GS, Konkretisierung, Bringschuld

6. April 2025

21 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

T bestellt bei V 20 Trikots der Marke "Hattrick". Sie vereinbaren, dass V die Trikots am nächsten Tag 11 Uhr persönlich zur Wohnung der T bringt. Als V pünktlich erscheint, ist T nicht zu Hause. Daraufhin fährt V zurück. Auf der Rückfahrt werden die Trikots bei einem Unfall zerstört.

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Einordnung des Falls

GS, Konkretisierung, Bringschuld

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ts Anspruch auf Übergabe und Übereignung der Trikots ist entstanden (§ 433 Abs. 1 BGB).

Ja!

Bei Abschluss eines Kaufvertrages ist der Verkäufer verpflichtet, dem Käufer die Sache zu übergeben und das Eigentum an der Sache zu verschaffen (§ 433 Abs. 1 BGB). T und V haben einen Kaufvertrag über die 20 "Hattrick" Trikots abgeschlossen.
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2. Ob die Übergabe und Übereignung für V unmöglich ist (§ 275 Abs. 1 BGB), bestimmt sich nach der Art der vereinbarten Schuld.

Genau, so ist das!

Bei gegenstandsbezogenen Leistungspflichten hängt der Eintritt der Unmöglichkeit davon ab, ob noch ein geeigneter Leistungsgegenstand vorhanden ist. Dabei unterscheidet man Stück- und Gattungsschulden. Stückschuld liegt vor, wenn der Leistungsgegenstand individuell bestimmt wurde, also nur mit einem ganz bestimmten Gegenstand geleistet werden soll. Steht dieser nicht mehr zur Verfügung, so tritt Unmöglichkeit ein. Bei der Gattungsschuld (§ 243 Abs. 1 BGB) bestimmen die Parteien den Leistungsgegenstand bloß nach allgemeinen Merkmalen als Teil einer Gruppe von Gegenständen (Gattung). Vor der Konkretisierung (§ 243 Abs. 2 BGB) führt nur der Untergang der Gattung zur Unmöglichkeit.

3. T und V haben eine Stückschuld vereinbart.

Nein, das trifft nicht zu!

Eine Stückschuld liegt vor, wenn der Leistungsgegenstand individuell bestimmt wurde, also nur mit einem ganz bestimmten Gegenstand geleistet werden soll. Eine Gattungsschuld (§ 243 Abs. 1 BGB) liegt vor, wenn der Leistungsgegenstand bloß nach allgemeinen Merkmalen als Teil einer Gruppe von Gegenständen (Gattung) bestimmt ist.T hat bei V 20 Trikots der Marke "Hattrick" bestellt. Damit haben T und V die Leistung nur nach allgemeinen Merkmalen bestimmt und eine Gattungsschuld vereinbart.

4. Sofern V alles für seine Leistung Erforderliche getan hat, ist durch die Zerstörung der Trikots Unmöglichkeit eingetreten (§ 275 Abs. 1 BGB).

Ja!

Sofern der Schuldner alles zu seiner Leistung Erforderliche getan hat, so konkretisiert sich die Gattungsschuld (§ 243 Abs. 2 BGB). In der Konsequenz wird die Gattungsschuld ab dem Zeitpunkt der Konkretisierung behandelt wie eine Stückschuld. Geht der Leistungsgegenstand nach der Konkretisierung unter, so tritt also Unmöglichkeit ein (§ 275 Abs. 1 BGB).Man spricht hier auch von einem Übergang der Leistungsgefahr, also der Gefahr des zufälligen Untergangs des Leistungsgegenstandes. Bis zur Konkretisierung trägt diese der Schuldner, ab der Konkretisierung der Gläubiger.

5. Ab wann Konkretisierung eintritt, bestimmt sich nach der vereinbarten Leistungshandlung.

Genau, so ist das!

