Strafrecht

Strafrecht Allgemeiner Teil

Fahrlässigkeit

Geschwindigkeitsüberschreitungsfall 2 (Schutzzweck der Norm)

Geschwindigkeitsüberschreitungsfall 2 (Schutzzweck der Norm)

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A überschreitet in München mit seinem PKW die erlaubte Höchstgeschwindigkeit. In Nürnberg rennt ihm das Kind K unvermittelt vor das Auto. Durch den Zusammenstoß stirbt K. Wäre A in München langsamer gefahren, wäre er in Nürnberg nie auf K gestoßen.

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Einordnung des Falls

Geschwindigkeitsüberschreitungsfall 2 (Schutzzweck der Norm)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A hat den Tod des K kausal verursacht (§ 222 StGB).

Genau, so ist das!

Rspr. und hL bestimmen die Kausalität überwiegend nach der Äquivalenztheorie (= conditio-sine-qua-non-Formel). Eine Handlung ist danach kausal, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele.Hätte A in München die Geschwindigkeitsbegrenzung eingehalten, wäre er in Nürnberg später an der Unfallstelle angekommen und wäre nicht mit K kollidiert.
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2. A hat sich objektiv sorgfaltspflichtwidrig verhalten.

Ja, in der Tat!

Der einschlägige Sorgfaltsmaßstab ergibt sich vorliegend aus § 3 StVO. Danach ist die zulässige Höchstgeschwindigkeit einzuhalten. A überschreitet diese indes in München.

3. A ist der Tod des K auch objektiv zuzurechnen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Bei Fahrlässigkeitsdelikten muss im Rahmen der objektiven Zurechnung auch ein Schutzzweckzusammenhang bestehen. Dieser ist nur gegeben, wenn der Erfolgseintritt innerhalb des Schutzzwecks der verletzten Sorgfaltspflicht liegt. Das ist nicht der Fall, wenn die verletzte Sorgfaltspflicht nicht aufgestellt ist, um die konkrete Erfolgsverursachung zu verhindern.Der Schutzzweck der Geschwindigkeitsbegrenzung besteht darin, die Verkehrsteilnehmer im konkreten Straßenbereich zu schützen. Er geht aber nicht so weit, dass Fahrzeuge bestimmte Orte später erreichen. A hat durch die überhöhte Geschwindigkeit in München keine kritische Verkehrssituation in Nürnberg geschaffen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

FUR

Furkan

4.5.2022, 10:35:38

Die objektive Voraussehbarkeit muss hier bereits abgelehnt werden. Die Lösungs stellt selbst darauf ab, dass es „für einen durchschnittlichen Autofahrer nicht objektiv unvorhersehbar ist, dass beim Fahren mit überhöhter Geschwindigkeit Unfälle mit mitunter tödlichen Folgen passieren können.“ Aber zum Zeitpunkt des Unfalls fuhr er ja schon gar nicht mehr mit überhöhter Geschwindigkeit, sondern ganz normal.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

4.5.2022, 16:02:08

Hallo Furkan, vielen Dank für Deinen Hinweis. In der Tat hat A in Nürnberg ausweislich des Sachverhaltes sich sorgfaltsgemäß verhalten. In Betracht kommt als Anknüpfungspunkt allein sein Verhalten in München. Hierauf bezieht sich auch die Vorraussehbarkeit. Der "Erfolg" (Tötung eines anderen Verkehrsteilnehmers) an sich ist aber durchaus voraussehbar. Dass dieser erst in Nürnberg eintritt, führt nicht dazu, dass man bereits die Voraussehbarkeit ablehnt, sondern vielmehr nur zu einem Ausschluss der objektiven Zurechnung mangels

Schutzzweckzusammenhang

. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Johannes Nebe

Johannes Nebe

8.5.2022, 17:38:54

Hm, mag sein, daß man es so prüft, aber mit der gegebenen Erklärung und Subsumtion ist es schwer verdaulich. Da habe ich auch gestutzt.

Nordisch

Nordisch

13.10.2022, 11:45:49

Stellt man bei der Prüfung in der Klausur nicht stets auf den Zeitpunkt der Tat ab?

VER

Vermouth

19.8.2023, 20:43:14

Das frage ich mich auch. Auf welchen Zeitpunkt stellt man bei der Frage der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung ab? In Nürnberg passierte der Unfall. Dort fuhr der Fahrer doch aber ordnungsgemäß?

CI

circeofaeaea

9.2.2024, 13:56:48

Eine Folgeantwort hierauf wäre super, ich bin am gleichen Punkt wie die Vorposter stutzig geworden.

Benny0707

Benny0707

20.3.2024, 15:36:58

+1. danke

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

21.3.2024, 15:56:25

Hallo zusammen, um hier Unklarheiten zu vermeiden, haben wir die Erklärungstexte stärker auf den

Schutzzweckzusammenhang

zugeschnitten. Anknüpfungspunkt der Prüfung ist primär das Verhalten in München, denn nur diesbezüglich hat A pflichtswidrig gehandelt. Insofern ist es zunächst einmal unschädlich, ob A sich später rechtmäßig verhält. Sofern sein Pflichtverstoß fortwirkt, bleibt dies ein möglicher Anknüpfungspunkt einer Straftat. Der Fall ist aber das Paradebeispiel für den Zurechnungsausschluss wegen des Fehlen des

Schutzzweckzusammenhang

s. Tempolimits haben nicht zum Zweck, dass Personen zu bestimmten Zeitpunkten an bestimmten Orten ankommen, sondern sollen verhindern, dass infolge der überhöhten Geschwindigkeit und dadurch bedingten Steuerungsschwierigkeiten Unfälle entstehen. Dieser Zusammenhang fehlt hier, weshalb es jedenfalls an dem

Schutzzweckzusammenhang

fehlt, sodass es auf die Frage, inwieweit der Unfall voraussehbar war, letztlich nicht ankommt. In der Tat spricht einiges dafür aufgrund des zeitlichen/örtlichen Abstands hier auch die Voraussehbarkeit abzulehnen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team


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