Zivilrecht

Sachenrecht

Rechtsgeschäftlicher Eigentumserwerb an beweglichen Sachen

Abhandenkommen beim minderjährigen mittelbaren Besitzer

Abhandenkommen beim minderjährigen mittelbaren Besitzer

19. Mai 2025

23 Kommentare

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Vermieter V und der 16-jährige M schließen (mit Einwilligung der Eltern des M) einen Mietvertrag über ein Mofa. Eines Tages überlässt M den Besitz an dem Mofa dem H, da er meint, dieser könne es gut gebrauchen. H veräußert unter Vorlage der Zulassungsbescheinigung II das Mofa an G.

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Einordnung des Falls

Abhandenkommen beim minderjährigen mittelbaren Besitzer

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. G hat Eigentum nach § 929 S. 1 BGB erlangt.

Nein!

Die Übereignung nach § 929 S. 1 BGB setzt voraus: (1) Einigung, (2) Übergabe, (3) Einigsein bei Übergabe, (4) Berechtigung des Veräußerers. H und G haben sich über den Eigentumsübergang geeinigt. H hat G das Mofa übergeben. H und G waren zum Zeitpunkt der Übergabe einig, dass das Eigentum an G übergehen solle. H war jedoch nicht verfügungsbefugt. Eigentümer des Mofas war V.
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2. Wenn das Mofa nicht abhandengekommen ist (§ 935 BGB), hat G Eigentum nach § 929 S. 1, 932 BGB erlangt.

Genau, so ist das!

H und G haben sich über den Eigentumsübergang geeinigt. H hat G das Mofa übergeben. H und G waren zum Zeitpunkt der Übergabe einig, dass das Eigentum an G übergehen soll. H war nicht verfügungsbefugt. G war gutgläubig (§ 932 Abs. 2 BGB). Wird die Zulassungsbescheinigung Teil II beim Erwerb eines gebrauchten Kfz nicht vorgelegt, kommt ein gutgläubiger Erwerb regelmäßig nicht in Betracht.

3. Für die Frage des Abhandenkommens ist auf den Eigentümer (V) abzustellen.

Nein, das trifft nicht zu!

Abhandenkommen (§ 935 BGB) bedeutet Verlust des unmittelbaren Besitzes ohne, nicht notwendigerweise gegen den Willen des Besitzers (etwa durch Diebstahl oder Verlust). Hat der Eigentümer nur mittelbaren Besitz, kommt es darauf an, ob die Sache dem Besitzmittler abhandengekommen ist (§ 935 Abs. 1 S. 2 BGB). Besitzmittler des Eigentümers war M. Es kommt hier darauf an, ob M das Mofa abhandengekommen ist.

4. M ist das Mofa abhandengekommen (§ 935 Abs. 1 BGB).

Nein!

Abhandenkommen (§ 935 BGB) bedeutet Verlust des unmittelbaren Besitzes ohne, nicht notwendigerweise gegen den Willen des Besitzers. Eine ältere Literaturansicht nimmt zum Schutz des Minderjährigen stets ein Abhandenkommen an. Nach anderer Literaturansicht erfordere ein Besitzaufgabewille nur die Fähigkeit, einen natürlichen Willen zu bilden (Besitzaufgabe damit kein rechtsgeschäftliches Handeln). Das könne jeder Minderjährige. Die hL stellt auf die Urteilsfähigkeit des Minderjährigen hinsichtlich der Besitzaufgabe ab. M hat den Besitz am Mofa freiwillig aufgegeben. M ist allerdings beschränkt geschäftsfähig (§ 106 BGB). Folgt man der überwiegenden Ansicht, so ist davon auszugehen, dass M als 16-jähriger die Folgen der Besitzaufgabe überblicken konnte. Das Mofa ist ihm nicht abhandengekommen. G hat gutgläubig Eigentum erworben.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Arylion

Arylion

24.5.2021, 20:01:01

Das Überlassen des Mofas vom Minderjährigen M an H ist hier unproblematisch, weil H nur den bloßen Besitz erlangen und nie gutgläubig Eigentum erwerben soll, richtig?

