Strafrecht

Strafrecht Allgemeiner Teil

Versuch und Rücktritt

Unmittelbares Ansetzen bei Qualifikationstatbeständen 2

Unmittelbares Ansetzen bei Qualifikationstatbeständen 2

22. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

T möchte bei O stehlen. Er weiß nicht, wo dessen Wertsachen liegen und muss diese in der Wohnung bei O suchen. Er fährt zu O und tritt dessen Türe ein, um mit der Suche zu beginnen. Allerdings vertreibt ihn direkt der Nachbar von O.

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Einordnung des Falls

Unmittelbares Ansetzen bei Qualifikationstatbeständen 2

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der Versuch eines Wohnungseinbruchsdiebstahls (§§ 242 Abs. 1, 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB) ist strafbar.

Genau, so ist das!

Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt (§ 23 Abs. 1 StGB). Diebstahl ist ein Vergehen und daher nur im Versuch strafbar, da die Strafbarkeit ausdrücklich bestimmt ist (§§ 12 Abs. 2, 242 Abs. 2 StGB). Auch der Wohnungseinbruchsdiebstahl ist ein Vergehen und nur aufgrund von § 244 Abs. 2 StGB strafbar.
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2. T hat „Tatentschluss“ bezüglich eines Wohnungseinbruchsdiebstahls.

Ja, in der Tat!

Tatentschluss ist der subjektive Tatbestand des Versuchs. Er umfasst den auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale gerichteten Vorsatz sowie sonstige subjektive Tatbestandsmerkmale. Der Täter hat Tatentschluss, wenn er endgültig entschlossen ist, den Deliktstatbestand zu verwirklichen. Dabei wird zur bloßen Tatgeneigtheit abgegrenzt. T ist fest entschlossen einen Wohnungseinbruchsdiebstahl zu begehen.

3. T hat durch das Eintreten der Türe „unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt“ in Bezug auf den Diebstahl.

Nein!

Das objektive Tatbestandselement des Versuchs liegt im unmittelbaren Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung (§ 22 StGB). Das unmittelbare Ansetzen liegt vor, wenn der Täter subjektiv die Schwelle des „Jetzt-geht-es-los“ überschreitet und objektiv – unter Zugrundelegung seiner Vorstellung – Handlungen vornimmt, die bei ungestörtem Fortgang ohne wesentliche Zwischenschritte zur Tatbestandsverwirklichung führen oder mit ihr in unmittelbarem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen. Durch das Eintreten der Türe hat T nicht unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung bezüglich § 242 Abs. 1 StGB angesetzt. Die Tatbestandsverwirklichung des Diebstahls ist die Wegnahme, wobei wesentliche Zwischenschritte hier das Durchsuchen der Wohnung und das Finden von Wertgegenständen sind. Erst wenn T etwas findet und es wegnehmen möchte, setzt er unmittelbar an.

4. Das Ergebnis ändert sich dadurch, dass T gleichzeitig Tatentschluss bezüglich eines Wohnungseinbruchsdiebstahls hat.

Nein, das ist nicht der Fall!

Durch den erweiterten Tatentschluss darf die Versuchsstrafbarkeit nicht in das Vorbereitungsstadium vorverlegt werden. Das vorliegende Unrecht, nämlich das Betreten einer fremden Wohnung und das Eintreten der Türe, kann vollständig durch § 123 StGB und § 303 StGB abgebildet werden. Zu einem anderen Ergebnis würde man hier kommen, wenn T die Wohnung nicht erst durchsuchen müsste und nach dem Eintreten direkt den gewollten Gegenstand wegnehmen wollen würde. Dann wäre das Eintreten der Türe das Überschreiten der Schwelle zum „Jetzt-geht-es-los“.

5. T hat jedoch durch das Eintreten der Türe „unmittelbar angesetzt“ zu einem Wohnungseinbruchsdiebstahl.

Nein, das trifft nicht zu!

Einen Versuch des Grunddelikts zu verneinen, aber einen Versuch der Qualifikation zu bejahen, stellt einen systematischen Fehler dar. Teil der Qualifikation ist immer auch das Grunddelikt und der Täter muss zur Verwirklichung aller objektiven Tatbestandsmerkmale angesetzt haben. Auch stellt der Tatbestand eines Qualifikationstatbestandes ohne das Grunddelikt kein Unrecht dar. Die Qualifikation ist einzig eine Unrechtssteigerung gegenüber dem Grunddelikt. Zu bestrafendes Unrecht ist hier nicht der Wohnungseinbruchsdiebstahl, sondern einzig § 123 StGB und § 303 StGB.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Isabell

Isabell

12.10.2021, 09:09:09

Man könnte auf den Gedanken kommen, dass frühzeitige Eingreifen eine effektive Rechtsverfolgung behindert, statt sie zu ermöglichen 😅

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

5.12.2021, 02:00:28

Wobei es eher darauf ankommen sollte

Rechtsgüter

zu schützen und zu erhalten, als nachträglich deren Verletzung bestrafen zu wollen.

