Zivilrecht
Schuldrecht Allgemeiner Teil
Unmöglichkeit (§ 275 BGB) (Leistungsstörungsrecht)
GS, Konkretisierung, Bringschuld
GS, Konkretisierung, Bringschuld
23. Mai 2025
24 Kommentare
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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
T bestellt bei V 20 Trikots der Marke "Hattrick". Sie vereinbaren, dass V die Trikots am nächsten Tag 11 Uhr persönlich zur Wohnung der T bringt. Als V pünktlich erscheint, ist T nicht zu Hause. Daraufhin fährt V zurück. Auf der Rückfahrt werden die Trikots bei einem Unfall zerstört.
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Einordnung des Falls
GS, Konkretisierung, Bringschuld
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Ts Anspruch auf Übergabe und Übereignung der Trikots ist entstanden (§ 433 Abs. 1 BGB).
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. Ob die Übergabe und Übereignung für V unmöglich ist (§ 275 Abs. 1 BGB), bestimmt sich nach der Art der vereinbarten Schuld.
Genau, so ist das!
3. T und V haben eine Stückschuld vereinbart.
Nein, das trifft nicht zu!
4. Sofern V alles für seine Leistung Erforderliche getan hat, ist durch die Zerstörung der Trikots Unmöglichkeit eingetreten (§ 275 Abs. 1 BGB).
Ja!
5. Ab wann Konkretisierung eintritt, bestimmt sich nach der vereinbarten Leistungshandlung.
Genau, so ist das!
6. V ist verpflichtet, die Trikots zu T nach Hause bringen. Es liegt eine Bringschuld vor.
Ja, in der Tat!
7. Indem V der T die Trikots pünktlich gebracht hat, hat er die geschuldete Gattungsschuld konkretisiert.
Ja!
8. T kann von V Übergabe und Übereignung anderer "Hattrick"-Trikots verlangen.
Nein, das ist nicht der Fall!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
QuiGonTim
20.7.2022, 14:00:32
Auf die Gefahr hin, dass ich den kommenden Fällen vorgreife: Wie wäre der Fall zu beurteilen, wenn V und T keinen konkreten Zeitpunkt, sondern einen Zeitraum vereinbart haben (bspw. anstatt “um 11 Uhr” “zwischen 10 und 12 Uhr”? Genügt für die
Konkretisierung der Gattungsschulddann das einmalige Anbieten innerhalb dieses Zeitraums?

Nora Mommsen
11.8.2022, 09:32:50
Hallo QuiGonTim, bei Vereinbarung einer Abnahmefrist können vor deren Ablauf weder
Annahmeverzug(§ 296) noch
Konkretisierungeintreten. In dem von dir skizzierten Fall läuft die Abholfrist erst um 12 Uhr ab. Viele Grü´ße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Francesca
8.11.2023, 06:23:39
Vielleicht ist dies eher eine Praxisfrage, aber muss der
Schuldner „beweisen“, dass er bei einer
Bringschuldam Wohn- bzw. Gewerbesitz des Gläubigers war?
se.si.sc
8.11.2023, 08:15:21
Grundsatz ist, dass jede Partei diejenigen
Tatsachendarlegen (und im Fall des Bestreitens durch die Gegenseite auch beweisen) muss, die die für sie günstig sind, also diejenigen
Tatsachen, die die Voraussetzungen einer für sie günstigen Rechtsnorm erfüllen (st Rspr, etwa BGH NJW-RR 2010, 1378, 1379). Wenn der
Schuldner sich also auf die
Unmöglichkeitund damit darauf beruft, dass er nicht (mehr) leisten muss, muss er die Voraussetzungen der
Konkretisierungund damit im vorliegenden Fall sein
tatsächliches Angebotam Wohnsitz des Gläubigers nachweisen (Details dazu dann im Ref).