Mindestvoraussetzung der Konkretisierung ist die Auswahl und Aussonderung von Sachen mittlerer Art und Güte (§ 243 Abs. 1 BGB bzw. § 360 HGB). Im Übrigen ist der Ort, an dem die Leistungshandlung zu erbringen ist (Leistungsort bzw. Erfüllungsort), maßgeblich. Hierbei unterscheidet man zwischen Hol-, Bring- und Schickschuld. Bei der Bringschuld liegt der Leistungsort beim Gläubiger. Der Schuldner ist daher verpflichtet, dem Gläubiger die ausgewählte Sache an dessen Wohnsitz tatsächlich anzubieten. Achtung Verwechslungsgefahr! Leistungs- und Erfüllungsort sind Synonyme. Als Erfolgsort bezeichnet man dagegen den Ort, an dem der geschuldete Leistungserfolg (nicht die Handlung) eintritt.

6. V ist verpflichtet, die Trikots zu T nach Hause bringen. Es liegt eine Bringschuld vor.

Ja, in der Tat!

Der Leistungsort richtet sich in erster Linie nach der Vereinbarung der Parteien oder den Umständen des Schuldverhältnissen. Ist keine Vereinbarung getroffen und ergibt sich der Leistungsort auch nicht aus den Umständen, so muss der Schuldner die Leistungshandlung an seinem Wohnsitz (§ 269 Abs. 1 BGB) bzw. Gewerbesitz (§ 269 Abs. 2 BGB) vornehmen.T und V haben ausdrücklich vereinbart, dass V die Trikots zu T bringt. Damit soll die Leistung am Ort des Gläubigers erfolgen und die Parteien haben eine Bringschuld vereinbart.Bei der Bringschuld liegen der Leistungsort (Anbieten der Trikots) und der Erfolgsort (Übergang des Eigentums der Trikots) beide am Sitz des Gläubigers.

7. Indem V der T die Trikots pünktlich gebracht hat, hat er die geschuldete Gattungsschuld konkretisiert.

Ja!

Bei der Bringschuld tritt Konkretisierung ein, wenn der Schuldner die ausgesonderten Sache von mittlerer Art und Güte (§ 243 Abs. 1 BGB bzw. § 360 HGB) dem Gläubiger bringt und in annahmeverzugsbegründender Weise so anbietet, dass letzterer bloß noch zugreifen muss. Erforderlich ist hierfür ein tatsächliches Angebot (§ 294 Abs. 1 BGB). V und T haben vereinbart, dass V die Trikots am nächsten Tag 11 Uhr zu T bringt. Indem T zum vereinbarten Liefertermin nicht angetroffen werden kann, kommt es zur Konkretisierung (§ 243 Abs. 2 BGB). Ohne Liefertermin lägen die Voraussetzung für den Annahmeverzug dagegen nicht vor (vgl. § 299 BGB).

8. T kann von V Übergabe und Übereignung anderer "Hattrick"-Trikots verlangen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Nach der Konkretisierung der Gattungsschuld ist der Eintritt der Unmöglichkeit nach den gleichen Grundsätzen wie bei der Stückschuld zu beurteilen. Die Leistungspflicht beschränkt sich auf die Sache, an der der Schuldner das Erforderliche vorgenommen hat (§ 243 Abs. 2 BGB). Indem V alles zur Erfüllung seiner Leistung Erforderliche vorgenommen hat, hat V die geschuldete Gattungssschuld auf die ausgesonderten 20 Trikots beschränkt (§ 243 Abs. 2 BGB). Da diese bei dem Unfall zerstört wurden, ist Ts Anspruch auf Übergabe und Übereignung von 20 Trikots der Marke "Hattrick" untergegangen (§ 275 Abs. 1 BGB).V kann seinerseits aber Zahlung des Kaufpreises verlangen. Der Kaufpreisanspruch ist nicht erloschen (§ 326 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 BGB). Mehr dazu im Kapitel Annahmeverzug.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

QUIG

QuiGonTim

20.7.2022, 14:00:32

Auf die Gefahr hin, dass ich den kommenden Fällen vorgreife: Wie wäre der Fall zu beurteilen, wenn V und T keinen konkreten Zeitpunkt, sondern einen Zeitraum vereinbart haben (bspw. anstatt “um 11 Uhr” “zwischen 10 und 12 Uhr”? Genügt für die

