Strafrecht

Strafrecht Allgemeiner Teil

Täterschaft und Teilnahme

Deliktisches Minus auf Ebene der Tatbestandsmäßigkeit 1 – Das tatbestandslos handelnde Werkzeug (Sirius-Fall, BGHSt 32, 38)

Deliktisches Minus auf Ebene der Tatbestandsmäßigkeit 1 – Das tatbestandslos handelnde Werkzeug (Sirius-Fall, BGHSt 32, 38)

2. Juli 2025

16 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

T erzählt der naiven O, er sei ein Gesandter des Sterns Sirius. Er habe den Auftrag, Menschen vor dem Untergang der Erde zu retten. O müsse dazu ihren Körper durch einen neuen ersetzen, indem sie einen eingeschalteten Fön ins Badewasser tauche. O stirbt, wie von T beabsichtigt, an einem Stromstoß.

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Einordnung des Falls

Deliktisches Minus auf Ebene der Tatbestandsmäßigkeit 1 – Das tatbestandslos handelnde Werkzeug (Sirius-Fall, BGHSt 32, 38)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. O hat sich wegen Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht, indem sie sich mit dem eingeschalteten Fön in die Badewanne begeben hat.

Nein!

Zwar setzt der Wortlaut des § 212 Abs. 1 StGB nicht eindeutig die Tötung eines „anderen“ Menschen voraus, jedoch ergibt sich dies aus dem Sinnzusammenhang und der Formulierung „wer“: Derjenige, der die Tötungshandlung begeht, kann nicht zugleich Opfer sein. Überdies spricht hierfür auch die Systematik der Tötungsdelikte, da ansonsten der versuchte Suizid schärfer zu bestrafen wäre als die versuchte Tötung auf Verlangen nach § 216 StGB.O erfüllt den objektiven Tatbestand des § 212 Abs. 1 StGB nicht.
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2. T hat den objektiven Tatbestand des Totschlags an O eigenhändig erfüllt (§ 212 Abs. 1 StGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Täter ist, „wer die Straftat selbst“ begeht (sog. Alleintäterschaft, § 25 Abs. 1 Var. 1 StGB). Relevante Tötungshandlung ist hier das Fallenlassen des eingeschalteten Föns in die mit Wasser gefüllte Badewanne. Diese Handlung führte jedoch nicht T, sondern O aus.

3. Voraussetzungen für eine Zurechnung der Handlung (§ 25 Abs. 1 Var. 2 StGB) sind (1) ein eigener Verursachungsbeitrag des Hintermannes, (2) eine unterlegene Stellung des Vordermannes und (3) eine überlegene Stellung des Hintermannes.

Ja, in der Tat!

Eine Tat „durch einen anderen“ begeht, wer die Tatbestandsverwirklichung durch tatbeherrschende Steuerung des Vordermannes zurechenbar verursacht. Der (1) Verursachungsbeitrag des Hintermannes ist die Einwirkungshandlung auf den Vordermann. Die (2) unterlegene Stellung des Vordermanns ergibt sich grundsätzlich aus dem Strafbarkeitsmangel (Ausnahme: Sonderfälle des „Täters hinter dem Täter“). Der Vordermann weist auf einer der drei Ebenen ein sog. deliktisches Minus auf, er ist nicht strafbar. Die (3) überlegene Stellung des Hintermannes setzt nach der Tatherrschaftslehre die Tatherrschaft über das Gesamtgeschehen, nach der subjektiven Lehre einen Täterwillen voraus.

4. T hat auf O unmittelbar eingewirkt, so dass O den eingeschalteten Fön in die Badewanne fallen ließ (Verursachungsbeitrag, § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB).

Ja!

Indem T der O die Anweisung gab, sich mit dem Fön in die Badewanne zu begeben, wirkte er unmittelbar auf sie ein.

5. O selbst handelte tatbestandslos, sodass sie das sog. deliktische Minus aufweist (unterlegene Stellung des Vordermannes, § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB).

Genau, so ist das!

Mittelbare Täterschaft setzt weiter voraus, dass beim Vordermann auf der Tatbestands-, Rechtswidrigkeits- oder Schuldebene ein Strafbarkeitsmangel vorliegt, der seine Strafbarkeit ausschließt. Tatbestandslos handelt der Vordermann, wenn er den objektiven Tatbestand nicht erfüllt, weil er sich z.B. selbst verletzt, sich selbst das Leben nimmt oder seine eigene Sache beschädigt (§§ 223, 212, 303 StGB). O erfüllt den objektiven Tatbestand des § 212 Abs. 1 StGB nicht, da sie sich selbst das Leben genommen hat.

