Handlungen im Vorfeld der tatbestandlichen Ausführungshandlung / Aufsuchen
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
T möchte O töten. Nachts bricht er gewaltvoll in dessen Wohnung ein. O versteckt sich im hintersten Zimmer und schiebt eine schwere Couch vor die Tür. T braucht einige Zeit, um die Tür aufzubrechen. T stürmt darauf mit erhobenem Gewehr das Zimmer, um sofort auf O zu schießen. O ist mittlerweile durch das Fenster geflüchtet.
Einordnung des Falls
Handlungen im Vorfeld der tatbestandlichen Ausführungshandlung / Aufsuchen
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Der Versuch eines Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB) ist strafbar.
Diese Rechtsfrage lösen [...Wird geladen] der Jurist:innen in Studium und Referendariat richtig.
Ja, in der Tat!
2. T hat „Tatentschluss“ bezüglich eines Totschlags.
Diese Rechtsfrage lösen [...Wird geladen] der Jurist:innen in Studium und Referendariat richtig.
Ja!
3. Der BGH hat entschieden, dass T durch das Aufstemmen der Zimmetüre „unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt“ hat.
Diese Rechtsfrage lösen [...Wird geladen] der Jurist:innen in Studium und Referendariat richtig.
Genau, so ist das!
Fundstellen
Jurafuchs kostenlos testen

I-m-possible
4.7.2022, 06:36:14
Die Frage ist hier ob ein unmittelbares Ansetzen beim Aufstemmen der Türe vorliegt. Vorliegend ist hier von 2 Türen die Rede, so dass die Frage unpräzise ist, welche gemeint ist. Hier ist insoweit aber darauf abzustellen, dass ein solches Ansetzen bei der Beseitigung des letzten Hindernisses (2.Türe) gegeben ist. Ich würde dies schon bei der 1.Tür bejahen, da T auch den Überraschungsmoment ausnutzt.

Nora Mommsen
8.7.2022, 13:48:12
Hallo I-m-possible, wir haben die Frage präzisiert, sodass es nun verständlicher sein sollte. Für unmittelbares Ansetzen ist erforderlich, dass der Täter die Schwelle zum "jetzt geht es los" überschreitet und objektiv zur tatbetandsmäßigen Handlung ansetzt, sodass sein Tun ohne wesentliche Zwischenschritte in den Erfolg münden wird. Das Durchdringen der Wohnung, Auffinden des Opfers sowie in diesem Fall Aufstemmen einer weiteren Tür brauchen jeweils eigene Willensimpulse und sind somit wesentliche Zwischenakte. Hätte sich O also nicht unmittelbar hinter der Wohnungstür befunden, ist das unmittelbare Ansetzen bei dem Aufbrechen letzterer zu verneinen. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
indubiolaw
13.10.2022, 11:28:28
Könnte man in einer Klausur auch schreiben, dass er aber in jedem Fall durch das Ziehen der Waffe angesetzt hat, sodass es nicht darauf ankommt, ob bereits das Aufbrechen der Tür ausreicht?

Lukas_Mengestu
8.8.2023, 14:46:26
Hallo indubiolaw, in der Tat würdest Du in einer Klausur sämtliche Sachverhaltsinformationen heranziehen und insofern auch mit dem Zielen argumentieren können. Ob dann bereits das Aufbrechen der Tür ein unmittelbares Ansetzen darstellte, ist letztlich unerheblich, wenn der Täter im Anschluss noch eindeutiger die Versuchsschwelle überschritten hat. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Diaa
8.8.2023, 13:11:21
Bedarf eines solchen Falles in der Klausur einer Streitausführung oder kann es einfach angenommen werden?

Lukas_Mengestu
8.8.2023, 14:55:29
Hallo Diaa, zwar werden für die Abgrenzung zwischen strafbarem Versuch und strafloser Vorbereitung eine Reihe von Theorien vertreten (Zwischenaktstheorie, Spährentheorie, Feuerprobe...). Die einzelnen Theorien lassen sich allerdings nur bedingt voneinander trennen und werden von der Rechtsprechung im Wesentlichen auch kombiniert ("Ein unmittelbares Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung besteht in einem Verhalten des Täters, das nach seiner Vorstellung in ungestörtem Fortgang ohne weitere Zwischenakte zur - vollständigen - Tatbestandsverwirklichung führt oder im unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang in die Tatbestandsverwirklichung einmündet"). Die maßgebliche Aufgabe in der Klausur beim Kriterium des "unmittelbaren Ansetzens" ist deshalb vor allem, die entscheidenden Sachverhaltsinformationen unter diesen abstrakten Maßstab zu subsumieren. Wenn der Täter hier nur durch die Tür stürmt, ohne auf sein Opfer anzulegen, müsstest Du insofern argumentieren, ob das Anlegen/Zielen noch einen wesentlichen Zwischenschritt darstellt (dann Straflosigkeit) oder nicht (so der BGH: dann strafbarer Versuch). Es geht also in erster Linie um eine konkrete Argumentation und Anwendung des juristischen Maßstabes. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Diaa
8.8.2023, 20:11:15
Super, vielen Dank, lieber Lukas!