Konkretisierung

der

Gattungsschuld

dann das einmalige Anbieten innerhalb dieses Zeitraums?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

11.8.2022, 09:32:50

Hallo QuiGonTim, bei Vereinbarung einer Abnahmefrist können vor deren Ablauf weder

Annahmeverzug

(§ 296) noch

Konkretisierung

eintreten. In dem von dir skizzierten Fall läuft die Abholfrist erst um 12 Uhr ab. Viele Grü´ße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Francesca

Francesca

8.11.2023, 06:23:39

Vielleicht ist dies eher eine Praxisfrage, aber muss der Schuldner „beweisen“, dass er bei einer

Bringschuld

am Wohn- bzw. Gewerb

esi

tz des Gläubigers war?

SE.

se.si.sc

8.11.2023, 08:15:21

Grundsatz ist, dass jede Partei diejenigen

Tatsachen

darlegen (und im Fall des Bestreitens durch die Gegenseite auch beweisen) muss, die die für sie günstig sind, also diejenigen

Tatsachen

, die die Voraussetzungen einer für sie günstigen Rechtsnorm erfüllen (st Rspr, etwa BGH NJW-RR 2010, 1378, 1379). Wenn der Schuldner sich also auf die Unmöglichkeit und damit darauf beruft, dass er nicht (mehr) leisten muss, muss er die Voraussetzungen der

Konkretisierung

und damit im vorliegenden Fall sein

tatsächliches Angebot

am Wohnsitz des Gläubigers nachweisen (Details dazu dann im Ref).

LS2024

LS2024

27.3.2024, 11:32:27

Hier wird doch der

Annahmeverzug

geprüft? Warum tauch das Wort “

Annahmeverzug

” in der Aufgabe nicht auf?

LELEE

Leo Lee

29.3.2024, 08:32:56

Hallo LS2024, vielen Dank für die sehr gute Frage! In der Tat wurde hier nicht nach dem „

Annahmeverzug

“ gefragt, weshalb es auf den ersten Blick komisch scheinen mag, dass dieser auf einmal erwähnt wird. Dies haben wir allerdings deshalb hinzugefügt, da die

Konkretisierung

bei einer

Bringschuld

fast schon „unzertrennlich“ mit der Frage des

Annahmeverzug

s zusammenhängt; denn für die

Konkretisierung

bei einer

Bringschuld

ist nämlich erforderlich, dass der Schuldner die Sache dem Gläubiger in einer den

Annahmeverzug

BEGRÜNDEN Weise anbietet (heißt also, dass er es so anbieten muss, sodass anderenfalls der Gläubiger in

Annahmeverzug

gerät). Mithin richtet sich das „Anbieten“ nach dem § 294, was auch eine zentrale Voraussetzung des

Annahmeverzug

s statuiert. Summa summarum heißt das also: Damit der Schuldner bei

Bringschuld

konkretisieren kann, muss er die Sache so anbieten, dass der Gläubiger als Konsequenz in

Annahmeverzug

gerät. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-BGB 9. Auflage, Emmerich § 243 Rn. 26 sehr empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

H. Schmidt von Church

H. Schmidt von Church

3.12.2024, 05:47:45

Hallo Leo, ich dachte ebenso wie du und verstehe deshalb absolut nicht, weshalb ich falsch lag: "Indem V der T die Trikots pünktlich gebracht hat, hat er die geschuldete

Gattungsschuld

konkretisiert" Diese Aussage stimmt. Diese Aussage stimmt doch aber eben nicht, weil das Angebot fehlt. Ich finde ohnehin, dass sich "pünktlich gebracht hat" so anhört, als wäre alles gut gelaufen. Er wollte ihm pünktlich (+) und am korrekten Ort(+) die richtigen Trikot(+) übergeben(-).

