.
Nein, das trifft nicht zu!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Vinsch
29.1.2020, 08:14:01
Das BGH hat den Fall aufgrund von Formfehlern des LG Berlin zurückverwiesenen. Nicht aufgrund der Argumentation.
GingerCharme
9.4.2020, 10:53:24
Ich habe das Urteil gerade lesen und kann deinen Kommentar nicht nachvollziehen. Im Urteil steht glasklar (frei gesagt): Auf die
Verfahrensrügen kommt es gar nicht mehr an, da die Entscheidung des LG Berlin schon sachlich-rechtliche Mängel aufweist. Und dann wird genauso argumentiert, wie es die Lösung hier darstellt. Die Fragen sind etwas tricky, da man gezielt dieses Urteil relativ genau kennen muss, aber wieso hier vertreten wird die Lösungen seien falsch erschließt sich mir nicht. Lasse mich gerne aufklären wenn ich etwas übersehe, dass zitierte BGH-Urteil scheint mE nach jedoch fehlerfrei übernommen worden zu sein.

PascalW
4.2.2020, 14:02:04
Überprüft bitte erst die BGH Entscheidung, bevor ihr hier Behauptungen aufstellt.

Lukas_Mengestu
30.4.2021, 12:34:22
Hallo Pascal, könntest Du das noch etwas genauer ausführen? Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Zavviny
19.9.2020, 15:18:19
Sehr umstrittener Fall. Finde es problematisch, die Urteile des BGH, als unumstößlich darzustellen . Nicht vollkommen zu unrecht und ohne Sachverstand hat das LG Berlin zunächst auf Mord plädiert.

Fahrradfischlein
12.4.2021, 16:36:14
Hier wird nix als unumstößlich dargestellt. In der Ausbildung (und letztendlich ja auch in der Praxis) hat die Meinung des BGH sehr viel Gewicht für die Falllösung. Laut vorangegangener Kommentare hat sich Jurafuchs wohl deshalb dafür entschieden grundsätzlich der Meinung des BGH zu folgen. Es gibt aber etliche Fälle hier in denen im Antworttext erläutert ist, dass die Meinung des BGH teilweise sehr umstritten und kritikwürdig ist.

Lukas_Mengestu
30.4.2021, 12:22:21
Hallo Zaviniy, vielen Dank für Deinen Hinweis. Es tut mir leid, wenn Du den Eindruck gewonnen hast, dass wir Urteile des BGH als unumstößliche Wahrheit wiedergeben. Das ist weder unser Anspruch, noch unsere Zielsetzung. Denn eine absolute Wahrheit gibt es in der Juristerei nie. In der Tat liegt aber unseren didaktischen Kursen die Auffassung des BGH regelmäßig zugrunde, da die Lösungsskizzen der Klausuren in der Regel darauf aufbauen und die Praxis sich daran maßgeblich orientiert. Sofern es aber starke abweichende Stimmen gibt (zB Verhältnis Mord u. Totschlag; Abgrenzung räuberische
Erpressungu. Raub), bemühen wir uns auch diese ausreichend darzustellen. Bei der aktuellen Rechtsprechung geht es insoweit auch nicht um die Vermittlung absoluter Wahrheit.

Lukas_Mengestu
30.4.2021, 12:28:07
Vielmehr ist auch hier das Ziel, die Gründe der jeweiligen Entscheidung nachvollziehbar zu skizzieren und zu vermitteln, wie der BGH zu seiner Lösung kam. Dass man dies auch anders sehen kann, wird aus unserer Sicht auch insofern deutlich, dass wir deutlich machen, dass das Landgericht es anders gesehen hat. Wir haben jetzt zudem noch als Vertiefung mit aufgenommen, dass es im weiteren Verfahrensgang letztlich doch zu einer Verurteilung wegen Mordes kam. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Gigachad1
6.4.2024, 02:26:54
"Ohne Sachverstand" ist deine Meinung, aber zu unterstellen das LG Berlin UND der BGH der die Entscheidung mehrfach bestätigt hat haben keinen Sachverstand ist gewagt.

