Keine Möglichkeit der Kenntnisnahme von AGB bei bloßem Hinweis, diese würden auf Wunsch kostenlos zugeschickt (§ 305 Abs. 2 BGB Nr. 2 BGB)


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

F und Handwerker H schließen einen schriftlichen Werkvertrag über die Errichtung von zwei privaten Ferienwohnungen. In § 5 des Vertrags weist H die F darauf hin, dass die VOB/B (Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen) Anwendung findet. Diese werd er F auf Wunsch kostenlos zugeschickt.

Einordnung des Falls

Keine Möglichkeit der Kenntnisnahme von AGB bei bloßem Hinweis, diese würden auf Wunsch kostenlos zugeschickt (§ 305 Abs. 2 BGB Nr. 2 BGB)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Bei der VOB/B handelt es sich um AGB.

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Ja!

AGB sind für eine Vielzahl von Verträgen formulierte Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei der anderen gestellt hat (§ 305 Abs. 1 S. 1 BGB). Die VOB/B enthält vom Gesetzgeber vorformulierte Vertragsbedingungen für Bauleistungen, die von H gegenüber F gestellt wurden. Es handelt sich daher um AGB. Zwischen Unternehmern unterliegt die VOB/B nach § 310 Abs. 1 S. 3 BGB bei Einbeziehung als Ganzes in der jeweils geltenden Fassung keiner inhaltlichen AGB-Kontrolle nach den § 307 Abs. 1, 2 sowie § 308 Nr. 1a und 1b.

2. H hat die F ausdrücklich auf die Geltung seiner AGB hingewiesen (§ 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB).

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Genau, so ist das!

Der Verwender muss den Vertragspartner ausdrücklich auf die AGB bei Vertragsschluss hinweisen (§ 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB). Solange der Hinweis ausdrücklich ist, ist es gleichgültig ob dieser schriftlich, mündlich, telefonisch oder elektronisch erfolgt. H hat die F mit dem Hinweis im schriftlichen Vertrag ausdrücklich auf die AGB hingewiesen.

3. H hat der F die Möglichkeit verschafft, in zumutbarer Weise von den AGB Kenntnis zu nehmen (§ 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB).

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Nein, das trifft nicht zu!

Der Verwender muss für die Einbeziehung der AGB die andere Vertragspartei nicht nur auf die AGB hinweisen, sondern ihr auch die Möglichkeit verschaffen in zumutbarer Weise von diesen Kenntnis zu nehmen. Dafür wird regelmäßig die unmittelbare Kenntnisnahme nötig sein, sodass es nicht ausreicht, wenn die andere Vertragspartei sich selbst darum kümmern muss, die AGB zu erhalten. F kann durch den Hinweis, dass die VOB/B ihr auf Wunsch kostenlos zugeschickt werden, nicht unmittelbar von dieser Kenntnis nehmen. Zudem ist davon auszugehen, dass sie nicht im Baurecht bewandert ist. H hat der F durch den Hinweis nicht die Möglichkeit zur Kenntnisnahme in zumutbarer Weise verschafft.

4. Die AGB werden erst einbezogen, wenn F sich diese kostenlos hat zuschicken lassen.

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Nein!

Die Einbeziehungsvoraussetzungen, also Hinweis, Kenntnisnahme und Einverständnis müssen im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorliegen. Da H der F im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht die Möglichkeit zur Kenntnisnahme der AGB in zumutbarer Weise verschafft hat, können diese später nicht mehr einbezogen werden.

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MA

Marius

26.5.2021, 21:34:06

Hier wird auf die VOB hingewiesen, aber es genügt nicht mangels konkreter Einsichtnahmemöglichkeit. Beim Waschanlagenfall ist es doch dasselbe unter der Prämisse, dass ja nicht jeder ein Smartphone hat. „Können Sie im Internet nachlesen“ erscheint mir gleich mit „können Sie im Gesetzestext nachlesen“.

DA

Daniel

11.8.2021, 14:26:42

Das habe ich auch gedacht, wobei mir der Vergleich mit dem direkt voranstellenden Fall noch naheliegender Erscheint. Warum wird dort von konkludentem Verzicht auf die Kenntnisnahme ausgegangen, wobei das Zusenden noch nicht mal angeboten wurde, während hier selbst bei ausdrücklichen Angebot des kostenlosen Zusendens ein solcher Verzicht nicht mal diskutiert wird?

Tekkie

Tekkie

23.9.2021, 09:58:39

Ja sehe ich genauso. Mal so, mal so, wie es gerade passt. 😁 Aber umso schöner ist’s ja dann das mit guter Begründung / Argumentation beides möglich sein kann.

N0

n00b

5.6.2022, 15:12:01

Hallo Jurafuchs Team. Ich würde es angebracht finden, zu den Einwänden meiner Vorredner Stellung zu beziehen. Teilweise erscheinen mir Aufgaben bis in nicht mehr vertretbare falsch gelöst. LG

IS

IsiRider

12.6.2022, 13:05:24

Feedback zum besseren Nachvollziehen wäre schön.

