Deliktisches Minus auf Ebene der Tatbestandsmäßigkeit 2 – Das vorsatzlos handelnde Werkzeug


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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Dr. T überreicht der gutgläubigen Krankenschwester K eine Spritze, die angeblich ein harmloses Schmerzmittel enthält. T weist K an, dieses dem Patienten P zu injizieren. Tatsächlich ist die Spritze mit tödlichem Gift gefüllt. P verstirbt.

Einordnung des Falls

Deliktisches Minus auf Ebene der Tatbestandsmäßigkeit 2 – Das vorsatzlos handelnde Werkzeug

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K hat sich wegen Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht, indem sie P die Spritze injizierte.

Nein, das ist nicht der Fall!

K erfüllt zwar den objektiven Tatbestand des § 212 Abs. 1 StGB. Sie kannte jedoch den Tatumstand nicht, dass die Spritze ein tödliches Gift beinhaltete, an dem P sterben würde. Aufgrund dieses Tatbestandsirrtums handelte K nicht vorsätzlich (§ 16 Abs. 1 S. 1 StGB). Für eine fahrlässige Tötung (§ 222 StGB) enthält der Sachverhalt keine Anhaltspunkte.

2. T hat den objektiven Tatbestand des Totschlags an P erfüllt (§ 212 Abs. 1 StGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Täter ist zunächst, „wer die Straftat selbst“ begeht (sog. Alleintäterschaft, § 25 Abs. 1 Var. 1 StGB). Täter kann aber auch sein, wer die Straftat „durch einen anderen“ begeht (sog. mittelbare Täterschaft, § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB). Der mittelbare Täter verwirklicht die Tatbestandsmerkmale nicht eigenhändig, sondern bedient sich als „Hintermann“ eines „Werkzeugs“, das auch als „Vordermann“ bzw. „Tatmittler“ bezeichnet wird. Voraussetzung ist, dass die Tathandlung des „Vordermannes“ dem Hintermann zugerechnet werden kann.Relevante Tötungshandlung ist hier das Injizieren der Spritze mit dem tödlichen Gift. Diese Handlung führte jedoch nicht T selbst, sondern die K aus. Somit kommt allenfalls mittelbare Täterschaft in Betracht.

3. Voraussetzungen für eine Zurechnung der Handlung (§ 25 Abs. 1 Var. 2 StGB) sind (1) ein eigener Verursachungsbeitrag des Hintermannes, (2) eine unterlegene Stellung des Vordermannes und (3) eine überlegene Stellung des Hintermannes.

Ja!

Eine Tat „durch einen anderen“ begeht, wer die Tatbestandsverwirklichung durch tatbeherrschende Steuerung des Vordermannes zurechenbar verursacht . (1) Der Verursachungsbeitrag des Hintermannes ist die Einwirkungshandlung auf den Vordermann. (2) Die unterlegene Stellung des Vordermanns ergibt sich grundsätzlich aus dem Strafbarkeitsmangel (Ausnahme: Sonderfälle des „Täters hinter dem Täter“). Der Vordermann weist auf einer der drei Ebenen ein sog. deliktisches Minus auf, er ist nicht strafbar. (3) Die überlegene Stellung des Hintermannes setzt nach der Tatherrschaftslehre die Tatherrschaft über das Gesamtgeschehen, nach der subjektiven Lehre einen Täterwillen voraus.

4. T hat auf K unmittelbar eingewirkt, so dass K dem P Gift injizierte (Verursachungsbeitrag, § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB).

Genau, so ist das!

Indem T der K die Spritze mit dem tödlichen Gift übergab und sie anwies, dem P diese zu injizieren, wirkte er unmittelbar auf sie ein.

5. K wies ein deliktisches Minus auf (unterlegene Stellung des Vordermannes, § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB).

Ja, in der Tat!

Mittelbare Täterschaft setzt weiter voraus, dass beim Vordermann auf der Tatbestands-, Rechtswidrigkeits- oder Schuldebene ein Strafbarkeitsmangel vorliegt, der seine Strafbarkeit ausschließt. Für das deliktische Minus auf der Ebene des subjektiven Tatbestandes ist typisch, dass der Hintermann beim Vordermann einen Tatbestandsirrtum (§ 16 Abs. 1 StGB) hervorruft und diesen für seine Ziele ausnutzt.K unterlag einem solchen Tatbestandsirrtum und handelte vorsatzlos.

6. T wollte die Tat als eigene (Täterwille nach der subjektiven Lehre der Rspr.).

Ja!

Nach der subjektiven Lehre (animus-Theorie) wird bei der Abgrenzung an die Willensrichtung und an die innere Einstellung der Beteiligten zur Tat angeknüpft. Täter ist danach, wer mit Täterwillen (animus auctoris) handelt und die Tat als eigene will. Teilnehmer ist, wer mit Teilnehmerwillen (animus socii) handelt und die Tat als fremde veranlassen oder fördern will.T hatte ein eigenes Interesse an dem Tod des P und weist somit auch nach der subjektiven Lehre eine überlegene Stellung auf.

7. T hat sich wegen Totschlags in mittelbarer Täterschaft (§§ 212 Abs. 1, 25 Abs. 1 Var. 2 StGB) strafbar gemacht.

Genau, so ist das!

T handelte mit Tötungsvorsatz sowie in Kenntnis der die Irrtumsherrschaft begründenden Umstände. Er erfüllt somit auch den subjektiven Tatbestand. Weiterhin handelte er auch rechtswidrig und schuldhaft, sodass er sich wegen Totschlags in mittelbarer Täterschaft (§§ 212 Abs. 1, 25 Abs. 1 Var. 2) strafbar gemacht hat.

8. T hatte Tatherrschaft (nach der Tatherrschaftslehre der Literatur).

Genau, so ist das!

Die Tatherrschaft des mittelbaren Täters gründet sich darauf, dass er den Vordermann durch Täuschung oder Zwang beherrscht, indem er den Strafbarkeitsmangel für seine Zwecke planvoll lenkend ausnutzt und auf diese Weise die Tatbestandsverwirklichung in den Händen hält.T rief in der K einen Irrtum über die giftige Wirkung der Spritze hervor und löste mit Hilfe dieses Irrtums bewusst und gewollt das Geschehen aus, das zu dem Tod des P führen sollte. T durchschaut die Zusammenhänge und hatte folglich Irrtumsherrschaft (mittelbare Täterschaft kraft überlegenen Wissens).

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