Zivilrecht

Schuldrecht Allgemeiner Teil

Unmöglichkeit (§ 275 BGB) (Leistungsstörungsrecht)

Persönliche Unzumutbarkeit: Lebensgefahr (§ 275 Abs. 3 BGB)

Persönliche Unzumutbarkeit: Lebensgefahr (§ 275 Abs. 3 BGB)

21. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Schauspieler S arbeitet an der Berliner Schaubühne (B). Am Tag des Auftritts erleidet seine Tochter T einen lebensgefährlichen Autounfall. Als guter Vater will er sich um seine Tochter kümmern. Als Zweitbesetzung steht der untalentierte U zur Verfügung.

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Einordnung des Falls

Persönliche Unzumutbarkeit: Lebensgefahr (§ 275 Abs. 3 BGB)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. S ist grundsätzlich verpflichtet, in der Schaubühne aufzutreten (§ 611a Abs. 1 BGB).

Genau, so ist das!

Durch den Arbeitsvertrag wird der Arbeitnehmer im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet.(§ 611a Abs. 1 BGB).S ist bei B angestellt und deshalb verpflichtet, seine Arbeitsleistung zu erbringen.
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2. Aufgrund des Unfalls seiner Tochter ist es S unmöglich, aufzutreten (§ 275 Abs. 1 BGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Unmöglichkeit liegt vor, wenn der Leistungspflicht ein dauerhaftes und unüberwindbares Hindernis entgegensteht. Dem Sachverhalt lässt sich nicht entnehmen, dass S psychisch nicht in der Lage wäre, aufzutreten. Er kann seine Leistung erbringen, er will es nur verständlicherweise nicht. Dies begründet aber keine Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 1 BGB.

3. S könnte den Auftritt verweigern, sofern ihm dieser persönlich unzumutbar ist (§ 275 Abs. 3 BGB).

Ja!

Bei persönlich zu erbringenden Leistungen besteht ein Leistungsverweigerungsrecht, wenn bei der Abwägung des Leistungshindernisses des Schuldners mit dem Leistungsinteresse des Gläubigers, dem Schuldner die Erbringung der Leistung nicht zumutbar ist (§ 275 Abs. 3 BGB).Auch bei dem Leistungsverweigerungsrecht handelt es sich um eine Sonderregelung, die nur in sehr engen Grenzen zur Anwendung kommt.

4. S muss seine Leistung „persönlich erbringen“.

Genau, so ist das!

Eine persönlichen Leistungspflicht besteht, wenn diese unvertretbar ist, also nicht durch eine andere Person erfüllt werden kann. Eine persönliche Leistungspflicht kann sich aus der Parteivereinbarung, dem Gesetz (§§ 613, 664, 691, 713 BGB) oder der Natur des Schuldverhältnisses ergeben. Bei der Pflicht zur Arbeitsleistung handelt es sich nach der gesetzlichen Vermutung um eine höchstpersönliche Pflicht (vgl. § 613 BGB).

5. Der Unfall seiner Tochter stellt ein Leistungshindernis dar (§ 275 Abs. 3 BGB).

Ja, in der Tat!

Entgegen des weiten Wortlautes (Hindernis) beschränkt sich das Leistungsverweigerungsrecht aus Abs. 3 auf immaterielle oder ideelle Leistungshindernisse. Andernfalls käme es zu Überschneidungen mit dem deutlich enger gefassten Abs. 2 und einer Ungleichbehandlung von persönlichen und delegierbaren Pflichten (Systematik). Als Vater möchte S der T beistehen. Hierbei handelt es sich um ein emotionales und insoweit immaterielles Leistungshindernis.

6. Aufgrund der Lebensgefahr, in der T schwebt, ist S der Auftritt unzumutbar.

Ja!