LS2024
27.3.2024, 11:32:27
Hier wird doch der
Annahmeverzuggeprüft? Warum tauch das Wort “
Annahmeverzug” in der Aufgabe nicht auf?
Leo Lee
29.3.2024, 08:32:56
Hallo LS2024, vielen Dank für die sehr gute Frage! In der Tat wurde hier nicht nach dem „
Annahmeverzug“ gefragt, weshalb es auf den ersten Blick komisch scheinen mag, dass dieser auf einmal erwähnt wird. Dies haben wir allerdings deshalb hinzugefügt, da die
Konkretisierungbei einer
Bringschuldfast schon „unzertrennlich“ mit der Frage des
Annahmeverzugs zusammenhängt; denn für die
Konkretisierungbei einer
Bringschuldist nämlich
erforderlich, dass der
Schuldner die Sache dem Gläubiger in einer den
AnnahmeverzugBEGRÜNDEN Weise anbietet (heißt also, dass er es so anbieten muss, sodass anderenfalls der Gläubiger in
Annahmeverzuggerät). Mithin richtet sich das „Anbieten“ nach dem § 294, was auch eine zentrale Voraussetzung des
Annahmeverzugs statuiert. Summa summarum heißt das also: Damit der
Schuldner bei
Bringschuldkonkretisieren kann, muss er die Sache so anbieten, dass der Gläubiger als Konsequenz in
Annahmeverzuggerät. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-BGB 9. Auflage, Emmerich § 243 Rn. 26 sehr empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

H. Schmidt von Church
3.12.2024, 05:47:45
Hallo Leo, ich dachte ebenso wie du und verstehe deshalb absolut nicht, weshalb ich falsch lag: "Indem V der T die Trikots pünktlich gebracht hat, hat er die ge
schuldete
Gattungsschuldkonkretisiert" Diese Aussage stimmt. Diese Aussage stimmt doch aber eben nicht, weil das Angebot fehlt. Ich finde ohnehin, dass sich "pünktlich gebracht hat" so anhört, als wäre alles gut gelaufen. Er wollte ihm pünktlich (+) und am korrekten Ort(+) die richtigen Trikot(+) übergeben(-).
luc1502
15.10.2024, 19:30:18
Lorenz
16.10.2024, 14:54:06
Ich würde sagen, dass der Rückgriff auf die Norm gar nicht nötig ist. Es wurde ja vertraglich vereinbart.

paulmachtexamen
19.10.2024, 12:59:13
@[luc1502](95177) also in meinen Augen kann man das sehr wohl. Aus dem Gesetz ergibt sich nämlich kein Rangverhältnis von 243 II und 300 II, sodass man nicht sagen kann, dass 243 II vorgehe. Allerdings würde ich immer mit 243 II beginnen, da die Norm öfter als 300 II zur Anwendung kommt. 300 II hat nur eigenständige Bedeutung, wenn ein
tatsächliches Angebot(294) nach 295 oder 296 entbehrlich ist. Dann kann nämlich eine
Konkretisierungnach 243 II nicht eintreten. Das ist im vorliegenden Fall aber nicht gegeben. Nichtsdestotrotz würde ich in der Klausur stets beides ansprechen.
okalinkk
17.3.2025, 23:07:54
@[paulmachtexamen](210803) warum kann keine
Konkretisierungnach 243 II eintreten, wenn ein Fall von 295 oder 296 vorliegt?
Lt. Maverick
20.4.2025, 16:19:15
Also zunächst einmal ist der Regelungsgehalt von § 243 II und § 300 II BGB unterschiedlich zu werten. §
243 II BGBknüpft an die
Leistungsgefahrnach
Konkretisierung, § 300 II BGB knüpft an die
Leistungsgefahrbei
Annahmeverzug.
Konkretisierungund
Annahmeverzugfallen indes bei einer Hol- bzw.
Bringschuldzusammen. Bei der
Bringschuldkonkretisiert sich die
Schuldauf eine Sache, wenn der
Schuldner das seinerseits
Erforderliche getan hat, also die Sache ausgesondert, zum Wohnort des Gläubigers gebracht und ihm diese angeboten hat. Erst dann liegen die Voraussetzungen vor, dass die Sache übergeben und übereignet werden kann. Die Anforderungen an die
Konkretisierungstimmen mit § 2
94 BGBüberein. Wenn
Konkretisierunggegeben ist, ist §
243 II BGBdie einschlägige Norm. Einige Stimmen sind der Auffassung, dass § 300 II BGB kein eigener Bedeutungsgehalt zukommt. Begründet wird dies damit, dass die §§ 294, 296 BGB die Anforderungen an § 2
94 BGBreduzieren. Wenn der
Annahmeverzugin Fällen der §§ 295, 296 BGB eintritt, dann gelten dieselben niedrigen Anforderungen auch beim „seinerseits
Erforderlichen“ i.S.v. §
243 II BGB(MüKo/Ernst, § 300, Rn. 4). Hat der
Schuldner nicht das seinerseits
Erforderliche getan, liegen aber die Voraussetzungen von §§ 294, 2
95 BGBvor, dann greift § 300 II BGB zur Regelung der
Leistungsgefahr. UND: Der
Annahmeverzug(auch in Fällen der §§ 295, 296 BGB) führt zu einer „Quasi-
Konkretisierung“. Die
Gattungsschuldbeschränkt sich im Fall der
Unmöglichkeitwährend des
Annahmeverzugs eben auf diese eine Sache, die untergegangen ist. Dies erfolgt nicht, indem der
Schuldner das „seinerseits
Erforderliche getan“ hat, sondern durch den
Annahmeverzugselbst. Quelle: Bernhard, Jus 2011, 9 (11).

