Haftung für eigenes Verschulden I - Vorsatz

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Der eifersüchtige L leiht sich für seine Prüfung im Schuldrecht das neue BGB seines Kumpels K. Als er nach Abschluss der Prüfung sieht, wie sein Verlobter V und K gemeinsam Kaffee trinken, reißt er wütend einige Seiten aus dem BGB heraus und beginnt diese aufzuessen.

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Einordnung des Falls

Haftung für eigenes Verschulden I - Vorsatz

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K könnte gegen L einen Schadensersatzanspruch wegen des beschädigten BGBs haben (§§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB).

Ja!

Der Schadensersatzanspruch wegen Schutzpflichtverletzung setzt voraus, dass (1) ein (rechtsgeschäftliches oder gesetzliches) Schuldverhältnis besteht, (2) der Schuldner eine Schutzpflicht (§ 241 Abs. 2 BGB) verletzt hat, (3) er die Verletzung zu vertreten hat (§ 276 Abs. 1 BGB) und (4) dem Gläubiger ein Schaden entstanden ist.
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2. Zwischen K und L besteht ein rechtsgeschäftliches Schuldverhältnis in Form eines Leihvertrages (§ 598 BGB).

Genau, so ist das!

Zur Begründung eines rechtsgeschäftlichen Schuldverhältnisses ist grundsätzlich ein Vertrag zwischen den Beteiligten notwendig (§ 311 Abs. 1 BGB). Beim Leihvertrag ist der Verleiher verpflichtet, dem Entleiher den Gebrauch der Sache unentgeltlich zu gestatten. K und L haben sich geeinigt, dass K das BGB unentgeltlich für die Zeit seiner Prüfung nutzen darf.

3. L hat seine Pflicht, auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des K Rücksicht zu nehmen, gewahrt (§ 241 Abs. 2 BGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Den Leistungspflichten stehen die nicht leistungsbezogenen Schutzpflichten (auch Neben- oder Rücksichtnahmepflichten genannt) gegenüber. Jede Partei ist über die geschuldetenvertraglichen Pflichten hinaus, dazu verpflichtet, die Rechte, Rechtsgüter und Interessen der anderen Partei bei der Leistungserbringung zu berücksichtigen (§ 241 Abs. 2 BGB). L hat mehrere Seiten aus dem Buch herausgerissen und dadurch seine Schutzpflicht, Ks Eigentum sorgsam zu behandeln, verletzt.

4. Hat der Schuldner seine geschuldeten Leistungs- oder Schutzpflichten verletzt, so ist er immer schadensersatzpflichtig.

Nein!

Neben der Pflichtverletzung setzt die Schadensersatzpflicht stets voraus, dass der Schuldner diese auch zu vertreten hat. Der Schuldner hat Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten (§ 276 Abs. 1 BGB), wenn eine strengere oder mildere Haftung weder bestimmt noch aus dem sonstigen Inhalt des Schuldverhältnisses zu entnehmen ist . Das Merkmal „Vertretenmüssen“ ist das entscheidende Kriterium, das den Schadensersatz vom Rücktritt unterscheidet. Denn ein Rücktritt ist auch ohne das Erfordernis des „Vertretenmüssens“ möglich.

5. L hat die Schutzpflichtverletzung zu vertreten.

Genau, so ist das!

Der Schuldner hat grundsätzlich Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten (§ 276 Abs. 1 BGB). Vorsatz ist das Wissen und Wollen der Verwirklichung des objektiven Tatbestands. L hat in dem Bewusstsein, dass er dadurch Ks Eigentum beschädigen würde, absichtlich die Seiten aus Ks BGB gerissen und aufgegessen. Auch in so eindeutigen Fällen wie hier empfiehlt es sich, kurz zu erwähnen, dass zugunsten des Gläubigers vermutet wird, dass der Schuldner die Pflichtverletzung zu vertreten hat (§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB).

6. Indem L das BGB beschädigt hat, hat er K einen Schaden zugefügt.

Ja, in der Tat!

Ein Schaden ist jede unfreiwillig eintretende Beeinträchtigung des Vermögen (Vermögensschaden) oder anderer subjektiver Rechte (Nichtvermögens- oder immaterieller Schaden). Der zu ersetzende Schaden bestimmt sich aus der Differenz zwischen der hypothetischen Vermögenslage, wie sie ohne das schädigende Ereignis bestehen würde, und der tatsächlichen Vermögenslage (sog. Differenzhypothese, § 249 BGB). Durch das Herausreißen der Seiten hat sich der Wert des BGB deutlich vermindert und insoweit das Vermögen des K beeinträchtigt.