Unzumutbar ist die Leistung, wenn bei Abwägung der Belastung, welche die Leistung für den Schuldner mit sich bringt, und dem Interesse des Gläubigers an der Leistung, das Interesse des Schuldners überwiegt. Aufseiten des Gläubigers ist dabei der Wert der Leistung, also seine Einbuße für den Fall des Ausbleibens, zu berücksichtigen. Bei der Abwägung ist ferner bedeutsam, inwieweit der Gläubiger gerade auf die höchstpersönliche Leistungserbringung angewiesen ist (zB Zweitbesetzung).Ts Leben steht auf dem Spiel. Daran gemessen ist eine etwaige Beeinträchtigung des Rufes der B wegen der schlechten Darbietung des U von untergeordneter Bedeutung.

7. S kann den Auftritt verweigern (§ 275 Abs. 3 BGB).

Genau, so ist das!

Bei persönlich zu erbringenden Leistungen besteht ein Leistungsverweigerungsrecht, wenn bei der Abwägung des Leistungshindernisses des Schuldners mit dem Leistungsinteresse des Gläubigers, dem Schuldner die Erbringung der Leistung nicht zumutbar ist (§ 275 Abs. 3 BGB).Bei der Abwägung des Leistungshindernisses des S (Beistand für die lebensgefährlich verletzte T) und dem Leistungsinteresse des B (eventuelle Einnahmeverluste bzw. Beschädigung des Rufes), ist der Auftritt für S unzumutbar.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Raphael‘

Raphael‘

26.6.2022, 10:05:32

Könnte man, wenn T nicht lebensgefährlich verletzt wäre, dennoch eine persönliche Unzumutbarkeit gem. § 275 III BGB annehmen, da ein Autounfall der Tochter ja in den meisten Fällen eine psychische Belastung für den Vater darstellt, oder müsste diese psychische Belastung im Sachverhalt ausdrücklich angesprochen werden?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

29.6.2022, 23:16:01

Hallo raphaKP, letztlich ist immer eine Abwägung im konkreten Einzelfall notwendig, sodass auch unterhalb der Schwelle der Lebensgefährlichkeit eine persönliche Unzumutbarkeit in Betracht kommt. Je höher die Schäden der B und je geringer die Verletzungen der Tochter, desto eher wäre es S dann zumutbar trotz des Unfalls aufzutreten. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

29.6.2022, 23:18:03

P.S.: Da § 275 BGB eng auszulegen ist, bräuchte es also bei einem normalen Unfall noch einige weitere Sachverhaltsangaben zu der dadurch bedingten Belastung des S :-)

Raphael‘

Raphael‘

7.7.2022, 17:09:21

Vielen Dank! :)

WO

Wolli

1.2.2024, 13:43:52

§§275 II, III sind ja Einreden mit rechtsvernichtender Wirkung. Prüfe ich dieser unter "Anspruch erloschen" oder "Anspruch durchsetzbar"?

CAN

cann1311

1.2.2024, 14:28:03

Erloschen

LELEE

Leo Lee

3.2.2024, 14:02:22

Hallo Wolli, vielen Dank für diese sehr gute Frage! Erstmal eine gute Nachricht vorab: Aufbaufragen musst du nie erklären, weshalb du bei „streitigen“ Prüfungsstandorten einfach prüfen darfst, wo du willst, ohne zu erklären (diese Streitstände sind rein akademischer Natur). Bei § 275 Abs. 2 und. 3 muss der Schuldner die Leistung „verweigern“, d.h. er muss sich AKTIV auf dieses Verweigerungsrecht berufen. Deshalb stellen die beiden Absätze eine EINREDE dar, weshalb sie unter „Anspruch durchsetzbar“ zu prüfen sind. Es gibt aber auch Ansätze, die § 275 II und III bei „erloschen“ prüfen – wie cann1311 dies erkenne lässt. Dogmatisch „konsequenter“ scheint allerdings eine Prüfung – nach wie vor – bei „Anspruch durchsetzbar“. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre von MüKo-BGB 9. Auflage, Ernst § 275 Rn. 110 ff. und und 134 sehr empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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