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Klassisches Klausurproblem

T möchte O schon lange eine Abreibung verpassen. Als O im Laufe eines Streits zu einem Schlag ausholt, nutzt T diese Gelegenheit. Um dem O körperlich weh zu tun, verpasst er O eine kräftige Ohrfeige, sodass O einen Handabdruck auf seinem Gesicht zurückbehält.

Einordnung des Falls

Erforderlichkeit eines Verteidigungswillens

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T erfüllt den Tatbestand der Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB).

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Ja, in der Tat!

Eine Körperverletzung in Form einer körperlichen Misshandlung ist jede üble und unangemessene Behandlung, durch die das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche Unversehrtheit mehr als nur unerheblich beeinträchtigt wird. T hat den O so fest geschlagen, dass ein Abdruck der Hand auf seinem Gesicht zurückblieb.

2. T hatte Verteidigungswillen (subj. Rechtfertigungselement).

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Nein!

Notwehr (§ 32 StGB) setzt eine Notwehrlage voraus, d.h. einen gegenwärtiger, rechtswidrigen Angriff auf ein geschütztes Rechtsgut. Der Verteidiger muss nach hM zudem Verteidigungswillen haben, d.h. eine zielgerichtete Verteidigungsabsicht. Weitere Motive wie Hass oder Rache sind nur dann unschädlich, solange der Verteidigungswille das dominierende Element bleibt. Nur wenn ein Verteidigungswille vorliegt, entfällt der Handlungsunwert der Verteidigungshandlung.T war durch den Schlag des O einem gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff ausgesetzt. Hier war es jedoch das einzige Bestreben des T, dem O Schmerzen zuzufügen, der Verteidigungswille fehlt also.In einem solchen Fall bestraft die Rechtsprechung (Vollendungslösung) den T trotzdem wegen vollendetem Delikt (§ 223 StGB). Ein Teil der Literatur (Versuchslösung) bestraft T dagegen wegen versuchtem Delikt (§§ 223, 22, 23 Abs. 1 StGB), da die objektiven Voraussetzungen der Notwehr ja vorlagen und der Erfolgsunwert der Tat entsprechend kompensiert wurde.

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MA

MartiniMate

5.2.2020, 19:00:40

Ist T dann der versuchten Körperverletzung strafbar? Der objektive Tatbestand müsste doch unter 32 fallen.

CO

Cocinelli

9.2.2020, 13:51:38

T ist wegen vorsätzlich begangener KPV strafbar. Der RFG greift nicht ein, weil er nicht mit Verteidigungswillen handelt.

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

16.5.2020, 18:19:52

Nach der m.M. der Versuchslösung ist der Täter einer objektiv gerechtfertigten Tat, der ohne Verteidigungswille handelt nur wegen Versuchs starfbar, ganz recht. Die h.M. (Vollendungslösung) bestraft wegen vollendetem Delikt. Den Streit sollte man ergänzen, eine gute Strafrechtsklausur lebt von der Theorie Diskussion!

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

4.10.2020, 20:06:28

ist ergänzt.

AM

Amo

10.11.2020, 10:40:29

Am besten finde ich folgendes Vorgehen: beim Prüfungspunkt Verteidigungswillen kurz darstellen ob 32 (+) da ja ein von der Rechtsordnung gewollte Erfolg eingetreten ist. 32 aber ablehnen da der Schlag nur das Erfolgs- aber nicht das Handlungsunrecht beseitigt hat. i.R.d. Strafzumessung dann fragen wonach er bestraft werden soll, Vollendung oder analog 23 II i.V.m. 49 I mit fakultativer Strafminderungsmglkt. Dogmatisch naheliegender ist es den 2 Lösungsweg zu vertreten. Schließlich liegt wie beim Versuch Handlungs- aber kein Erfolgsunrecht vor.

QU

QuiGonTim

22.3.2022, 09:11:03

Wie würde man denn dann die sich ggf. anschließende Versuchsprüfung einleiten? Reicht es festzustellen, dass der Erfolg zwar objektiv gegeben ist, aber die Tat aufgrund des fehlenden Erfolgsunwertes nicht als vollendet anzusehen ist?

EV

evanici

14.9.2023, 21:03:36

Wir hatten mal die Formulierung, dass die vollendete Körperverletzung rechtlich nicht vollendet ist.

GilgameshTG

GilgameshTG

20.7.2022, 20:16:40

Der nächste Fall (bzw übernächste, nach dem Schema) betont, dass nun die Versuchslösung h.M. ist. Dementsprechend muss hier die Lösung, die immer noch auf die Vollendungslösung abstellt, angepasst werden.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

9.8.2022, 12:35:42

Hallo GilgameshTG, danke für deine Anmerkung. Tatsächlich zeichnet aber auch diese Aufgabe die Entwicklung der Rechtsprechung nach. Entsprechend wird dargestellt, dass nach heutiger Rechtsprechung bei fehlendem Verteidigungswillen aufgrund der objektiven Rechtfertigung der Handlung nach Versuch zu bestrafen ist (Versuchslösung). Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team


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