6. T hatte Vorsatz bzgl. eines Totschlags in mittelbarer Täterschaft (§§ 212 Abs. 1, 25 Abs. 1 Var. 2).

Ja, in der Tat!

T handelte mit Vorsatz bezüglich der objektiven Tatbestandsverwirklichung durch die Tatnächste O und der die mittelbare Täterschaft begründenden Umstände. Er handelte auch rechtswidrig und schuldhaft, sodass er sich wegen Totschlags in mittelbarer Täterschaft (§§ 212 Abs. 1, 25 Abs. 1 Var. 2) strafbar gemacht hat.

7. O hat sich freiverantwortlich selbst das Leben genommen. Dies schließt eine überlegene Stellung des T (kraft Tatherrschaft bzw. Täterwillen, § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB) aus.

Nein!

Die Tatherrschaft des mittelbaren Täters gründet sich darauf, dass er den Vordermann durch Täuschung oder Zwang beherrscht, indem er den Strafbarkeitsmangel für seine Zwecke planvoll lenkend ausnutzt und auf diese Weise die Tatbestandsverwirklichung in den Händen hält. T rief in O einen Irrtum über den Nichteintritt des Todes hervor und löste mit Hilfe dieses Irrtums bewusst und gewollt das Geschehen aus, das zu ihrem Tod führen sollte. T lenkte damit O und machte sie zum Werkzeug gegen sich selbst. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass T's Angaben völlig unglaubhaft waren. Zudem wollte T die Tat als eigene, sodass er mit Täterwillen handelte. Somit weist er auch nach der subjektiven Lehre eine überlegene Stellung auf.

8. Täter kann auch sein, wer die Straftat „durch einen anderen“ begeht (sog. mittelbare Täterschaft, § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB).

Ja!

Der mittelbare Täter verwirklicht die Tatbestandsmerkmale nicht eigenhändig, sondern bedient sich als „Hintermann“ eines „Werkzeugs“, das auch als „Vordermann“ bzw. „Tatmittler“ bezeichnet wird, um einen Straftatbestand zu verwirklichen. Voraussetzung ist, dass die Tathandlung des „Vordermannes“ dem Hintermann zugerechnet werden kann.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Daniil

Daniil

12.7.2021, 16:27:23

Kleiner (pedantischer) Einwand zum ersten Erklärungstext: Derjenige, der handelt kann durchaus (wenn nicht unumstritten) auch Opfer sein. Bsp.:

Error in persona

bei der

Mittäterschaft

; A und B begehen einen Diebstahl und einigen sich darauf, im Falle einer Verfolgung Schusswaffen einzusetzen. A läuft nach links, B nach recht. A kommt links nicht weiter und dreht um. B hält den nun hinter ihm laufenden A für einen einen Verfolger und eröffnet das Feuer. A wird verletzt, überlebt aber. Eine Ansicht argumentiert, wie in eurer Lösung damit, dass Täter und Opfer nicht in einer Person zusammenfallen können. Der BGH und wie ich meine auch die herrschende Meinung hat allerdings einen untauglichen Versuch in

mittäterschaft

licher Begehung bejaht😅

Wendelin Neubert

Wendelin Neubert

14.7.2021, 10:42:50

Hallo Daniil, danke für deinen Hinweis! In der Tat gibt es (seltene) Konstellationen - wie die von dir geschilderte -, in denen der tatbestandlich Handelnde unter Umständen zugleich auch Opfer sein kann. Bei den hier maßgeblichen Tötungsdelikten ist dies hingegen ausgeschlossen: der Täter des Tötungsdelikts kann - aus den in der Aufgabe dargelegten Gründen - nicht zugleich dessen Opfer sein. Daran hat BGH in der hier zugrunde gelegten Entscheidung auch keine Zweifel gelassen. Bei anderen Tatbeständen kann man dann diskutieren, ob es an der tatbestandlichen Handlung fehlt oder ob ein

untauglicher Versuch

vorliegt. Hoffe das hilft! Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team

susiphia

susiphia

17.3.2025, 15:32:16

Wer True Crime-Dokus mag: Die ARD hat den Klassiker hier im Rahmen ihrer Reihe „ARD Crime Time“ wirklich spannend aufgearbeitet ☺️ kann gefunden werden in der ARD Mediathek, die Folgen heißen da „Tödliche Verführung“ ☺️