JCF
14.5.2025, 14:09:13
@[Lt. Maverick](229751) Respekt, dass du dir die Mühe gemacht hast, so ausführlich zu antworten 🫡
Katha12
17.1.2025, 14:13:12
Bei mir ergibt sich noch die Frage, weshalb man die
Waretatsächlich anbieten muss. Die Frage stellt sich bei mir vor allem bei der
Holschuld, aufgrund dessen ich die Frage im folgenden auf die
Holschuldbeziehe. Voraussetzung der
Konkretisierungnach § 243 II ist, dass der
Schuldner das zur Leistung seinerseits
erforderliche getan hat. Bei der
Holschuldliegt der Leistungs- und
Erfolgsortbeim Wohnsitz des
Schuldners. Neben der Mindestvoraussetzungen: Aussondern von Sachen mittlere Art und Güter nach § 243 I, bestimmen sich die weiteren Voraussetzungen ja nach der jeweiligen ge
schuldeten Leistungshandlung. Bei der
Holschuldmuss zusätzlich von der Aussonderung informiert werden und die Leistung angeboten. Wie leitet man sich nun dogmatisch her, dass die Leistung angeboten werden muss? Mein Ansatzpunkt war folgender: Er muss ja soweit leisten, wie er dazu verpflichtet ist + ohne Mitwirkung des Gläubigers möglich. S
schuldet nach 433 I 1 Übergabe und
Übereignungdes Kaufgegenstandes. Damit es zu "diesem" Erfolg kommt, benötigt man die Leistungshandlung des S. Reines Aussondern von Sachen mittlere Art und Güte würde nicht aussreichen (so kann der Erfolg: Übergabe und Überignung an G nie eintreten). Dass der G von der Aussonderung informiert werden muss, hat meiner Herleitung wohl den Grund darin, dass der G sonst nicht zum S fährt (dort liegt der
Erfolgsort) und es zur Übergabe und
Übereignungkommen kann und somit dies eine Voraussetzung der Leistungshandlung sein muss. Voraussetzung des Anbietens erklär mir tatsächlich mit dem Erfolg der "
Übereignung". Nach 929 S. 1 BGB benötigt dies ja auch eine
dingliche Einigung. Damit der Erfolg (
Übereignungnach 929 S. 1 BGB und Übergabe) eintreten kann, benötigt es der ge
schuldeten Leistungshandlung des S (hier: Angebot zur
Übereignung). Damit hat er alle nach § 433 I 1 ge
schuldeten Leistungshandlungen bewirkt, alles
erforderliche getan, somit Konkretsierung nach 243 II. Kann man sich so die einzelnen Voraussetzung dogmatisch herleiten? Verstoße ich evlt. gegen das Trennungsprinzip? Insofern Zweifel ich an dieser Herleitung, da bei einer Terminbestimmung das Angebot entbehrlich wird. Und bei der
Schickschuldmuss man gar nicht anbieten Vielleicht helfen diese Gedanken, neben dem reinen Auswendiglernen, sich zur Not die Voraussetzung auch herleiten zu können. Ich bin nur nicht sicher, ob das auch so richtig ist. Wird leider in keinem Kommentar näher beschrieben.

JCF
14.5.2025, 14:18:46
In einem Maßstabskasten steht "Der Leistungsort richtet sich in erster Linie nach [...] den Umständen des
Schuldverhältnissen". Hier müsste es "
Schuldverhältnisses" heißen. In einem anderen Maßstabskasten steht "Bei der
Bringschuldtritt
Konkretisierungein, wenn der
Schuldner die ausgesonderten Sache [...] bringt [...]". Hier müsste es "Sachen" heißen. 😉