Antonia

Antonia

27.6.2022, 11:50:54

Ja, ich bin mir auch unsicher, warum diese Fälle so unterschiedlich gehandhabt wurden

EN

ehemalige:r Nutzer:in

3.7.2022, 13:05:12

Zu dem von Marius Geschriebenen: In dem Waschanlagenfall wurde einfach nur nicht bis 305 II Nr. 2 BGB geprüft. Die Fragen beschränkten sich (wohl aus didaktischen Gründen) auf die Prüfung des 305 II Nr. 1 BGB. Auch dort war die Kenntnisnahme aber unzumutbar. Zu dem von Daniel Geschriebenen: Der Unterschied zum vorherigen Fall ist, dass dort ein fernmündlichen Vertrag geschlossenen wurde, während es nun um einen schriftlichen Vertrag geht. Die Argumente der h.M. beziehen sich ja insb. darauf, dass ein telefonischer Vertragsschluss unter Einbeziehung von AGBs praktisch nicht mehr möglich wäre (sonst müssten immer ggf. seitenweise AGBs vorgelesen werden). Diese Erwägungen ziehen bei einem schriftlichen Vertragsschluss nicht.

QU

QuiGonTim

13.7.2022, 23:01:18

Der BGH führt in der zitierten Entscheidung wie folgt aus: „Die Möglichkeit der unmittelba­ren Kenntnisnahme hat für den Bauherrn eine andere Bedeutung, als wenn er sich auf seinen Wunsch selbst darum kümmern muß, die VOB/B zu erhalten, um seine Informationsmöglichkeiten zu wahren. Die ihm angediente Entschei­dung, ob er die Geschäftsbedingungen des Verwenders erst anfordern und dann kennenlernen will, verschiebt, wenn auch kaum merklich, die Gewichte zugunsten des Verwenders.“ Zwar stammt die Entscheidung aus dem Jahr 1999 und damit aus einer Zeit, als das AGB-Recht noch nicht im BGB zu finden war. Die Formulierung im damaligen, mittlerweile außer Kraft getretenen § 2 AGBG sind jedoch in den für den Fall wesentlichen Teilen wortgleich. Dem oben zitierten Teil der Entscheidung ist zu entnehmen, dass es im AGB-Recht vor allem um die (Wieder-)Herstellung des Kräftgleichgewichts zwischen Verwender und anderer Partei geht. Für den anderen Teil soll es möglichst einfach sein, von den AGB-Kenntnis zunehmen. Er soll sich keine unbekannten AGB aufzwingen lassen müssen. Darüber ist hinsichtlich des Merkmals der Zumutbarkeit eine umfassende Würdigung des Einzelfalls, der im Raum stehenden Interessen des anderen Teils und der wirtschaftlichen Bedeutung des Geschäfts vorzunehmen (vgl. MüKoBGB/Fornasier BGB § 305 Rn. 80). M.E. ist in diesem Licht auch die strittige Frage des Verzichts auf die Möglichkeit der Kenntnisnahme zu betrachten. So mag insbesondere bei telefonisch geschlossenen, geringwertigen Geschäften des täglichen ein Verzicht auf die Möglichkeit der Kenntnisnahme aus Gründen der Praktikabilität noch möglich sein. Je höher jedoch die wirtschaftliche Bedeutung des Vertragsschlusses und die damit einhergehenden Risiken für den anderen Teil sind, desto weniger ist eine Disponibilität des § 305 Abs. 2 Nr. 2 anzunehmen. In Fällen von Verbraucherverträgen ist diese Grenze besonders niedrig anzusetzen. Nur auf diese Weise kann ein angemessener Ausgleich zwischen der im wirtschaftlichen Verkehr erforderlichen Praktikabilität und dem Sinn und Zweck der Norm, dem Schutz der Interessen des anderen Teils, insbesondere des Verbrauchers, gefunden werden.

QU

QuiGonTim

13.7.2022, 23:08:33

Vorliegend geht es um einen Verbraucherwerkvertrag über die Errichtung von zwei Ferienwohnungen. Bei lebensnaher Sachverhaltsauslegung ist von einem Werklohn im mindestens höheren sechsstelligen Bereich auszugehen. Hinzukommen die mannigfaltigen Risiken für die Verbraucherin, die mit Bauprojekten üblicherweise einhergehen. Deshalb und weil es sich nicht um den besonderen Fall des telefonischen Vertragsschlusses handelt, ist § 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB als nicht disponibel anzusehen. Für F stellt das Anfordern der VOB/B einen wesentlichen Zwischenschritt zur Erlangung der Möglichkeit zur Kenntnisnahme dar. M.E. ist jedoch weitaus gewichtiger, dass H die VOB/B erst hätte versenden müssen. Nach einer aufgrund der besonderen Risiken für F notwendigen strengen Auslegung der Tatbestandsmerkmale hat H ihr also noch nicht die Möglichkeit zur Kenntnisnahme verschafft. Somit wird die VOB/B nicht als AGB in den Vertrag einbezogen. Ich hoffe, ich konnte zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen beitragen. :)

QU

QuiGonTim

13.7.2022, 23:19:43

Abseits des Falls noch ein interessanter Auszug aus der Entscheidung: „Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügt ein Hin­weis auf die VOB/B im Vertrag für eine wirksame Einbeziehung nur, wenn die Vertragspartei des Verwenders im Baurecht bewandert ist. Gegenüber Ver­tragsparteien, die im Baurecht nicht bewandert sind, wird die VOB/B nur wirk­sam einbezogen, wenn der Verwender seinem zukünftigen Vertragspartner die Gelegenheit einräumt, den vollen Text zur Kenntnis zu nehmen.“ Die Auffassung, dass der Verwender die Möglichkeit der Kenntnisnahme nicht verschaffen müsse, wenn er mit Sicherheit davon ausgehen könne, dass der andere Teil die AGB bereits kenne, vertritt der AGB auch außerhalb des Baurechts (vgl. NJW 2005, 1183, 1185).


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