Deliktisches Minus auf Ebene der Tatbestandsmäßigkeit 1 – Das tatbestandslos handelnde Werkzeug (Sirius-Fall, BGHSt 32, 38)


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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

T erzählt der naiven O, er sei ein Gesandter des Sterns Sirius. Er habe den Auftrag, Menschen vor dem Untergang der Erde zu retten. O müsse dazu ihren Körper durch einen neuen ersetzen, indem sie einen eingeschalteten Fön ins Badewasser tauche. O stirbt, wie von T beabsichtigt, an einem Stromstoß.

Einordnung des Falls

Deliktisches Minus auf Ebene der Tatbestandsmäßigkeit 1 – Das tatbestandslos handelnde Werkzeug (Sirius-Fall, BGHSt 32, 38)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. O hat sich wegen Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht, indem sie sich mit dem eingeschalteten Fön in die Badewanne begeben hat.

Nein!

Zwar setzt der Wortlaut des § 212 Abs. 1 StGB nicht eindeutig die Tötung eines „anderen“ Menschen voraus, jedoch ergibt sich dies aus dem Sinnzusammenhang und der Formulierung „wer“: Derjenige, der die Tötungshandlung begeht, kann nicht zugleich Opfer sein. Überdies spricht hierfür auch die Systematik der Tötungsdelikte, da ansonsten die versuchte Selbsttötung schärfer zu bestrafen wäre als die versuchte Tötung auf Verlangen nach § 216 StGB.O erfüllt den objektiven Tatbestand des § 212 Abs. 1 StGB nicht.

2. T hat den objektiven Tatbestand des Totschlags an O erfüllt (§ 212 Abs. 1 StGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Täter ist, „wer die Straftat selbst“ begeht (sog. Alleintäterschaft, § 25 Abs. 1 Var. 1 StGB). Relevante Tötungshandlung ist hier das Fallenlassen des eingeschalteten Föns in die mit Wasser gefüllte Badewanne. Diese Handlung führte jedoch nicht T, sondern O aus.

3. Voraussetzungen für eine Zurechnung der Handlung (§ 25 Abs. 1 Var. 2 StGB) sind (1) ein eigener Verursachungsbeitrag des Hintermannes, (2) eine unterlegene Stellung des Vordermannes und (3) eine überlegene Stellung des Hintermannes.

Ja, in der Tat!

Eine Tat „durch einen anderen“ begeht, wer die Tatbestandsverwirklichung durch tatbeherrschende Steuerung des Vordermannes zurechenbar verursacht. Der (1) Verursachungsbeitrag des Hintermannes ist die Einwirkungshandlung auf den Vordermann. Die (2) unterlegene Stellung des Vordermanns ergibt sich grundsätzlich aus dem Strafbarkeitsmangel (Ausnahme: Sonderfälle des „Täters hinter dem Täter“). Der Vordermann weist auf einer der drei Ebenen ein sog. deliktisches Minus auf, er ist nicht strafbar. Die (3) überlegene Stellung des Hintermannes setzt nach der Tatherrschaftslehre die Tatherrschaft über das Gesamtgeschehen, nach der subjektiven Lehre einen Täterwillen voraus.

4. T hat auf O unmittelbar eingewirkt, so dass O den eingeschalteten Fön in die Badewanne fallen ließ (Verursachungsbeitrag, § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB).

Ja!

Indem T der O die Anweisung gab, sich mit dem Fön in die Badewanne zu begeben, wirkte er unmittelbar auf sie ein.

5. O selbst handelte tatbestandslos, sodass sie das sog. deliktische Minus aufweist (unterlegene Stellung des Vordermannes, § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB).

Genau, so ist das!

Mittelbare Täterschaft setzt weiter voraus, dass beim Vordermann auf der Tatbestands-, Rechtswidrigkeits- oder Schuldebene ein Strafbarkeitsmangel vorliegt, der seine Strafbarkeit ausschließt. Tatbestandslos handelt der Vordermann, wenn er den objektiven Tatbestand nicht erfüllt, weil er sich z.B. selbst verletzt, selbst tötet oder seine eigene Sache beschädigt (§§ 223, 212, 303 StGB). O erfüllt den objektiven Tatbestand des § 212 Abs. 1 StGB nicht, da sie sich selbst getötet hat.

6. T hatte Vorsatz bzgl. eines Totschlags in mittelbarer Täterschaft (§§ 212 Abs. 1, 25 Abs. 1 Var. 2).

Ja, in der Tat!

T handelte mit Vorsatz bezüglich der objektiven Tatbestandsverwirklichung durch die Tatnächste O und der die mittelbare Täterschaft begründenden Umstände. Er handelte auch rechtswidrig und schuldhaft, sodass er sich wegen Totschlags in mittelbarer Täterschaft (§§ 212 Abs. 1, 25 Abs. 1 Var. 2) strafbar gemacht hat.

7. O hat sich freiverantwortlich selbst getötet. Dies schließt eine überlegene Stellung des T (kraft Tatherrschaft bzw. Täterwillen, § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB) aus.

Nein!

Die Tatherrschaft des mittelbaren Täters gründet sich darauf, dass er den Vordermann durch Täuschung oder Zwang beherrscht, indem er den Strafbarkeitsmangel für seine Zwecke planvoll lenkend ausnutzt und auf diese Weise die Tatbestandsverwirklichung in den Händen hält. T rief in O einen Irrtum über den Nichteintritt des Todes hervor und löste mit Hilfe dieses Irrtums bewusst und gewollt das Geschehen aus, das zu ihrem Tod führen sollte. T lenkte damit O und machte sie zum Werkzeug gegen sich selbst. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass T's Angaben völlig unglaubhaft waren. Zudem wollte T die Tat als eigene, sodass er mit Täterwillen handelte. Somit weist er auch nach der subjektiven Lehre eine überlegene Stellung auf.

8. Täter kann auch sein, wer die Straftat „durch einen anderen“ begeht (sog. mittelbare Täterschaft, § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB).

Ja!

Der mittelbare Täter verwirklicht die Tatbestandsmerkmale nicht eigenhändig, sondern bedient sich als „Hintermann“ eines „Werkzeugs“, das auch als „Vordermann“ bzw. „Tatmittler“ bezeichnet wird, um einen Straftatbestand zu verwirklichen. Voraussetzung ist, dass die Tathandlung des „Vordermannes“ dem Hintermann zugerechnet werden kann.

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