7. K hat gegen L einen Schadensersatzanspruch wegen des beschädigten BGBs (§§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB).

Ja!

Der Schadensersatzanspruch wegen Schutzpflichtverletzung setzt voraus, dass (1) ein (rechtsgeschäftliches oder gesetzliches) Schuldverhältnis besteht, (2) der Schuldner eine Schutzpflicht (§ 241 Abs. 2 BGB) verletzt hat, (3) er die Verletzung zu vertreten hat (§ 276 Abs. 1 BGB) und (4) dem Gläubiger ein Schaden entstanden ist. Zwischen K und L bestand ein Leihvertrag. Die hieraus resultierende Schutzpflicht hat L durch die vorsätzliche Beschädigung des BGB schuldhaft verletzt. Durch den Wertverlust des BGB hat K hat auch einen Vermögensschaden erlitten.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

frausummer

frausummer

26.1.2022, 08:17:49

Hätte man das Vorliegen eines Leihvertrages abgelehnt und ein

Gefälligkeitsverhältnis

angenommen, bliebe nur ein Anspruch aus § 823?

VIC

Victor

26.1.2022, 13:24:37

Auch dann müsste man kurz abgrenzen ob nicht ein

Gefälligkeit

sV vorliegt. Das wäre vom Rechtsbindungswillen abhängig. Verneint man jedoch den LeihV wird das auch eher abwegig sein. Dann liegt nur eine alltägliche

Gefälligkeit

ohne RBW vor. Dann greift richtigerweise § 823 I BGB und § 823 II iVm 303 StGB (da Vorsatz) und uU § 826

frausummer

frausummer

27.1.2022, 06:42:12

Die Abgrenzung dazu finde ich immer super schwierig. Wenn ich jemandem ein Buch

leihe

, würde ich persönlich halt nicht mit RBW handeln^^

QUIG

QuiGonTim

21.7.2022, 13:53:41

Fungiert die explizite, gesetzliche Regelung des Leihvertrages nicht als Auslegungsregel dahingehend, dass im Zweifel ein Schuldverhältnis anzunehmen ist?

QUIG

QuiGonTim

21.7.2022, 13:55:42

Wie verhält sich § 241 Abs. 2 BGB in diesem Fall zu § 603 S. 1 BGB. Müsste letzterer nicht nach dem Lex-sepicialis-Grundsatz Vorrang haben?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

11.8.2022, 10:53:22

Hallo QuiGonTim, Die Überschreitung des vertragsmäßigen Gebrauchsrechts ist Pflichtverletzung iSd § 280 Abs. 1 BGB. Der Ver

leihe

r kann deshalb Ersatz des aus der Pflichtverletzung entstandenen Schadens verlangen. Anspruchsgrundlage sind während des bestehenden Leihverhältnisses grundsätzlich § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2 BGB. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

LS2024

LS2024

12.4.2024, 11:17:16

Sehe ich auch so. Die Verletzte Pflicht muss wohl nicht zwangsläufig in der Anspruchsgrundlage genannt werden. Zumindest in der Aufgabe sollte sie allerdings genannt werden.

REDP

RedPrometheus

19.9.2022, 07:18:27

Liebe diesen Sachverhalt 😂

Skywalker

Skywalker

29.9.2023, 17:00:27

L ist zwar Eifersüchtig aber immerhin hat er das BGB verinnerlicht...

FAL

FalkTG

21.6.2024, 13:16:16

Könnte man nicht auch eine

Leistungspflicht

verletzung der Rückgabepflicht rügen?

Gerrit

Gerrit

21.6.2024, 22:04:32

Naja Rückgabe des BGB wäre ja grundsätzlich noch möglich und der Fall sagt ja nichts darüber aus, ob L sich geweigert hat das BGB zurückzugeben. Demnach wäre die Hauptpflicht hier nicht verletzt.

LELEE

Leo Lee

23.6.2024, 13:26:25

Hallo FalkTG, vielen Dank für die sehr gute Frage! Wie Gerrit richtigerweise angemerkt hat, isst der L zwar die Seiten auf, allerdings kann das BGB theoretisch noch zurückgegeben werden, weshalb die Rückgabepflicht noch möglich ist (und 283 nicht einschlägig). Wenn jedoch der L alle Seiten aufessen würde, könnte man in der Tat über einen SE wegen Unmöglichkeit nachdenken :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

JI

Jimmy105

13.8.2024, 10:38:31

Ich bin mir nicht sicher ob sie schon vorher gefallen war, aber bei dem Fall wäre eine Definition für Vermögen als zusätzlicher Hinweis hilfreich gewesen.


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