Tigerwitsch

Tigerwitsch

24.5.2021, 21:38:19

Der Minderjährige kann grundsätzlich auch über

fremd

es Eigentum wirksam verfügen, sodass ein

gutgläubiger Erwerb

von diesem möglich ist. Es handelt sich nämlich um ein

rechtlich neutrales Geschäft

. Die Erklärung (Einigung) kann für den Minderjährigen nicht von Nachteil sein, da er kein Eigentum verliert. Der Eigentumsverlust tritt stattdessen beim eigentlich Berechtigten ein, sofern zugunsten des Erwerbers ein

gutgläubiger Erwerb

zu bejahen ist. Die herrschende Meinung vertritt insoweit die Auffassung, dass der beschränkt Geschäftsfähige eine wirksame Einigungserklärung abgeben kann, da sich die

Übereignung

für ihn als

rechtlich neutrales Geschäft

darstellt. Dies soll aus dem Rechtsgedanken des § 165 BGB folgen, wonach der beschränkt Geschäftsfähige auch ohne Zustimmung des gesetzlichen Vertreters als Vertreter handeln darf, da ja die Erklärung nicht ihn selbst, sondern den Vertretenen trifft.

Arylion

Arylion

25.5.2021, 10:06:32

Genau, aber das ist hier nicht passiert, richtig? M hat nie Eigentum auf H übertragen wollen, oder?

Tigerwitsch

Tigerwitsch

25.5.2021, 11:26:55

Ja, darauf kommt es vorliegend jedoch nicht direkt an. Im konkreten Fall war M (also der Minderjährige) nur der

Besitzmittler

. H (der das Mofa von M bekam) hat sich mit G geeinigt über den Eigentumsübergang. Fraglich war hier, ob das Mofa „abhandengekommen“ ist. Dabei war auf den

Besitzmittler

M abzustellen.

Arylion

Arylion

25.5.2021, 11:29:10

Super, vielen Dank!

Leo

Leo

1.9.2021, 14:02:09

@tigerwunsch Sind bei der Ermittlung, ob die Veräußerung an H rechtlich Nachteilhaft ist nicht etwaige

bereicherungsrecht

liche heranzuziehen ?

Leo

Leo

1.9.2021, 14:08:01

Hat sich erledigt hatte einen Denkfehler 😂

Edward Hopper

Edward Hopper

16.11.2022, 21:26:45

Kann man bei der Frage ob dem M

Abhandenkommen

oder net auf die eltern abszellen?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

18.11.2022, 11:53:02

Hallo Edward Hopper, während eine ältere Ansicht zugunsten des Minderjährigen stets von einem

Abhandenkommen

ausging findet heute eine andere Bewertung statt.

Abhandenkommen

knüpft an den tatsächlichen Besitz an. Für den Besitz ist natürlicher Wille ausreichend, es ist kein umfassend und korrekt gebildeter

rechtsgeschäft

liche Wille

erforderlich

. Aus diesem Grund stellt man bezüglich des

Abhandenkommen

s darauf ab, ob der Minderjährige in der Lage ist einen tatsächlichen Willen zu bilden. Da M 16 Jahre alt ist und (mit Einwilligung der Eltern) auch reif genug einen Mietvertrag über ein Mofa zu schließen, drängt das den Schluss auf, dass er auch den natürlichen Willen hinsichtlich der Besitzaufgabe korrekt bilden kann. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

PR

Prokurist

28.4.2023, 12:58:34

Frage an das Jurafuchs-Team: Ist G hier tatsächlich gutgläubig, obwohl er das Mofa von einer Privatperson erwirbt, die nicht als Halter in der Zulassungsbescheinigung II vermerkt ist (steht nicht im Sachverhalt, aber als Halter müsste ja noch der Vermieter V vermerkt sein)? Ich habe da eine BGH-Entscheidung im Kopf, wonach der Käufer in diesen Fällen Verdacht schöpfen muss und trotz Vorlage des Fahrzeugbriefes eben nicht mehr schutzwürdig ist…

DO

Dominic

10.8.2023, 08:19:55

Wenn ich das richtig sehe liegt hier eine Form des gestuften mittelbaren Besitzes vor. Angenommen das Mofa wäre dem H abhandengekommen: Das Gesetz sagt ja nur, dass es darauf ankommt, dass die Sache dem Besitzer (gemeint ist hier wohl un

mittelbarer Besitz

er) abhandengekommen ist. H war hier un

mittelbarer Besitz

er. Kommt es daher nicht vielmehr auf den H an? Oder ist es so, dass es auf denjenigen

Besitzmittler

ankommt, der dem Eigentümer den Besitz mittelt?