FO

forste35

30.4.2025, 17:42:56

Liebes Jurafuchs-Team, normalerweise liebe ich die Bilder zu den Fällen, aber bei dem hier (und ein paar andere zu BDSM-Praktiken) empfinde ich es als unnötig, dass man die Brüste der Frau sieht. Mir (als Frau) ist es unangenehm, wenn solche Bilder mitten in der Bib groß auf meinem Laptop auftauchen. Vielleicht könnt ihr das ja ändern, vielleicht stört es aber auch nur mich und ich dahingehend zu kleinlich, kann sehr gut sein! LGs :)

Linne Hempel

Linne Hempel

22.5.2025, 17:20:06

Hallo @[forste35](257528), danke für deine Anmerkung. Dass bei dir ein unwohles Gefühl aufkommt, wenn sich dieses Bild in der Öffentlichkeit auf deinem Bildschirm öffnet, tut mir natürlich leid. Es liegt wohl auch nicht an deiner persönlichen „Kleinlichkeit“, sondern daran, dass die weibliche Brust in unserer Gesellschaft leider immer noch übermäßig sexualisiert wird und somit in anderen Kontexten als „unangemessen“ eingestuft wird. Die Frage ist aber: Wäre es dir auch unangenehm, wenn in der Wanne eine männlich gelesene Person mit freiem Oberkörper sitzen würde? Vermutlich nicht. Genau aus diesem Grund halte ich es für wichtig, dass wir das Bild in dieser Form bestehen lassen. Zusätzlich finde ich die Darstellung hier auch sehr dezent. Ich zumindest fände es nicht komisch, wenn du das Bild neben mir in der Bib öffnen würdest und sollte jemand anderes mal doof gucken, kannst du vielleicht einfach doof zurück schauen :) Denn das Problem ist nicht unsere Zeichnung, sondern der Blick der Gesellschaft auf Abbildungen wie diese. Ich hoffe auf dein Verständnis! Viele Grüße, Linne – für das Jurafuchs-Team

FO

forste35

22.5.2025, 17:43:06

Danke für deine Antwort @[Linne_Karlotta_](243622), vermutlich würde ich es nicht als unangenehm empfinden, wenn ein männlicher Oberkörper zu sehen wäre. Scheinbar habe ich dahingehend - wie auch in vielen Klausuren - zu wenig Problembewusstsein ;) Dezent finde ich das Bild zwar nach wie vor nicht, aber ich kann die Frage ja zukünftig auch einfach überspringen! Großes Lob aber an die Zeichnenden - die Bilder machen meinen Tag oft ein bisschen schöner! Es sind die kleinen Dinge im Leben während des Jurastudiums :) LG zurück!

ouiam.B

ouiam.B

21.5.2025, 15:36:31

warum ist es unmittelbar und nicht mittelbar ?

LELEE

Leo Lee

31.5.2025, 13:52:35

Hallo ouiam.B, vielen Dank für die sehr gute Frage! Ich gehe mal davon aus, dass deine Frage die "unmittelbare Einwirkung" auf das Opfer betrifft. Bei der mit. Täterschaft wird die Handlung selbst nicht vom Hintermann, sondern vom Werkzeug selbst (wie hier) vorgenommen. Deshalb ist es eben nur die mit. Täterschaft, weil der Hintermann nur mittelbar tätig wird (indem er etwa das Opfer täuscht). Allerdings muss der Hintermann, um etwa das Opfer zu täuschen, immer noch UNMITTELBAR auf das Opfer einwirken, etwa durch das Erzählen einer Lüge wie im vorliegenden Fall. Das ist gemeint mit der "unmittelbaren" Einwirkung. Und durch diese unm. Einwirkung wird erreicht, dass der Täter mittelbar den Tod - durch die Hände des Werkzeugs/Opfers selbst - herbeiführt. Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-StGB 5. Auflage, Scheinfeld § 25 Rn. 61 ff. sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

FO

forste35

25.6.2025, 18:02:16

Man schreibt Föhn mit H :)


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