Deliktisches Minus auf Ebene der Tatbestandsmäßigkeit 1 – Das tatbestandslos handelnde Werkzeug (Sirius-Fall, BGHSt 32, 38)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
T erzählt der naiven O, er sei ein Gesandter des Sterns Sirius. Er habe den Auftrag, Menschen vor dem Untergang der Erde zu retten. O müsse dazu ihren Körper durch einen neuen ersetzen, indem sie einen eingeschalteten Fön ins Badewasser tauche. O stirbt, wie von T beabsichtigt, an einem Stromstoß.
Einordnung des Falls
Deliktisches Minus auf Ebene der Tatbestandsmäßigkeit 1 – Das tatbestandslos handelnde Werkzeug (Sirius-Fall, BGHSt 32, 38)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. O hat sich wegen Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht, indem sie sich mit dem eingeschalteten Fön in die Badewanne begeben hat.
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Nein!
2. T hat den objektiven Tatbestand des Totschlags an O erfüllt (§ 212 Abs. 1 StGB).
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Nein, das ist nicht der Fall!
3. Voraussetzungen für eine Zurechnung der Handlung (§ 25 Abs. 1 Var. 2 StGB) sind (1) ein eigener Verursachungsbeitrag des Hintermannes, (2) eine unterlegene Stellung des Vordermannes und (3) eine überlegene Stellung des Hintermannes.
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Ja, in der Tat!
4. T hat auf O unmittelbar eingewirkt, so dass O den eingeschalteten Fön in die Badewanne fallen ließ (Verursachungsbeitrag, § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB).
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Ja!
5. O selbst handelte tatbestandslos, sodass sie das sog. deliktische Minus aufweist (unterlegene Stellung des Vordermannes, § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB).
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Genau, so ist das!
6. T hatte Vorsatz bzgl. eines Totschlags in mittelbarer Täterschaft (§§ 212 Abs. 1, 25 Abs. 1 Var. 2).
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Ja, in der Tat!
7. O hat sich freiverantwortlich selbst getötet. Dies schließt eine überlegene Stellung des T (kraft Tatherrschaft bzw. Täterwillen, § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB) aus.
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Nein!
8. Täter kann auch sein, wer die Straftat „durch einen anderen“ begeht (sog. mittelbare Täterschaft, § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB).
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Ja!
Fundstellen
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Daniil
12.7.2021, 16:27:23
Kleiner (pedantischer) Einwand zum ersten Erklärungstext: Derjenige, der handelt kann durchaus (wenn nicht unumstritten) auch Opfer sein. Bsp.: Error in persona bei der Mittäterschaft; A und B begehen einen Diebstahl und einigen sich darauf, im Falle einer Verfolgung Schusswaffen einzusetzen. A läuft nach links, B nach recht. A kommt links nicht weiter und dreht um. B hält den nun hinter ihm laufenden A für einen einen Verfolger und eröffnet das Feuer. A wird verletzt, überlebt aber. Eine Ansicht argumentiert, wie in eurer Lösung damit, dass Täter und Opfer nicht in einer Person zusammenfallen können. Der BGH und wie ich meine auch die herrschende Meinung hat allerdings einen untauglichen Versuch in mittäterschaftlicher Begehung bejaht😅
Wendelin Neubert
14.7.2021, 10:42:50
Hallo Daniil, danke für deinen Hinweis! In der Tat gibt es (seltene) Konstellationen - wie die von dir geschilderte -, in denen der tatbestandlich Handelnde unter Umständen zugleich auch Opfer sein kann. Bei den hier maßgeblichen Tötungsdelikten ist dies hingegen ausgeschlossen: der Täter des Tötungsdelikts kann - aus den in der Aufgabe dargelegten Gründen - nicht zugleich dessen Opfer sein. Daran hat BGH in der hier zugrunde gelegten Entscheidung auch keine Zweifel gelassen. Bei anderen Tatbeständen kann man dann diskutieren, ob es an der tatbestandlichen Handlung fehlt oder ob ein untauglicher Versuch vorliegt. Hoffe das hilft! Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team