LELEE

Leo Lee

10.8.2023, 16:17:14

Hallo Dominic, wenn wir auf den H abstellen würde in der Tat die Sache nicht abhandengekommen sein, zumal er es freiwillig weggab. Beachte jedoch, dass § 935 I BGB immer das Geschehen von der Warte des Eigentümers (V) aus betrachtet. Sprich, hier kommt es nicht darauf an, ob dem H (dem V die Sache nicht eingeräumt) hat, sondern ob dem M (dem V die Sache sehr wohl eingeräumt hat) die Sache abhandengekommen ist. Denn aus der Perspektive des V ist nicht der H, sondern der M

Besitzmittler

(weil er eben nur mit M den Vertrag geschlossen und vermöge dessen den besitz eingeräumt hat). Wenn wir sagen, dass es nur darauf ankommt, wer zuletzt

Besitzmittler

war (also hier H), könnte man die Kette über 50 Personen erweitern; so würde der Eigentümer praktisch nie an sein Eigentum mehr kommen, weil der Besitz immer weiter gemittelt würde. Hierzu kann ich die Lektüre von MüKo-BGB, 6. Auflage, Oechsler § 935 Rn. 2 ff. empfehlen :). Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo

PD

probatio diabolica

30.5.2024, 12:52:16

Bei der letzten Frage könnte man unten (Ansicht hL) ergänzen, dass das Abstellen auf die Urteilsfähigkeit dem Rechtsgedanken des § 828 entspricht.

Kind als Schaden

Kind als Schaden

29.9.2024, 16:50:14

Es ist vermutlich nur in wenigen Fällen relevant, allerdings gibt es keine Zulassungsbescheinigung für Mofas😅 Man kann ein Mofa ja auch gar nicht "zulassen", sondern man beantragt schlicht ein Versicherungskennzeichen.

ajboby90

ajboby90

11.3.2025, 21:39:49

Welche Ansprüche hätte V gegen M? Nur vertragliche, so wie ich das sehe. Schützt M's Minderjährigkeit ihn vor Ansprüchen? Ich nehme an nein, mit der gleichen Argumentation auf welche auch beim

Abhandenkommen

abzustellen ist.

Jakob G.

Jakob G.

10.5.2025, 21:49:35

1. Sehe ich auch so. Zunächst darf nicht ohne Absprache an Dritte zum Gebrauch überlassen werden, § 540 BGB, was M

schuld

haft verletzt. a) Wenn im Verhältnis M-H ein Leihvertrag besteht, hätte H ebenfalls vertragswidrig an Dritte überlassen, § 603 S. 2 BGB. Und zudem wäre die Rückgewähr per § 604 BGB ebenfalls unmöglich. b) Hieraus würde jedenfalls ein Anspruch aus § 285 II BGB bestehen auf Abtretung des Anspruchs auf Erlös aus § 433 II BGB; die Voraussetzungen von SsdL liegen nach zeitlich-dynamischer Abgrenzung vor. c) §§ 280 I, III, 281 iVm § 249, 251 BGB auf Wertersatz. 2. Ebenfalls kommt die persönliche

Unmöglichkeit

nach § 275 I Var. 1 BGB der vertragsgemäßen Rückgabe per § 546 BGB infolge gutgläubigen Wegerwerbs in Betracht. a) Leihvertrag M-H, Herausgabe unmöglich. b) Anspruch aus § 285 I BGB auf Erlös aus § 433 II BGB. c) Ebenso §§ 280 I, III, 281 iVm § 249, 251 BGB auf Wertersatz.


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