LUC1502

luc1502

15.10.2024, 19:30:18

könnte man hier auch die

Konkretisierung

auf §300 II BGB stützen? LG

LO

Lorenz

16.10.2024, 14:54:06

Ich würde sagen, dass der Rückgriff auf die Norm gar nicht nötig ist. Es wurde ja vertraglich vereinbart.

paulmachtexamen

paulmachtexamen

19.10.2024, 12:59:13

@[luc1502](95177) also in meinen Augen kann man das sehr wohl. Aus dem Gesetz ergibt sich nämlich kein Rangverhältnis von 243 II und 300 II, sodass man nicht sagen kann, dass 243 II vorgehe. Allerdings würde ich immer mit 243 II beginnen, da die Norm öfter als 300 II zur Anwendung kommt. 300 II hat nur eigenständige Bedeutung, wenn ein

tatsächliches Angebot

(294) nach 295 oder 296 entbehrlich ist. Dann kann nämlich eine

Konkretisierung

nach 243 II nicht eintreten. Das ist im vorliegenden Fall aber nicht gegeben. Nichtsdestotrotz würde ich in der Klausur stets beides ansprechen.

OKA

okalinkk

17.3.2025, 23:07:54

@[paulmachtexamen](210803) warum kann keine

Konkretisierung

nach 243 II eintreten, wenn ein Fall von 295 oder 296 vorliegt?

KAT

Katha12

17.1.2025, 14:13:12

Bei mir ergibt sich noch die Frage, weshalb man die Ware tatsächlich anbieten muss. Die Frage stellt sich bei mir vor allem bei der

Holschuld

, aufgrund dessen ich die Frage im folgenden auf die

Holschuld

beziehe. Voraussetzung der

Konkretisierung

nach § 243 II ist, dass der Schuldner das zur Leistung seinerseits erforderliche getan hat. Bei der

Holschuld

liegt der Leistungs- und

Erfolgsort

beim Wohnsitz des Schuldners. Neben der Mindestvoraussetzungen: Aussondern von Sachen mittlere Art und Güter nach § 243 I, bestimmen sich die weiteren Voraussetzungen ja nach der jeweiligen geschuldeten Leistungshandlung. Bei der

Holschuld

muss zusätzlich von der Aussonderung informiert werden und die Leistung angeboten. Wie leitet man sich nun dogmatisch her, dass die Leistung angeboten werden muss? Mein Ansatzpunkt war folgender: Er muss ja soweit leisten, wie er dazu verpflichtet ist + ohne Mitwirkung des Gläubigers möglich. S schuldet nach 433 I 1

Übergabe und Übereignung

des Kaufgegenstandes. Damit es zu "diesem" Erfolg kommt, benötigt man die Leistungshandlung des S. Reines Aussondern von Sachen mittlere Art und Güte würde nicht aussreichen (so kann der Erfolg: Übergabe und Überignung an G nie eintreten). Dass der G von der Aussonderung informiert werden muss, hat meiner Herleitung wohl den Grund darin, dass der G sonst nicht zum S fährt (dort liegt der

Erfolgsort

) und es zur

Übergabe und Übereignung

kommen kann und somit dies eine Voraussetzung der Leistungshandlung sein muss. Voraussetzung des Anbietens erklär mir tatsächlich mit dem Erfolg der "Übereignung". Nach 929 S. 1 BGB benötigt dies ja auch eine

dingliche Einigung

. Damit der Erfolg (Übereignung nach 929 S. 1 BGB und Übergabe) eintreten kann, benötigt es der geschuldeten Leistungshandlung des S (hier: Angebot zur Übereignung). Damit hat er alle nach § 433 I 1 geschuldeten Leistungshandlungen bewirkt, alles erforderliche getan, somit Konkretsierung nach 243 II. Kann man sich so die einzelnen Voraussetzung dogmatisch herleiten? Verstoße ich evlt. gegen das

Trennungsprinzip

? Insofern Zweifel ich an dieser Herleitung, da bei einer Terminbestimmung das Angebot entbehrlich wird. Und bei der

Schickschuld

muss man gar nicht anbieten Vielleicht helfen diese Gedanken, neben dem reinen Auswendiglernen, sich zur Not die Voraussetzung auch herleiten zu können. Ich bin nur nicht sicher, ob das auch so richtig ist. Wird leider in keinem Kommentar näher beschrieben.


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