Rüsselrecht 🐘
16.5.2021, 22:15:07
Ich habe eine Frage zur Abgrenzung der bewussten Fahrlässigkeit und der Eigengefährdung als
vorsatzkritisches Element. Würde z.B. der Täter ein Motorrad fahren, so hat der BGH (https://www.hrr-strafrecht.de/hrr/4/17/4-311-17.php) die vorgestellte Gefahr einer schweren Verletzung des Fahrers als
vorsatzkritisches Element anerkannt und fahrlässige Tötung angenommen. Im
Berliner Raserfallwird dazu allerdings nur dünn ausgeführt, dass die vorgestellte Gefahr in Form eines Aufpralls mit Dritten wegen der Airbags für den Täter gering sei und die vorgestellten Eigengefährdung nicht den
Vorsatzausschließt. Was unterscheidet die Fälle bezüglich der Beurteilung der Eigengefährdung voneinander?

Lukas_Mengestu
17.5.2021, 16:43:39
Hallo Fantomaus, vielen Dank für Deine Frage! Bei der Prüfung muss man sich zunächst klar machen, dass der BGH selbst den
Vorsatznicht feststellt, sondern lediglich überprüft, inwieweit die Begründung der Vorinstanz nachvollziehbar und begründet ist. Das heißt, es kommt maßgeblich auf die Umstände des Einzelfalls an. Der BGH selbst hat in dem von dir zitierten Urteil den Maßstab in Rn. 22 auch noch einmal deutlich gemacht: "So kann bei riskanten Verhaltensweisen im Straßenverkehr, die nicht von vornherein auf die Verletzung einer anderen Person oder die Herbeiführung eines Unfalls angelegt sind, eine vom Täter als solche erkannte Eigengefährdung dafür sprechen, dass er auf einen guten Ausgang vertraute. Dementsprechend muss sich der Tatrichter beim Vorliegen einer solchen Konstellation einzelfallbezogen damit auseinandersetzen, ob und in welchem Umfang aus Sicht des Täters aufgrund seines Verhaltens eine Gefahr (auch) für seine eigene körperliche Integrität drohte. Hierfür können sich wesentliche Indizien aus den objektiven
Tatumständen ergeben, namentlich dem täterseitig genutzten Verkehrsmittel und den konkret drohenden Unfallszenarien." Die unterschiedlichen Verkehrsmittel (Motorrad vs. Auto) und die deutlich höhere Verletzungswahrscheinlichkeit eines Motorradfahrers stellen für sich genommen somit bereits ein Indiz dar, welches eine unterschiedliche Bewertung rechtfertigen kann. Der BGH hat insoweit die Einschätzung der Vorinstanz in seinem zweiten Raserurteil (Urt. v. 18.6.2020- BGH 4 StR 482/19) unbeanstandet gelassen, dass diese aufgrund der getroffenen Sachverhaltsfeststellungen zu dem Schluss kam, dass der Fahrer in dieser konkreten Situation sich hinreichend sicher gefühlt hat und nicht von einer hohen Eigengefährdung ausging, welche einen
Vorsatzausschluss begründen könnte. Letztlich ist auch an dieser Stelle das Ergebnis nicht in Stein gemeißelt und extrem einzelfallabhängig. Wichtig ist insofern in der Klausur, dass man sich mit den konkreten Umständen und Sachverhaltsangaben auseinandersetzt und darauf aufbauend sich dann letztlich für die Lösung entscheidet, für die man die besseren Argumente hat. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Rüsselrecht 🐘
17.5.2021, 16:49:31
Danke ☺️ Ich fand nur die Art und Weise der Begründung etwas seltsam und ohne konkreten Schluss. Ich denke aber, ich weiß nun wie der Hase laufen muss.
Vermouth
15.8.2023, 21:23:59
Also wurde H wegen Mordes verurteilt? Aber ich dachte er war nicht mehr Handlungsfähig und somit ist
Vorsatzausgeschlossen? Oder liege ich gerade falsch?
QuiGonTim
28.4.2024, 22:20:13
Liebes Jurafuchsteam, wenn ich diesen Fall richtig erinnere wurde damals hinsichtlich des
Vorsatzes auf einen früheren Zeitpunkt als jenen, in dem der Täter in die Kreuzung eingefahren war, abgestellt. Leider wird dies im vorliegenden Übungsfall nicht dargestellt. Dadurch wird es schwer erkennbar, warum der Täter wegen eines vorsätzlichen Tötungsdeliktes verurteilt wurde.

marimo
1.5.2024, 10:35:02
Das sehe ich auch so :')