JOA

Joana

11.10.2023, 17:40:28

Ist der Fall nicht nach den Entscheidungen des BGH anders zu beurteilen? Nach der Entscheidung des 4. Senats BGH NStZ 2020, 353 und des 6. Senats BGH NStZ 2021, 537 liegt bereits beim unmittelbaren Ansetzen zur Verwirklichung eines Qualifikationsmerkmals der Versuchsbeginn vor. Nach den Entscheidungen des 5. Senats BGH NJW 2020, 2570 und BGH NStZ-RR 2020, 246 liegt zwar erst beim unmittelbaren Ansetzen zum Grunddelikt ein Versuchsbeginn vor, jedoch genüge hierfür bereits der Angriff auf den ersten Schutzmechanismus. Also würde meiner Meinung nach, das Auftreten der Türe ausreichen um das unmittelbare Ansetzen zu bejahen.

SH

Shilaw

9.4.2024, 16:23:18

Liebe Joana, in der Tat hat der BGh in der Entscheidng 2020, 353 das unmittelbare Ansetzen mit dem Einbrechen in die Wohnung bejaht. Jedoch war der Fall so gestaltet, dass der Täter davon ausging, unmittelbar an den Einbruch die Wegnahme anschließen zu können. Bei dem uns vorliegenden Fall ist dies nicht so: Der Täter muss erst noch nach

Tatobjekt

en suchen … Liebe Grüße :)

CR7

CR7

15.6.2024, 12:50:58

Ich kann Shilaw nur Recht geben!

Sassun

Sassun

31.10.2024, 14:50:22

Der BGH hat in seinem Urteil vom 12.12.2023 die in diesem Threat dargelegten Grundsätze ebenfalls angewandt. Konkret hatte der Tatplan durch das beabsichtigte fortlaufende Geschehen ebenfalls ein

unmittelbares Ansetzen

begründet, ohne dass eine zu suchende Beute dem entgegenstünde.

TI

Tinki

24.9.2024, 14:11:08

Hi! In der Klausur prüfe ich ja §§ 242 I, 244 I Nr. 3, IV, II, 22, 23 I direkt zusammen. Müsste ich dann im Rahmen des unmittelbaren Ansetzens klarstellen, dass es notwendig ist, dass T zum einfachen Diebstahl angesetzt hat, weil ohne dieses ein

unmittelbares Ansetzen

zu dem qualifizierenden Umstand nicht ausreicht?

Gruttmann

Gruttmann

26.9.2024, 15:16:04

Genau, weil der Grundtatbestand der 242 sonst nicht erfüllt wäre. Es kommt auf den Fall dann an inwiefern, ein Klausurschwerpunkt dort liegt, aber lieber etwas ausführlicher als zu schnell und unsauber. Also du könntest es auch unterteilen wie folgt: I Tatbestand 1. Tatentschluss a) b)… 2.

Unmittelbares Ansetzen

a) Zu § 242 .. b) Zu § 244 ..

LELEE

Leo Lee

28.9.2024, 12:43:43

Hallo Tinki, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! Wie Gruttmann bereits richtig angemerkt hat, muss tatsächlich zunächst zum Grundtatbestand – hier zum einfachen Diebstahl – angesetzt werden. Der qualifizierende Umstand, der hier in 244 I Nr. 3 liegt (Waffe oder gefährliches Werkzeug

bei sich führen

), kann nur in Verbindung mit dem Grundtatbestand geprüft werden. Das bedeutet, ein

unmittelbares Ansetzen

allein zur Qualifikation nicht ausreicht, da der qualifizierende Umstand auf dem Grunddelikt aufbaut. Deshalb musst du in deiner Prüfung klarstellen, dass T zum Grunddelikt des einfachen Diebstahls unmittelbar angesetzt haben muss. Erst mit diesem Ansetzen kann auch der qualifizierende Umstand des 244 I Nr. 3 zur Anwendung kommen. Es muss eine unmittelbare Gefährdung der

Rechtsgüter

aus dem gesamten Tatplan hervorgehen, was eben sowohl den Grundtatbestand als auch die Qualifikation umfasst. Hierzu kann ich i.Ü. ich die Lektüre vom Heger, Lackner/Kühl/Heger StGB 30. Auflage, § 244 Rn. 10 f. sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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