Deliktisches Minus auf Ebene der Tatbestandsmäßigkeit 2 – Das vorsatzlos handelnde Werkzeug
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Dr. T überreicht der gutgläubigen Krankenschwester K eine Spritze, die angeblich ein harmloses Schmerzmittel enthält. T weist K an, dieses dem Patienten P zu injizieren. Tatsächlich ist die Spritze mit tödlichem Gift gefüllt. P verstirbt.
Einordnung des Falls
Deliktisches Minus auf Ebene der Tatbestandsmäßigkeit 2 – Das vorsatzlos handelnde Werkzeug
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 8 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. K hat sich wegen Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht, indem sie P die Spritze injizierte.
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Nein, das ist nicht der Fall!
2. T hat den objektiven Tatbestand des Totschlags an P erfüllt (§ 212 Abs. 1 StGB).
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Nein, das trifft nicht zu!
3. Voraussetzungen für eine Zurechnung der Handlung (§ 25 Abs. 1 Var. 2 StGB) sind (1) ein eigener Verursachungsbeitrag des Hintermannes, (2) eine unterlegene Stellung des Vordermannes und (3) eine überlegene Stellung des Hintermannes.
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Ja!
4. T hat auf K unmittelbar eingewirkt, so dass K dem P Gift injizierte (Verursachungsbeitrag, § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB).
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Genau, so ist das!
5. K wies ein deliktisches Minus auf (unterlegene Stellung des Vordermannes, § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB).
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Ja, in der Tat!
6. T wollte die Tat als eigene (Täterwille nach der subjektiven Lehre der Rspr.).
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Ja!
7. T hat sich wegen Totschlags in mittelbarer Täterschaft (§§ 212 Abs. 1, 25 Abs. 1 Var. 2 StGB) strafbar gemacht.
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Genau, so ist das!
8. T hatte Tatherrschaft (nach der Tatherrschaftslehre der Literatur).
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Genau, so ist das!
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Eda
24.4.2020, 17:24:41
Könnte man beim Fall mit der Spritze nicht auch argumentieren, dass wenn T sicher wusste, dass K die Spritze dem P verabreichen wird, wenn er sie ihr gibt, dass er dann die maßgebliche Tathandlung ausführte indem er ihr die Spritze übergibt?
Stefan Thomas Neuhöfer
24.4.2020, 20:11:30
Nein. Denn die „Tat“ iSd § 25 Abs. 1 StGB ist eng mit dem unmittelbaren Ansetzen (§ 22 StGB) verknüpft und bezieht sich auf die Handlung, die gewissermaßen unmittelbar in die Tatbestandsverwirklichung einmünden soll. Viele Grüße Stefan
🦊LEXDEROGANS
25.4.2020, 23:54:06
@ Eda, interessant wird die Übergabe der Spritze aber, wenn es um das unmittelbare Ansetzen zum Tötungsversuch in mittelbarer Täterschaft geht. Z. T. wird dort das „aus der (Hintermann)Hand lassen“ als ausreichend angesehen.
Lars
17.5.2020, 14:07:24
Die Frage ist grammatisch so konfus formuliert, dass sich ihr Sinngehalt wohl nur höheren Lebensformen erschließt.

Rüsselrecht 🐘
7.9.2021, 13:57:22
In „Strafrecht Allgemeiner Teil“ von Satzger/Wessels/Beulke (49. Auflage, RdN 860) wird die mittelbare Täterschaft von T abgelehnt und auf versuchte Anstiftung zum Mord abgestellt. Als Begründung wird der fehlende Vorsatz des T hinsichtlich der objektiven Werkzeugeigenschaft der vorsatzlos handelnden K angeführt. Ich frage mich nun, wo kommt dieser Vorsatz her? Das deliktische Minus ist doch Teil der Definition der mittelbaren Täterschaft und es sollte egal sein, welches Defizit ein Tatmittler aufweist? Mir ist nicht klar, warum der Hintermann hier einen Vorsatz auf die Eigenschaften des Werkzeuges entwickeln muss.

Lukas_Mengestu
9.12.2021, 11:19:31
Hallo Rüsselrecht, richtig ist, dass eine mittelbare Täterschaft ein Defizit beim Tatmittler voraussetzt. Subjektiv muss der mittelbare Täter dieses Defizit aber auch kennen und ausnutzen wollen. Er muss insoweit also vorsätzlich handeln. Mir liegt leider nur die 50. Auflage vor, aber ich vermute Du beziehst Dich auf das Beispiel, in dem der Arzt von einem vorsätzlichen Handeln der Krankenschwester ausgeht, in Wirklichkeit diese aber ohne Vorsatz handelt. Hier fehlt es gerade an dem Vorsatz des Arztes ein Defizit des Vordermanns auszunuten. Da es für die Anstiftung an einer vorsätzlichen, rechtswidrigen Haupttat der K fehlt, bliebe dann noch die versuchte Anstiftung zum Mord. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

frausummer
17.1.2022, 13:56:10
Wir haben vor kurzem im Uni Rep gesagt bekommen, dass wir tunlichst die Abgrenzung der Tatherrschaft nach animus socii und auctorius unterlassen sollen, da das völlig überholt sei und niemand mehr vertreten würde. Im Rengier steht es auch noch. Ich bin verwirrt😅

Lukas_Mengestu
17.1.2022, 18:52:05
Hallo frausummer, die Rechtsprechung vertritt nach wie vor die Auffassung, dass es für die Täterschaft darauf ankomme, dass der Täter die Tat als eigene will (vgl. BGH, NJW 2009, 3488; NStZ 2008, 273). Allerdings ist der Hinweis durchaus richtig, dass es sich hierbei eigentlich nur um einen Programmsatz handelt. Denn nachgeschoben wird dann jeweils, dass dies unter "wertender Betrachtung" zu ermitteln sei. Hierbei seien dann verschiedene Anhaltspunkte maßgeblich (Grad des eigenen INteresses am Erfolg, Umfang der Tatbeteiligung, die Tatherrschaft, Wille zur Tatherrschaft). Insofern hat sich die Rechtsprechung der Literatur hier weitgehend angenähert - ohne jedoch ganz auf ihr Label animus auctorius/animus socii zu verzichen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team